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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

verschiedenen Formen der einfachen geometrischen Linie griffen, um recht kurze Theilzüge zu erhalten. Man übersah, daß diese sich oft nicht ohne Schwierigkeit aneinanderreihen. Wie wenig die Currentschrift in dieser Hinsicht leistet, zeigen z. B. die Wörtchen „So“, „Sie“, die man bei all ihrer Kürze in zwei Absätzen schreiben muß, sobald sie mit großem S anfangen.

4) Die Vocale inmitten der Wörter werden nicht ausdrücklich, nicht durch besondere Buchstaben bezeichnet, sondern durch ein für die Hand des Schreibenden nicht aufhältliches, dem Leser aber leicht ins Auge fallendes Kennzeichen ausgedrückt.

5) Für manche besonders häufige Vor- und Nachsilben, sowie für eine Anzahl von Wörtern giebt es feststehende Abkürzungen wie in Currentschrift (z. B. Febr., Dr., Thlr., etc.).

6) Die Bezeichnung der runden Zahlen geschieht auf eigenthümliche kurze Weise.

7) Die Anwendung der Interpunctionszeichen beschränkt sich auf das Unentbehrlichste.


Das Mozarthäuschen im Freihause zu Wien.
Nach einer Zeichnung von A. Ewald.


Wenn wir auf eine einzelne Erläuterung einiger dieser Grundsätze eingehen, so ist es der Klarheit halber gerathen, daß wir uns auf ein System beschränken. Wir legen daher dem Folgenden das Gabelsberger’sche System zu Grunde, welches das verbreitetste ist, in einer großen Zahl von Schulen Baierns, Oesterreichs und Sachsens, auch Preußens, bereits Eingang gefunden hat, in Sachsen von einer besondern Staatsanstalt, dem „Königlichen Stenographischen Institut“, sorgsam gepflegt wird.

Wir sprachen von einem stenographischen Alphabet. Damit ist die früher verbreitete Ansicht abgethan, als sei die Stenographie eine Wort- oder Silbenschrift. Stenographische Wörter setzen sich ebensogut aus einzelnen Buchstaben zusammen, wie in der Alltagsschrift, nur auf geschicktere Weise. Unser Alphabet ist um einige Buchstaben reicher, als das der Currentschrift, und seine Zeichen sind so gewählt, daß sie nicht leicht, auch wenn sie äußerst flüchtig geschrieben werden, miteinander zu verwechseln sind. Schlechte Stenographie ist viel eher wieder zu lesen, als undeutliche Currentschrift, ja selbst in der Druckschrift können Verwechselungen (zum Beispiel zwischen s und f, r und x, u und n, e und c) vorkommen, die beim eiligen Stenographiren geradezu unmöglich sind, weil den stenographischen Zügen eine gewisse unverlöschbare Charakterfestigkeit innewohnt. Endlich ist bei der Auswahl der stenographischen Buchstaben auch darauf Rücksicht genommen, die bequemsten Zeichen für die am häufigsten in der Sprache wiederkehrenden Laute zu bestimmen. Wie geschmeidig aber die Gabelsbergerschen Buchstaben sind, möge man daraus abnehmen, daß es öfters möglich ist, zwei bis drei Zeichen in eins zu verschmelzen, das noch nicht den Umfang eines Currentzeichens hat und dennoch die Einzelzüge, aus welchen es zusammengesetzt ist, deutlich erkennen läßt (so in den Verbindungen der zusammenlautenden Buchstaben mp, mpf, schm, cht, dr, spr, str und andern). Das ist für eine consonantenreiche Sprache, wie die deutsche, von wesentlichem Nutzen.

Die Mitlauter bilden den eigentlichen Körper der Wörter, die Vocale sind in unzähligen Fällen von selbst zu errathen. Frühere, namentlich die englisch-französischen Systeme der Stenographie, unterdrückten daher die Selbstlauter ganz, englische und französische Praktiker thun es wohl auch jetzt noch. Daß es wohl möglich ist, ganze Sätze zu lesen, in welchen nicht ein einziger Vocal geschrieben ist, möge folgendes Beispiel zeigen: „Jdrmnn ht snr Zt dvn ghrt, dß S. M. Ksr Npln dr Drtt b Sdn d shnlchst gwnscht Kgl schlchtrdngs ncht fndn knnt.“

Nicht, daß wir in der deutschen Stenographie soweit gingen, die Vocale über Bord zu werfen, aber wir betrachten sie inmitten der Wörter nicht als selbstständige Dinge, sondern nur als Eigenschaften der sie begleitenden Consonanten; diese müssen den Selbstlaut gleich mit angeben, und zwar geschieht dies durch eine gewisse Färbung, die ihnen auch in der größten Eile noch gegeben werden kann, durch eine leichte Schattirung der Zeichnung, durch eine besondere Stellung und dergleichen, Merkmale des Lautes, welche meist in der Sprache ihre Begründung haben.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 69. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_069.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)