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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

No. 3.   1874.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Die zweite Frau.
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.
Von E. Marlitt.


(Fortsetzung.)


Von Ulrike gefolgt, trat die Braut am Arme ihres Bruders ein. Der Schleier fiel über ihr Gesicht bis auf die Brust herab, vom Hinterkopfe aber wallte er auf den Saum des weißen Tüllkleides nieder, das in strenger Einfachheit am Halse schloß und nur mit einigen Myrthenzweigen besteckt war – da war kein Faden der silberstrotzenden Robe zu sehen; die einfachste Bürgerbraut konnte nicht bescheidener geschmückt sein. Sie kam mit gesenkten Augen näher und bemerkte so weder den großen, befremdeten Blick, mit welchem Baron Mainau sie maß, noch den darauffolgenden spöttisch mitleidigen Ausdruck in seinen Zügen – aber sie schauerte in sich zusammen, als ihre Mutter in jähem Schrecken auf sie losfuhr.

„Was soll das heißen, Mädchen? Wie siehst Du denn aus? … Bist Du toll?“ Das war der Weihespruch, mit welchem die ergrimmte Frau das junge Mädchen auf seinem ernsten Gange begrüßte. Sie war so empört und vergaß sich so weit, daß sie die Hand hob, um die Tochter über die Schwelle zurückzuschieben. „Du gehst sofort auf Dein Zimmer und machst andere Toilette“ – sie verstummte unwillkürlich; Baron Mainau hatte die dräuende Hand erfaßt; er schwieg, aber mit Blick und Geberde verbat er sich so energisch jegliche weitere Auslassung, daß sich schlechterdings nichts mehr sagen ließ.

Hinter einem der zurückgeschlagenen Thürflügel belauschte die alte Lene mit stockendem Athem den Vorgang und wartete nun mit wahrer Inbrunst auf den Moment, wo der Bräutigam ihre „schöne, schlanke Gräfin“ in seine Arme nehmen und herzhaft küssen werde; aber „dem Stock, dem steifen Peter“ fiel das gar nicht ein – mit einigen freundlichen Worten zog er die herabhängende Hand der Braut so leicht und flüchtig an seine Lippen, als fürchte er, sie zu zerbrechen – dabei überreichte er ihr ein prachtvolles Bouquet.

„Blumen haben wir selber,“ grollte die Alte und ließ ihren Blick den Corridor entlang schweifen, den sie dick mit Tannengrün und Blumen bestreut hatte … Gleich darauf rieselte das verhängnißvolle Tüllkleid über alle die Monatsrosen und Geraniumblüthen, und die Gräfin Mutter, welche nach Fassung ringend am Arm des bestürzten Herrn von Rüdiger dem Brautpaar folgte, kehrte mit ihrer schweren Sammetschleppe die armen Dinger auf einen Haufen zusammen. …

Die steinernen Apostelköpfe, die Kanzel und Altar der Rudisdorfer Schloßkirche umkreisten, hatten wohl oft auf ein blasses, freudloses Brautgesicht niedergesehen, hatten manchmal das „Ja“ von männlichen Lippen leidenschaftlos und kaltentschlossen aussprechen hören – denn es war niemals Sitte im Trachenberger Hause gewesen, die Töchter um ihre Meinung zu befragen, noch der „sentimentalen Liebe“ irgend welche Berechtigung zuzugestehen – aber noch nie war eine Trauung so ohne Sang und Klang vollzogen worden. Der Bräutigam hatte sich alle müßigen Zeugen und Gaffer ernstlich verbeten. Was würden sie auch Alles zu flüstern gehabt haben über den schönen Mann, der allerdings ritterlich galant seine Braut führte, aber keinen Blick für sie hatte! Nur einmal, als sie knieend den Segen empfing, schien es, als gleite sein Auge momentan gefesselt an ihr nieder – ihre Flechten hingen über die Schultern hinab und lagen lang und schwer, wie träge, in rothem Gold funkelnde Schlangen, neben ihr auf dem weißen Steingetäfel des Fußbodens.

Und nach der Ceremonie, wie trieb der Mann zur Eile! Der Geistliche hatte zu lange gesprochen, und der nächste Zug sollte um keinen Preis versäumt werden. … Noch während der Trauung waren einzelne Regentropfen gegen das bunte Glas der Kirchenfenster geflogen – die einzige Musik, welche flüsternd die Einsegnungsformel begleitet hatte – nun brach die Sonne durch das zerflatternde Grau droben; sie entzündete in der bleifarbenen Fontainensäule tausend zuckende Lichter, sie lief durch die dunkle feuchtathmende Allee, über das wogende Gras hin und wischte mit ihrem Feuersaum die Thränentropfen von den Blumenblättern; aber sie funkelte auch in den getriebenen Löwenköpfen des mächtigen silbernen Eiskübels, der mit der ganzen Anmaßung einer glanzvollen Vergangenheit im Gartensalon neben dem Frühstückstisch stand – er konnte freilich nicht wissen, daß mancher alte, brave Camerad, der Jahrhunderte hindurch neben ihm im Silberschranke gestanden, inmitten der Eisstücke und unter der Cliquot-Etiquette vergeistigt moussirte. … Man nahm das Frühstück stehend ein. Die drei Geschwister aber rührten keinen Bissen an und betheiligten sich auch nicht an dem Gespräche, das der Geistliche angeregt. Sie standen zusammen und sprachen halbflüsternd, und Graf Magnus hielt mit thränenverschleiertem Blicke Lianens Hand – erst in diesem Augenblicke schien sich der stille, menschenscheue Gelehrte bewußt zu werden, was er verlor.

„Juliane, darf ich Dich bitten? – Es ist Zeit!“ sagte plötzlich Baron Mainau in das Stimmengewirr hinein – er war an die Braut herangetreten und hielt ihr seine Uhr hin, die ihre kalten Brillantblitze über sie hinschleuderte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 37. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_037.jpg&oldid=- (Version vom 30.5.2018)