Seite:Die Gartenlaube (1874) 074.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Bambusdache. Es war ihr, als habe sie ein Bild voll Anachronismen gesehen – jenes fremdartige feingliedrige Wesen, das schmuckbeladen, in der weißen Mouslinwolle, wie eine indische Fürstentochter auf dem Rohrbette lag, und das hünenhafte, rauhe Weib mit dem grobkörnigen Deutsch auf den Lippen, mit der steifgestärkten Leinenschürze und dem hochaufgesteckten Hornkamm im graumelirten Zopfknäul am Hinterkopf – ein fast unglaubliches Nebeneinander! …

Betäubend schlugen der Hinaustretenden die Rosendüfte entgegen. Der Nachtwind hatte sich aufgemacht. Er blies durch die schwüle, vom flimmernden Silberlicht gleichsam starrende Luft und trug einen langgezogenen Harfenton über die Gärten. Die junge Frau legte unwillkürlich ihre schlanken kühlen Hände an die klopfenden Schläfen und verließ die Verandastufen.

„Das Thal von Kaschmir – das Paradies, das die erste athmende Menschenbrust nicht verstanden und für uns Alle verwirkt haben soll!“ sagte der Mann im schwarzen Rock, der ihr gefolgt war und nun neben ihr herschritt. „Die Meisten suchen es und gehen, vom alten Fluch geblendet, blöde vorüber; – der Ascet streicht es, seine Entzückungen verlachend, hart und eigenmächtig aus seinem Lebensplan, bis ein Blitz niederfährt und ihm zeigt, daß er ein Thor war, daß er den Fluch nicht ererbt, sondern durch eigene Vermessenheit auf sich geladen hat.“ Seine Stimme klang verschleiert, als dämpfe auch sie der erstickend heiße Athem der Julinacht.

Liane blieb stehen und sah in seine unregelmäßigen, aber tiefbeseelten Züge; sie wollte antworten – da stieg plötzlich eine klare Blutwelle in ihr Antlitz bis über die perlmutterweißen Schläfen hinauf, und ihre großen, klugen Augen wurden hart und kalt wie Stahl – unter diesem feurig beredten Männerblick ging sie nicht auf ein solch seelenbewegendes Thema ein. Sie überwand eine peinliche Empfindung und sagte sehr kühl und abweisend: „Bei solchen Klagetönen, wie ich sie eben gehört habe, kann ich unmöglich an das Paradies denken. … Wer ist die Unglückliche in dem Hause dort?“

Die Wangen des Mannes wurden blaß. Sichtlich gereizt ließ er einen finstern Seitenblick über die junge Dame hinstreifen, die mit einer einzigen stolzen Wendung ihres lieblichen Hauptes sich völlig unnahbar machte. Das war die Gräfin Trachenberg mit ihrer tadellosen Ahnenreihe hinter sich. „Wird es Ihr stolzes Gefühl nicht beleidigen, gnädige Frau, zu wissen, daß man in Schönwerth eine Verlorene beherbergt?“ sagte er mit scharfer Ironie. „Es giebt nichts Unbeugsameres, als die tugendstolze Frau – wohl ihr! Aber auch wehe Denen, die mit ihrem heißen Herzen abirren! … Ich kenne diesen keuschkalten, richtenden Frauenblick – er schneidet wie ein Schwert!“ – Was für Aussprüche von einem Priestermunde! … Er wandte sich um und zeigte nach dem Hause mit dem Rohrdach, das bereits hinter den Rosenhecken verschwunden war. „Wer könnte sich jetzt noch denken, daß jenes gelähmte, stammelnde Geschöpf, dessen Füße und Arme bereits vom Tode berührt sind, einst in den Straßen von Benares getanzt hat? Sie war eine Bajadere, ein armes Hindumädchen, das ein Mainau über das Meer entführt hat. … Dieses sogenannte Thal von Kaschmir unter deutschem Himmel ist um ihretwillen entstanden – Tausende sind verschwendet worden, um ihr ein Lächeln zu entlocken, um ihr den Himmel der Heimath vergessen zu machen –“

„Und jetzt ißt sie das Gnadenbrod in diesem Schönwerth und ist der harten Frau auf Gnade und Ungnade hingegeben,“ murmelte Liane tief erregt. „Und ihr Kind, das man mißhandelt –“

„Gnädige Frau, in Ihrem eigenen Interesse möchte ich Sie bitten, dem Herrn Hofmarschall gegenüber nicht in so scharfer Weise zu urtheilen,“ unterbrach er sie. „Es war sein Bruder, der mit diesem Liebeshandel der Welt ein schweres Aergerniß gegeben hat – der Mann ist seit Jahren todt, aber noch heute darf man dieses Thema nicht berühren, ohne den alten Herrn in stürmische Aufregung zu versetzen. Er ist ein strenger Katholik –“

„Sein strenger Glaube giebt ihm trotzalledem kein Recht, den unschuldigen Knaben zu unterdrücken, und das geschieht – ich war Zeugin,“ sagte Liane unerbittlich.

Sie betraten in diesem Augenblicke das dämmernde Bosquet; die junge Dame konnte das Gesicht ihres Begleiters nicht sehen, aber sie hörte verlegenes Räuspern, und nach einem momentanen Verstummen antwortete er in sonderbar stockenden Sätzen:

„Ich habe jene Frau bereits als eine Verlorene bezeichnet – sie war treulos wie alle Hindus – der Knabe hat nicht mehr Anspruch an das Haus Mainau, als jeder andere Bettler auch, der an das Schönwerther Schloßthor anklopft.“

Liane sagte kein Wort mehr. Sie schritt rascher nach dem Ende des Laubganges – es war erstickend heiß unter den engverschränkten Aesten. Die unheimliche Vorstellung drängte sich ihr auf, dieser Gluthstrom gehe von dem Manne aus, der sie begleitete. Eine ihrer Flechten blieb, wie sie meinte, am Gesträuche hängen – sie griff danach und berührte eine jäh zurückzuckende Hand. Fast hätte sie aufgeschrieen; wäre in Wahrheit der schlüpfrige Leib der Cobra über ihre Hand geglitten, sie hätte nicht erschrockener in sich zusammenschaudern können, als bei dieser Berührung.

Draußen suchte ihr Blick scheu und unwillkürlich die mondbeleuchteten Züge des Priesters – sie waren sehr ruhig, fast steinern. Die kurze Strecke bis zum Ausgange schritten sie schweigend nebeneinander; als die Gitterthür hinter ihnen zuschlug, blieb der Hofprediger stehen – fast schien es, als ringe er nach dem Ausdrucke Dessen, was er noch zu sagen habe. … „Dieses Schönwerth ist ein heißer Boden für zarte Frauenfüße, gleichviel ob sie aus Indien oder aus – einem deutschen Grafenhause kommen,“ hob er mit gedämpfter Stimme an. „Gnädige Frau, durch die Welt geht jetzt ein Sturm, und das Feldgeschrei heißt: ‚Nieder mit den Ultramontanen, mit den Jesuiten!‘ … Man wird Ihnen sagen, ich sei der Schlimmsten Einer, ein fanatischer Römling – man wird Ihnen sagen, daß ich im vollsten Maße die verderbliche Macht über Hochgestellte errungen habe, welche der Jesuitenorden auf dem ganzen Erdenrund erstrebe – denken Sie darüber wie Sie wollen. … Aber wenn Sie je in schlimmen Augenblicken – und die werden nicht ausbleiben – einer eingreifenden, stützenden Hand bedürfen, so rufen Sie nach mir – und ich werde da sein.“

Er verbeugte sich und schritt rasch und elastisch nach dem nördlichen Schloßflügel. Liane eilte in den Salon zurück. Sie verschloß mit bebenden Händen die in’s Freie führende Doppelthür und untersuchte mißtrauisch jeden Spalt zwischen den Vorhängen, damit kein unberufener Blick hier wieder eindringe. … Nie war ihr im Hinblick auf Das, was die Zukunft bringen sollte, unheimlicher zu Muthe gewesen, als in dieser Stunde – nie! Selbst nicht in jenen schrecklichen Tagen, wo der Hammer des Auctionators durch das Rudisdorfer Schloß scholl, wo ihre Mutter händeringend durch die kahlen, hallenden Säle und Zimmer lief, sich in wildester Verzweiflung auf den Boden warf und Gott anklagte, daß er die letzten Trachenberger Hungers sterben lasse. … Damals hatte die geistesstarke Ulrike das Steuer ergriffen und in ein verhältnißmäßig erträgliches Leben eingelenkt, und der Retter für sie und ihre Geschwister war – die Arbeit gewesen. Die Arbeit – eine ehrlichere Stütze, als „die eingreifende Hand“ jenes katholischen Priesters! Nein, lieber sterben im Ringen mit den „schlimmen Augenblicken“, als nach ihr rufen! …




8.


Liane entdeckte am anderen Morgen neben ihrem Ankleidezimmer ein dürftig eingerichtetes, aber freundliches Cabinet, das offenbar als Garderobe dienen sollte. Sie trug ihre Pflanzenpresse, ihre Bücher und Malutensilien herüber – hier wollte sie arbeiten. Das große Fenster gewährte ihr einen Ausblick auf malerische Partien des Gartens und darüber hinaus nach den hochaufgethürmten Waldbergen. Sie zog den Schlüssel ab und machte dem eben eintretenden Kammermädchen begreiflich, daß die Garderobe in einem anderen Raume unterzubringen sei. Die Jungfer entschuldigte athemlos ihr spätes Erscheinen mit der Messe – noch hing der Weihrauchduft in ihren Kleidern. Der Herr Hofprediger sei zu streng, klagte sie, und wenn der kranke Mensch nur noch kriechen könne, in die Messe müsse er. … Er bleibe oft zwei bis drei Tage in Schönwerth, habe da seine eigenen Appartements, und regiere dann immer noch viel strenger, als der Herr Hofmarschall selbst. In der Residenz sei das nicht anders; der Herr Hofprediger gelte Alles bei der Frau Herzogin. … Damit war die langathmige Entschuldigung

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_074.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)