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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

seines Inhalts die Sympathien des Publicums in außerordentlichem Grade für sich hatte. Alle Welt sprach damals mit Theilnahme und Entrüstung von dem an dem Kaufmann Jean Calas zu Toulouse verübten Justizmorde. Man hatte ihn nach vorhergegangener Tortur hingerichtet, weil er beschuldigt worden war, seinen angeblich zum Katholicismus übergetretenen Sohn ermordet zu haben. Der junge, an Schwermuth leidende Mann war in dem Waarenmagazine erhängt gefunden worden. Religiöser Fanatismus bemächtigte sich des traurigen Falls und beutete ihn aus. Die Geistlichkeit that alles Mögliche, um das Volk aufzuregen, besonders die Mönche, und das Parlament zu Toulouse war so schwach und leichtsinnig, auf die Aussagen theils in Fanatismus befangener, theils bestochener Zeugen hin, mit acht Stimmen gegen fünf das Todesurtheil zu fällen und vollstrecken zu lassen – an einem bisher als wohlwollend und rechtschaffen bekannten und mit den Seinigen im besten Einverständniß lebenden Manne.


Am Familientisch.
Nach einer Originalzeichnung von Daniel Chodowiecki aus der Sammlung des Herrn Dr. W. Engelmann in Leipzig, auf Holz übertragen von A. Neumann.


Die ganze Familie stürzte in’s Unglück. Ihr Vermögen wurde confiscirt. Da wandte sich die nach der Schweiz geflohene Wittwe an Voltaire; dieser nahm sich ihrer an und brachte, unter Beihülfe einiger Juristen, es durch seine energische Agitation dahin, daß das Parlament zu Paris den Proceß einer strengen Prüfung unterwarf. Und Calas und seine Familie wurden für vollkommen unschuldig befunden.

Chodowiecki wählte den Moment des Abschiedes des unschuldigen Calas von seiner Familie. Eben wird der Unglückliche gefesselt. Die Kinder umringen ihn weinend. Er weist mit liebevoller Geberde auf die ohnmächtig hingesunkene Mutter, welcher ein Freund des Hauses und die alte Magd beistehen. Soldaten, hinter denen Mönche hereinblicken, halten die Thür besetzt. Die Scene ist klar ausgesprochen, der Ausdruck in den Bewegungen und den Köpfen lebendig und rührend. Das Blatt zündete und förderte Chodowiecki’s Ruf und Ruhm außerordentlich.

Von allen Seiten gingen ihm nun Aufträge zu Stichen und Radirungen zu. Es ist geradezu erstaunlich, wie er allen zu genügen vermochte. Kaum irgend ein Buch erschien, wozu er nicht etwas geliefert hätte, und wäre es auch nur eine Vignette gewesen. Freilich ist auch Vieles darunter, was unseren heutigen Anforderungen nicht im Entferntesten entspricht. Für Ritter- und Heldengestalten, so wie für alles Romantische, Mythologische, Allegorische und selbst für das Historische fehlte ihm die Anschauung, das Verständniß. Auch die malerische Auffassung des Landschaftlichen und des Architektonischen lag ihm fern. Er versteht das Leben und die Menschen nur da, wo er sie in der allernächsten Nähe gesehen; da aber, im Focus seines Gesichtskreises, erkennt und ergreift er sie mit großer Feinheit und mit seelischem Verständniß. Und sein geistreicher Zeitgenosse Lichtenberg hat gewiß Recht, wenn er von ihm rühmt, er wisse auch in den kleinsten Figuren Seelen darzustellen und erscheine darum lehrreicher, als mancher der Romane, zu denen er die Illustrationen geliefert.

Es ist hier nicht der Ort, auch nur einen Theil seiner besten Schöpfungen einzeln anzuführen. Die Gartenlaube ist ja kein Kunstfachjournal. Die Gesammtzahl seiner Blätter beläuft sich auf mehr als Dreitausend. Es mag genügen, zu sagen, daß er die Werke fast aller seiner großen deutschen Zeitgenossen illustrirt, so von Gellert, Lessing, Schiller, Goethe, Voß, Basedow, Pestalozzi und Anderen, außerdem noch nach eigener poetischer Erfindung eine große Zahl von Blättern geschaffen hat, in denen er das bürgerliche Leben seiner Zeit theils in den unterhaltendsten und ergötzlichsten Variationen schildert, theils es in scherzhafter, wohlwollender Weise persiflirt. Darüber kam er freilich nur sehr selten zur Oelmalerei, doch zeigen seine wenigen hinterlassenen Bilder – Genrestücke in der Weise Watteau’s und Lancret’s – eine präcise Behandlung und mitunter einen feinen sonnigen Silberton in der Farbe.

Auch in das Innere seines eigenen Familienlebens führt er uns wiederholt ein. Eines der frühesten Blätter dieser Art ist dasjenige, welches diesem Artikel in einem vortrefflichen Holzschnitte nach einer Originalzeichnung des Künstlers beigegeben ist, die sich in der überaus vollständigen und aus den schönsten Exemplaren bestehenden Chodowiecki-Sammlung des Verlagsbuchhändlers Herrn Dr. Engelmann in Leipzig befindet. Die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_081.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)