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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

wurde natürlich in einer Jahreszeit begangen, in welcher solche Reiffröste, wie bei uns unter dem Regimente der drei „gestrengen Herren“ im Mai, besonders häufig sind. Wenn dann, erzählt Garcilaso, bei hereinbrechender Nacht der Himmel unbedeckt blieb und die Indianer deshalb Frost befürchteten, verbrannten sie Mist, um Rauch zu machen, und jeder von ihnen im Besondern bemühte sich, über seinem Grundstücke auf solche Art zu räuchern. Dabei erklärten sie, der Rauch verhindere den Frost (auf die Pflanzen herabzusteigen), indem er gleich den Wolken eine Decke über die Erde breite. Die ankommenden frommen Väter verboten in ihrer Bornirtheit den Peruanern, solche heidnischen Rauchopfer ferner zuzurichten; aber ihre Gebete mögen schwerlich eine gleich wirksame Hülfe gebracht haben.

Auch die alten römischen Landwirthe kannten, wie man aus Plinius ersieht, den Nutzen des Rauches gegen Reifschaden, den sie übrigens den erkältenden Strahlen des Mondes zuschrieben, weil er allerdings häufig genug dazu leuchtet. Die Pflanzen erfrieren aber jedenfalls noch leichter im Dunklen, denn der Mondschein ist, wie Graf Rossi kürzlich von Neuem gezeigt, keineswegs ohne alle Wärme. In den letzten Jahren hat man in Frankreich eine große Anzahl erfolgreicher Versuche in derselben Richtung angestellt, um die Weinberge gewisser dem Reiffroste sehr ausgesetzter Striche zu schützen. Die Reifbildung ist an locale Verhältnisse gebunden, im Thale stärker als an Bergabhängen, in trockenen Gegenden häufiger als in feuchten, am Rheine zum Beispiel so gering, daß man die Reben im Winter vielfach nicht einmal zudeckt. Eine Anzahl französischer Berichte aus dem vorigen Frühjahre wies auf den allerseits bewährten Nutzen solcher künstlichen Wolken hin und rieth den Weinbauern, eine sich nach der Größe des zu schützenden Grundstückes richtende Anzahl Pechpfannen bereit zu halten, um in stillen und ruhigen Nächten mit Steinkohlentheer oder einem ähnlichen billigen und stark rußenden Feuermaterial zu räuchern. Wenn ein starker Wind geht, ist dieses Verfahren natürlich aus doppeltem Grunde überflüssig, denn einmal ist dann keine Gefahr vorhanden, und zweitens würden sich die Wolken über den betreffenden Grundstücken nicht halten.

Auf die im vergangenen Jahre von V. Wartha gemachte Beobachtung, daß der Schwefelkohlenstoff sehr leicht durch seine eigene Verdunstungskälte zum Gefrieren gebracht werden kann, habe ich einige Experimente begründet, mit deren Hülfe man jeden Augenblick im warmen Zimmer den Proceß der Reifbildung in seiner ganzen Schönheit beobachten kann. Ich bitte alle meine Leser, den nachfolgend beschriebenen einfachen Versuch selbst anzustellen; er wird sie durch seine ungemeine Zierlichkeit reichlich für die geringe aufzuwendende Mühe belohnen. Man bilde aus einigen wenigen vollkommen getrockneten, möglichst reichbeblätterten Moospflänzchen einen Miniaturstrauß und stecke ihn in einen Fingerhut, der zu drei Viertel mit Schwefelkohlenstoff (aus der Apotheke) gefüllt und in einer Schachtel mit Sand festgestellt wurde. In Ermangelung eines geeigneten Moossträußchens kann man, wiewohl mit geringerem Erfolge, aus einem Dreieck von grünem Seidenpapier oder weißem Filtrirpapier, dessen eine Seite blattartig ausgezackt oder eingeschnitten wird, ein etwa anderthalb Zoll hohes Kunstbäumchen rollen, wobei die Auszackungen, spiralig um den Cylinder laufend, die Blätter vorstellen müssen, und dieses in den improvisirten Blumentopf stecken. Wenn das Sträußchen einige Secunden in jener leider übel duftenden Flüssigkeit gestanden und dieselbe emporgesogen hat, so bemerkt man, daß sich die Blättchen allmählich mit einem körnigen schneeweißen Reife bedecken, der immer weiter aus den Blatträndern hervorwächst, sich in außerordentlich zarte Fiederchen zertheilt und endlich das ganze Gebilde einem dichtbereiften Pflanzenreife zum Verwechseln ähnlich macht. Die Kälte wird zwar bei diesem Versuche nicht durch Strahlung, sondern durch die schnelle Verdunstung der Schwefelkohlenstoffflüssigkeit erzeugt; im Uebrigen aber ist der Vorgang der natürlichen Reifbildung sehr ähnlich. Die abgekühlte Oberfläche des Sträußchens schlägt Feuchtigkeit aus der umgebenden Luft auf sich nieder; diese vereinigt sich mit dem Schwefelkohlenstoffe zu einem überaus zarten, blumenkohlartigen Reife. Wenn nach einigen Minuten sämmtlicher Schwefelkohlenstoff emporgesogen ist, erreicht das Gebilde seine höchste Pracht, dieselbe dauert aber nur wenige Augenblicke, denn wenn keine weitere Kälte erzeugende Flüssigkeit mehr nachsteigt, schmilzt der Reif plötzlich von oben herunter, und das Sträußchen erscheint, seines Schmuckes entkleidet, gänzlich von geschmolzenem Reife durchnäßt. Daß dieser Reif eine ziemliche Kälte besitzt, davon kann man sich leicht durch das Gefühl überzeugen, wenn man das Gebilde in der hohlen Hand zusammendrückt, oder sich damit über die Wange streicht. Bei der leisesten Berührung so wie beim Anhauchen schmilzt er sofort. Wer einen sogenannten Rafraicheur besitzt, kann das Experiment leicht abändern und einen beliebigen Strauß aus frischem Grün durch Aufblasen eines Schwefelkohlenstoffnebels sofort mit weißem Reife bedecken; man kann auch zum Scherze Jemandem den Bart ohne Schaden auf einige Augenblicke schneeweiß anreifen: dieser künstliche Reif hält sich im warmen Zimmer beinahe so lange wie der natürliche. Nur die einzige Vorsicht wolle man beobachten, diese Versuche am Tage anzustellen, da der Schwefelkohlenstoff äußerst brennbar ist und wegen seiner Flüchtigkeit schon aus einiger Entfernung Feuer fängt.

Mit dem Thaureif wird öfter der sogenannte Rauhreif oder Rauhfrost verwechselt, obwohl dieser eine ganz verschiedene Entstehungsweise hat, und deshalb auch nicht die Eigenheit des Reifes theilt, nur die oberen Seiten der Zweige und Blätter zu bekleiden und unter keine Bedachung zu treten. Er steigt vielmehr bis in die Wipfel der Bäume empor und bekleidet die gesammten Winterreste der Vegetation mit dem brillantesten, in allen Regenbogenfarben funkelnden Krystallschimmel, im Sonnenschein ein zauberhaftes Bild hervorrufend. In den meteorologischen Handbüchern liest man, daß diese Festdecoration der Reifriesenpaläste eintreten soll, wenn nach einem sehr starken Frost eine wärmere Luftströmung ihren Wassergehalt auf den tief unter Null abgekühlten Zweigen und Blättern in Form langwachsender Krystalle absetze, wie man in jedem Winter die Thür- und Fensterritzen der mit warmem Dunst gefüllten Viehställe mit ähnlichen Eisschimmelgebilden umkränzt findet. Ich kann in einem solchen Zusammentreffen höchstens den ersten Anlaß der Erscheinung erkennen, denn ich habe solche Rauhfrostkrystalle mehrere Tage wachsen sehen, nachdem die vorausgesetzte innere Kälte der Baumzweige längst ausgeglichen sein mußte, und suche die Veranlassung, dem Sprachgenius trauend, in der Rauhigkeit der Baumäste und Blätter, welche einen gerade auf Null abgekühlten Winternebel veranlassen, Eisnadeln auf den dargebotenen Rauhigkeiten abzusetzen. Alle Substanzen neigen dazu, wenn sie aus gasförmiger oder flüssiger Gestalt Krystallform annehmen, sich auf rauhen Flächen anzusiedeln, vor Allem aber haben fertiggebildete Krystalle der eigenen Art die Eigenschaft, weitere krystallinische Abscheidung, das heißt Weiterwachsen anzuregen. Wenn man so viel Glaubersalz in heißem Wasser auflöst, wie sich auflösen will, so bleibt die Auflösung, wenn man sie ruhig stehen läßt, auch nach dem Erkalten flüssig. Sobald man aber einen festen Körper, zum Beispiel einen Glasstab, der aber nicht vorher ausgeglüht sein darf, hineinsteckt, krystallisirt die ganze Masse im Nu. Noch sicherer bewirkt ein hineingeworfenes Glaubersalzkrystallchen die Einleitung des Gestaltungsprocesses. Ich nehme an, daß beim Rauhfrost eine ähnliche Einwirkung, wenn die anderen Bedingungen günstig sind, die Hauptrolle spielt. Zur Bildung der ersten Eiskrystalle auf den Zweigen mag eine niedrige Temperatur derselben förderlich sein; sobald aber diese einmal vorhanden sind, wachsen sie im Nullgrad warmen Nebels immerfort, wenn dieser so lange anhält, bis zu einer Ausdehnung, daß zuweilen die Aeste unter dem Gewichte brechen.

Da ich dem Leser Experimente versprochen habe, so will ich auch zeigen, wie man die Rauhfrostbildung im Zimmer studiren kann. Wir wollen ihn zur Abwechselung auf warmem Wege erzeugen und schütten ein paar Messerspitzen Benzoesäure auf den Boden eines eisernen Töpfchens oder einer genieteten Blechpfanne, die über einer Spiritusflamme langsam erhitzt wird. Bedecken wir nun das Gefäß mit einem Stück Pappe, an welches wir ein hartblättriges Sträußchen, zum Beispiel aus Buchsbaumzweigen oder Wachholder, so aufgehängt haben, daß es die heißen Wandungen nirgends berührt, so sehen wir es nach wenigen Augenblicken dicht mit den prachtvollsten silberweißen Krystallnadeln überzogen, die im Sonnenschein ebenfalls in allen Regenbogenfarben funkeln. Hat man das Sträußchen nicht zu lange in dem angenehm riechenden, aber zum Husten reizenden Dampfe

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_046.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)