Seite:Die Gartenlaube (1874) 045.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

ganze Zimmerluft auf dem langsamen Wege der Leitung eine behagliche Temperatur angenommen hat. Glücklicher Weise genügt schon ein ganz dünner Papierschirm, uns vor dieser „strahlenden Wärme“ vollkommen zu schützen; ein Thermometer zeigt vor diesem Schirme im Bereiche der Strahlungswärme mindestens zehn Grad mehr als unmittelbar hinter demselben. Das Vermögen der Wärmestrahlung richtet sich im Allgemeinen nach der Oberflächenbeschaffenheit der Körper, und zwar erkalten in Folge dieser Wärmeabgabe gegen entfernte Dinge rauhe Körper schneller als glatte oder glänzende, dunkelgefärbte schneller als hellfarbige, solche, welche die Wärme schlecht leiten, stärker als gutleitende. Sie haben dafür das Vermögen, genau in demselben Grade, wie sie die Wärme leichter abgeben, sich in dem Bereiche der strahlenden Wärme anderer Körper, z. B. der Sonne, schneller und stärker zu erwärmen. Wir benöthigen der Kenntniß dieses einfachen Gesetzes zum Verständnisse der Reifbildung. Reif ist gefrorener Thau und folgt daher in seinem Auftreten im Allgemeinen den Gesetzen der Thaubildung.

Man hat früher geglaubt, daß der Thau wie ein feiner Regen vom Himmel herabfalle, bis der Engländer Wells im zweiten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts durch im Grunde höchst einfache, aber mit großem Scharfsinn aneinander gereihete Experimente, die Hauptgesetze dieses Vorganges darthat. Ein Bäuschchen Wolle, welches er bald frei auf die Erde, bald auf Unterlagen mannigfacher Art unter Schutzdächer oder zwischen Schutzwänden der Bethauung aussetzte, und welches, wie das Fell Gideon’s in der Bibel, bald stark bethaut erschien, bald völlig trocken blieb, je nachdem seine Eigenwärme durch Ausstrahlung gegen den Nachthimmel mehr oder weniger tief unter die Lufttemperatur gesunken war, bildete sein Hauptbeweisstück. Wenn der Nachthimmel klar bleibt, strahlen alle Gegenstände der Erdoberfläche ihre von den Sonnenstrahlen empfangene Tageswärme mit verschiedener Schnelligkeit gegen die sichtbaren und unsichtbaren Weltkörper des Raumes aus, am schnellsten das mit feinen Rauhigkeiten begabte Pflanzenlaub. Da diese Gegenstände weder vom Boden her, wegen ihrer geringen Leitungsfähigkeit für die Wärme, noch aus der Luft, wenn nicht ein lebhafterer Wind geht, einen hinreichenden Ersatz der verlorenen Wärme erhalten, so sind sie bald stärker abgekühlt, als die umspülende Luft. Wenn aber wärmere, mit aufgelöstem Wasserdampf gesättigte Luft durch Berührung mit einem kalten Körper abgekühlt wird, so muß sie auf der Oberfläche desselben so viel Wassertropfen absetzen, als sie im kälteren Zustande weniger aufgelöst erhalten kann. Das ist eine sehr einfache und bekannte Erscheinung, die wir an dem Beschlagen der Stubenfenster, an dem Bethauen des Glases eines aus dem kühlen Keller in das warme Gastzimmer gebrachten Trunkes, an dem ärgerlichen Beschlagen der Brillengläser beim Betreten menschenerfüllter Räume und bei vielen anderen Gelegenheiten alltäglich wahrnehmen, die aber dessenungeachtet die Leute mitunter in Schrecken versetzt hat, wenn zum Beispiel beim Witterungswechsel ein Götterbild oder ein bronzener Heiliger zu schwitzen anfing. Die Alten dachten dann, der in der Bildsäule steckenden Gottheit sei etwas an ihrem Thun nicht angenehm und sie schwitze vor Angst oder Zorn.

Aus dem Gesagten ergiebt sich, daß nur solche Gegenstände stark bethauen können, die den klaren Nachthimmel frei über sich sehen und auch von den Seiten her neue Luftmassen zugeweht erhalten können, um ihnen Feuchtigkeit zu entziehen, daß also z. B. der Rasen rings um einen Baumstamm, so weit der Mittagsschatten seiner Krone reicht, nicht ordentlich bethauen kann, daß Laub- und Holzwerk stärker als Steine und Erde, diese wiederum stärker als die gutleitenden Metalle, welche ihre an der Oberfläche abgegebene Wärme leicht wieder durch Leitung von innen her ersetzen können, bethauen, daß hervorragende Theile, zum Beispiel die Zähne der Blattränder, oder die erhabene Nervatur und die Härchen der Blattoberfläche, stärker bethauen und namentlich bereifen, als die dazwischen gelegenen tieferen Theile, und daß endlich ein leichter Luftzug die Erscheinung befördern, stärkerer Wind aber sie gänzlich verhindern wird, indem er es unmöglich macht, daß Erdboden oder Rasen beträchtlich kälter werden können, als die darüber befindliche Luftschicht.

Vor Allem ist es zu Thaubildung erforderlich, daß die Luft frei von Nebeldunst ist. Sobald sich das Firmament mit einer noch so dünnen Wolkenschicht bedeckt, wirkt dieselbe wie der Papierschirm vor dem eisernen Ofen, sie strahlt die sonst im Weltenraume verlorene Wärme zur Erde zurück, und die Thaubildung hat ein Ende. Manche Leute haben diese Rolle der Wolken durchaus nicht begreifen können, und der Naturforscher Sertürner, der ein Buch gegen die Wells’sche Theorie geschrieben hat, nahm ihnen das Wort aus dem Munde, indem er sagte: „Wie ein so zartes, leichtbewegliches, mit so großer Ausdehnungskraft begabtes Etwas wie die Wärme, durch ein meilenweit entferntes Hinderniß abgehalten werden könne, die Erde zu verlassen und jene weite Reise zu den Sternen aufzugeben, das können wir auch beim besten Willen nicht begreifen, wenn wir den Wärmestrahlen nicht einen hohen Grad von Verschlagenheit und Verstand beilegen wollen, so etwa, daß sie aus Furcht vor jenem fernen Gewölke ihren Hinterhalt nicht verlassen.“ Indessen die Sache ist so schwer begreiflich nicht, und man kann sich leicht von der Richtigkeit des Gesagten überzeugen, wenn man einen gut polirten Hohlspiegel, in dessen Brennpunkt die Kugel eines Thermometers angebracht ist, gegen den Himmel richtet. Das Quecksilber fällt dabei um so tiefer, je klarer der Himmel ist, und steigt sogleich wieder, wenn man den Spiegel auf eine Wolke richtet.

Was würde Sertürner erst gesagt haben, wenn er von den neuen Untersuchungen Tyndall’s und Garibaldi’s (natürlich nicht des Helden von Caprera, sondern eines italienischen Physikers dieses Namens) gehört hätte, nach denen sogar der unserm Auge unsichtbare, in der Luft aufgelöste Wasserdunst der strahlenden Wärme unüberwindliche Hindernisse in den Weg legen kann. Durch ihre in den letzten Jahren vollendeten Studien ist die Thau- und Reiffrage erst als wirklich aufgeklärt zu betrachten. Professor Garibaldi zeigte, daß die Luft, so lange sie Feuchtigkeit enthält, eine förmliche Schutzhülle um den Erdball zur Verhütung allzu starker Abkühlung durch nächtliche Strahlung bildet und daß sie namentlich die von Wasserflächen ausgehenden Wärmestrahlen unter keinen Umständen passiren läßt. Daher kommt es, daß der Thau die Pflanzen vor einer ferneren Abkühlung durch Strahlung, so lange die Luft einen gewissen Grad von Feuchtigkeit enthält, geradezu schützt. Innerhalb großer Continente, wo die Atmosphäre ungleich trockener ist als bei uns, gestaltet sich der Proceß anders. Die trocknere Lufthülle bietet dort der nächtlichen Wärmestrahlung nur verschwindende Hindernisse, und auf glühendheiße Tage folgen eisigkalte Nächte. In heißen Ländern, wie z. B. in Bengalen, wo die Lufttemperatur auch des Nachts niemals unter den Gefrierpunkt hinabgeht, benutzt man den außerordentlichen Grad der Strahlungskälte, um Wasser in offenen Schalen, die man, um sie vor der wärmenden Wirkung der Winde zu schützen, auf den Boden mit Stroh ausgelegter Erdgruben stellt, zum Gefrieren zu bringen. Hier ist auch die Ursache zu suchen, aus welcher unter den Leuten der französischen Expedition nach Constantine (October 1836) so viele an erfrorenen Gliedmaßen litten, obwohl die Lufttemperatur selbst des Nachts niemals unter den Nullpunkt herabgesunken war.

Bei uns tritt jener Grad der Lufttrockenheit, welcher zur Eisbildung durch nächtliche Strahlung erforderlich ist, erst mit Beginn der kälteren Jahreszeit ein; dann verharrt die an den erkälteten Theilen abgeschiedene Feuchtigkeit nicht mehr in Tropfengestalt, sondern geht durch allmähliches Auswachsen zu den zierlichsten Krystallformen in Reif über. Aus dem Obengesagten ergeben sich von selbst die Mittel, Culturpflanzen vor den schädlichen Einflüssen des Früh- oder Spätreifs zu schützen. Mancher, der es nicht versteht, lächelt über die dünnen Strohhüllen, mit denen der Gärtner seine edlen Obstbäume etc. vor dem Erfrieren zu schützen sucht. Er hält es mit Recht für unmöglich, daß solch undichter Mantel die Luftkälte abhalten könne; er soll aber auch nur vor der viel gefährlicheren Strahlungskälte schützen, und dazu würde selbst eine noch dünnere Hülle genügen. In Ländern, wo die Reifnächte jungen Culturpflanzen gefährlich werden, hat man längst ein anderes Mittel gefunden, die Felder zu beschützen, bestehend in der Erzeugung „künstlicher Wolken“.

Der spanische Geschichtsschreiber Garcilaso de la Vega berichtet, daß die Peruaner in den Zeiten der Inkas ein besonderes Fest feierten, bei welchem sie der Sonne opferten, damit sie dem Froste gebiete, die Maisfelder zu verschonen. Dieses Fest

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_045.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)