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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

und Blankmeister’s wollene Jacke waren keine Soldatenmäntel, und Brod allein vermochte die Feldflasche nicht zu ersetzen. Wir konnten nicht schlafen. Da trabte noch zum Ueberfluß ein Reiter zu Pferd nahe an uns vorüber. Wir hörten so Etwas wie einen Säbel rasseln, und unsere noch immer aufgeregte Phantasie sah natürlich sofort einen leibhaftigen reitenden Gensdarm, der wie der Erlkönig durch die weißen lichten Nebel des kleinen erlengespickten Thales dahinsprang, und da wir ja doch nicht schlafen konnten, so spornten wir unsere flüchtigen Beine ernstlichst zur Weiterbeförderung an und passirten so gegen Mitternacht das gut demokratische Städtchen Treuen, um hier den letzten königlich sächsischen Nachtwächter und dessen harmonischen Stundenruf zu genießen, der mit dem bekannten vormärzlich diplomatischen Zuruf schloß:

„Bewahrt das Feuer und das Licht,
Damit Niemandem kein Schaden geschicht!“

Wir beiden achtundvierziger und neunundvierziger Lichtaufstecker begriffen Dies. Schweigend durchschritten wir die alten Gassen, grade und krumme, und suchten so rasch wie möglich den schützenden Wald zu erreichen, in dessen Dunkel bei friedlichem Wipfelrauschen wir uns in’s weiche Moos betteten, um uns zum letzten Male in der engeren Heimath, „auf der Flur, wo wir als Knaben spielten“, eine Spanne Nacht lang in der lieblichen Wiege des Traumes zu schaukeln.

Während wir hier so harmlos in des Waldes Armen schlummern, sei mir ein kurzer Rückblick auf die von uns so treulos Verlassenen gestattet. Das Scheiden von der traulich düsteren Frohnveste war uns nach der Parodie des Chamisso’schen Zopfliedes:

’s war Einer, dem’s zu Herzen ging,
Daß man ihn für das Zuchthaus fing –
Er wollt’ es anders haben!

sehr zu Herzen gegangen.

(Fortsetzung folgt.)




Auf dem Oybin.


Ein Gedenkblatt von Andreas Oppermann.


Es war im Junimonate des Jahres 1868. Nach den bewegten Tagen des Lutherfestes zu Worms war ich in’s grüne Neckarthal geeilt und lag träumend in einem Fenster der Schloßruine des Wilhelmsbaues zwischen den Gräsern, die aus den Mauerritzen hervorquollen und, von linder Luft bewegt, sich hin- und herwiegten. Ich schaute hinauf in die herrlichen Gestaltungen, welche die Zinnen der Ruine krönten, welche die Fenster schmückten, hinauf in den blauen Himmel, der zwischen den edlen Decorationen des Mauerwerkes, welches so satt gefärbt in goldigem Tone erglänzte, nur um so tiefer erschien. Ich wurde nicht müde, die schönen Gebilde einer reichen Zeit, einer verschwenderischen Fülle von Phantasie zu betrachten. Vorüber rauschten die Gestalten des phantastischen Winterkönigs und seines üppigen Hofes; vorüber zogen die Bilder jener wilden Tage, in denen das stolzeste Schloß im deutschen Lande von den Welschen in Brand gesteckt wurde, vorüber die Erinnerung an die teuflische Freude, mit welcher der stolze Herrscher Frankreichs eine Gedenk- und Ehrenmünze auf die Mordbrennerei seines Feldherrn schlagen ließ, auf welcher die Aufschrift: „Heidelberga deleta“ zu erblicken war. Um mich her summten die Bienen; mir klang’s wie ein fernes Lied, wie ein Chorgesang; „Heidelberga deleta“ hörte ich deutlich daraus hervorklingen, traurig und monoton.

Ich wurde den Klang des Bienenliedes nicht los. Es verfolgte mich auf Schritt und Tritt, und es verschwand der Ton und das Gefühl, das es mir in der Seele erweckt hatte, erst, als ich von der Freiung des Schlosses am Abende in das glückliche, blühende Neckarthal herniederschaute. Unten in der freundlichen Stadt Heidelberg erklangen die Abendglocken, und über dem golddurchleuchteten sagenreichen Rheinland lagerte der ganze Zauber eines Sommerabends. Wer einen solchen Abend auf dem Heidelberger Schlosse erlebte, wessen Blick jemals von der herrlichen Ruine nach den fernen Bergen schweifte, welche bereits französisches Land beherrschten, der begreift es wohl, daß es hier den Menschen drängt, die Hände still zu falten und mit den tausend Gebeten, welche der Abend in der Menschen Brust erweckt, das seinige zu vereinen, der begreift es, daß sich hier Vergangenheit und holdes gegenwärtiges Glück um den Besitz der Seele streiten, der begreift es aber auch, wie traurig in der Seele des Deutschen immer wieder der Refrain des Liedes „Heidelberga deleta“ wie ein Hohn auf unsere Vergangenheit dazwischen klang.

Heute ist das anders als damals. Nicht mehr wird der Blick in die Ferne durch Frankreichs Berge begrenzt. So weit man auch in die dämmernden blauen Linien am Horizonte schauen kann, überall erblickt man deutsches Land auch jenseit des Rheines. Vergessen ist heute das koboldartige Schwirren und Zirpen des höhnisch frohlockenden Liedes von „Heidelberga deleta“! Was auch das Rheinland durch den Franzmann an Wunden und Schmerzen erlitten, gerächt ist es und gesühnt im größten Stile. Der Zauber der Heidelberger Ruine aber ist derselbe geblieben, wenn er auch nicht mehr umwoben ist von dem Gefühle patriotischen Schmerzes und der Hoffnung auf die Stunde der Vergeltung – und für jeden Deutschen gehört die Erinnerung an Heidelberg heute, wie in den Tagen unserer Väter, zu den schönsten und unvertilgbarsten des Lebens.

Auf meiner Rückreise nach der Heimath führte mich der Weg durch Thüringen. Ich konnte es mir nicht versagen, von der Heerstraße weg einen Abstecher nach einer nicht minder berühmten Ruine Deutschlands, nach Paulinzelle zu machen. Während Heidelberg den Blick in die Fülle des reichen Lebens der Renaissance eröffnet, tritt Einem mitten in dem einsamen thüringischen Wiesenthale, umgeben ringsum von grünem Walde, die einfache Großartigkeit des romanischen Baustiles überwältigend entgegen.

Sanft überragten zwei Thürme das in schönen Rundbogen sich wölbende Portal. Nur einer ist noch übrig, der noch heute als Glockenthurm benutzt wird. Ehrfurcht beschleicht den Beschauer beim Betreten des Kirchenschiffes, aus dessen grünem Rasenteppiche die mächtigen Säulen sich erheben. Dazwischen wölben sich die einfachen Bogen des romanischen Rundbaues; mächtige blühende Linden beschatten das hohe Gemäuer; hellgrünende Buchen, von goldigem Sonnenlicht durchwoben, ersetzen beim Durchblick durch die offenen Fenster den Schmelz der verschwundenen Glasmalereien. Der Duft der Linden durchströmt den Tempel Gottes, über welchem der blaue Himmel sich wölbt, mit köstlicherem Geruche als Weihrauch. Lieblich schmiegt sich an den alten Bau neues Leben; aus dem blumengeschmückten Fenster des gemüthlichen thüringischen Hauses, welches an die Kirchenruine unmittelbar angebaut ist, schaut das freundliche Gesicht einer Frau, welche ein Kind auf dem Arme trägt, hernieder, und ein lieblicher Garten, mit Blumen wohl gehegt, breitet sich bis in die Ruine hinein. Jetzt tönen vom Thurme die alten Glocken in silbernem Klange, wie sie wohl ehedem den einsamen Mönchen erklungen. Die Herde kehrt mit melodischem Geläute an der Kirchenruine vorüber heim; eine Kuh versucht es, aus dem alten Taufbecken, das vor dem Portale in tiefem Grase liegt und in welchem sich etwas Wasser angesammelt hat, zu trinken. Freundlich das Köpfchen neigend, schauen die Vöglein zu, welche in den Bogen des Portales, an dem noch die Spuren musivischer Malerei sichtbar sind, ihre Nester aufgeschlagen haben.

Wenn Heidelbergs Ruine die harmonische Pracht der Entfaltung in Natur und Kunst charakterisirt, so ist es hier in Paulinzelle der das Gemüth ergreifende Contrast, welcher zwischen dem Denkmale einer längst entschwundenen Zeit, Welt- und Gottesanschauung und der behaglichen Idylle des gegenwärtigen Lebens ringsum liegt.

Ein eigenthümlicher Zufall war es, daß mein erster Weg, nachdem ich in meine Heimath zurückgekehrt war, nach dem Oybin führte. Die Meinigen hatten dort Sommeraufenthalt genommen, und ich eilte, sie zu begrüßen und frohe Tage mit ihnen zusammen zu sein. So reihte sich, wie von selbst, zu den Bildern der beiden merkwürdigsten Ruinen Deutschlands, Schloß Heidelberg und Paulinzelle, als kostbare Perle das Bild der dritten Ruine, welche würdig ist, jenen beiden zur Seite gestellt zu


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_031.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)