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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

mit ihren Kindern durch die Flucht zu retten. Die Indianer der Mission folgten ihnen jedoch gleich angelernten Bluthunden, und kaum hatten die Unglücklichen die Savane erreicht, so wurden sie von ihren Verfolgern eingeholt, nach kurzem Widerstande niedergeworfen, an Händen und Füßen gebunden und zu dem Boote geschleppt, in welchem der fromme Pater sie erwartete, erfreut über den glücklichen Erfolg der Menschenjagd. Drei junge Sclaven konnte er nun mehr in seiner Mission zählen, das Taufen der Geraubten machte ja ohnehin wenig Schwierigkeit.

In dem Boote wurde die Mutter mit den Kindern nach San Fernando gebracht, und der Präsident der Mission war der festen Ueberzeugung, daß es der Frau nicht gelingen werde, zu fliehen und zu Lande ihre Heimath wiederzufinden. Jene Gegenden, welche dichter Wald bedeckt, sind nämlich während eines großen Theiles des Jahres überschwemmt, und ein Durchdringen dieser überschwemmten Wälder ist in der Zeit fast nur in einem Boote möglich und mit den größten Beschwerden verbunden. Selbst die Indianer benutzen zu ihren Fahrten und Reisen nur die Flüsse und besuchen benachbarte Niederlassungen nie zu Lande, selbst wenn die Entfernung nur wenige Meilen beträgt. Der Pater hatte indessen die Liebe und den Muth einer Mutter nicht in Berechnung gezogen. Das unglückliche Weib hatte daheim noch mehrere Kinder, welche bei dem Ueberfalle mit ihrem Vater auf dem Fischfange gewesen waren. Zu ihnen und zu ihrem Gatten sehnte sie sich. Sie hatte nur den einen Gedanken, dem Vater die geraubten Kinder zurückzubringen, und mehrere Male entfloh sie mit den Kindern.

Der fromme Pater sandte ihr jedesmal seine zur Menschenjagd angelernten Indianer nach, welche die Unglückliche stets wieder ergriffen. Der Pater ließ sie auf das Unbarmherzigste peitschen, in der Hoffnung, daß sie nun ihr Verlangen aufgeben werde, allein die Mutterliebe war stärker. Mochte auch ihr Rücken wund und blutig geschlagen sein, die Sehnsucht nach ihrer stillen Hütte, nach ihren Kindern und ihrem Gatten wich nicht von ihr, und sie entfloh mit den Kindern auf’s Neue.

Und wieder wurde sie von den Indianern eingeholt, zurückgeschleppt und auf den Befehl des Vaters auf’s Neue und Heftigste gepeitscht. Kein Mitleid mit der unglücklichen Mutter erfaßte ihn; er beschloß sogar, sie von ihren Kindern zu trennen und zu den Missionen am Rio Negro zu bringen. Von seinen Indianern begleitet, führte er sie den Atabapo hinauf. Sie war von den Mißhandlungen noch geschwächt. Deshalb nur leicht gebunden, saß sie auf dem Vordertheile des Fahrzeuges. Hinter ihr befanden sich ihre grausamen Peiniger. Niemand hatte ihr gesagt, welches Geschick ihrer wartete; es war ihr nicht mitgetheilt worden, daß sie von ihre Kindern getrennt werden sollte, allein ihr Auge war auf die Sonne gerichtet und aus dem Stande derselben erkannte sie, daß das Boot sie immer weiter von ihren Kindern und ihrer Heimath forttrug. Sie errieth den teuflischen Plan des frommen Paters, und Verzweiflung erfaßte sie. Langsam lockerte ihre Hand die Bande, welche sie fesselten – endlich gelang es ihr, dieselben abzustreifen; sie sprang empor, stürzte sich in den Fluß und schwamm dem linken Ufer zu. Die Strömung trug sie an eine Felsbank, welche später ihren Namen trug. Von dort aus gelang es ihr, das Land und den nahen Wald zu erreichen.

Erbittert, daß seine Beute ihm auf’s Neue entkommen war, ließ der Präsident der Mission das Fahrzeug an’s Ufer fahren und befahl den Indianern, der Spur der Unglücklichen zu folgen. Die Menschenjagd begann auf’s Neue. Die abgerichteten Bluthunde erkannten nur zu sicher jede Spur, welche der Fuß der Flüchtigen zurückgelassen hatte. Wieder wurde die unglückliche Mutter eingeholt und am Abende zurückgebracht. Der fromme Pater ließ sie auf dem Felsen, dem Piedra de la madre, niederlegen und mit einem Seekuhriemen, der dort als Peitsche benutzt wurde, schlagen. Ruhig stand er dabei, und sein Auge weidete sich an der grausamen Scene. Als die Indianer endlich erschöpft inne hielten, rief der Unmensch: „Peitscht sie!“ und auf’s Neue wurde die bereits mit Blut Bedeckte gemißhandelt.

Dann ließ der Präsident der Unglücklichen mit starken Mavacureranken die Hände auf den Rücken binden. Sie wurde in das Boot geschleppt, zu der Mission Javita gebracht und dort in eines der Caravanserais gesperrt.

Es war in der Regenzeit und finstere Nacht. Wälder lagen, fünfundzwanzig Meilen in gerader Linie breit, zwischen Javita und der Mission San Fernando. Man kannte keinen andern Weg als die Flüsse; niemals hatte ein Mensch versucht, zu Lande von einem Dorfe zum andern zu gehen. Hier war an eine Flucht und Rückkehr des unglücklichen Weibes zu ihren Kindern nicht zu denken, denn ein Boot hatte sie nicht, und den Weg zu Lande zurückzulegen hielt man für eine Unmöglichkeit. Aber das Mutterherz kannte keine Schwierigkeit und würde selbst vor Größerem nicht zurückgeschreckt sein. Ihre Kinder befanden sich in San Fernando in den Händen des grausamen Christen, und in ihr lebte nur der eine Gedanke, dieselben zu befreien und zu ihrem Vater am Guaviare zurückzubringen. Sie fragte nicht, ob ihre Kräfte zu dem schweren Werke ausreichten – sie wollte und konnte nicht ohne ihre Kinder leben. Ihr trauriger Zustand, ihre blutenden Arme, ihr geschlagener Rücken hatten selbst das Mitleid der Indianer von Javita erregt; ohne Wissen des Missionärs und des Alcaden hatten diese ihre drückenden und einschneidenden Fesseln gelockert; mit den Zähnen zernagte sie dieselben; es gelang ihr, dieselben abzustreifen, und während der Nacht entfloh sie. Auch jetzt wieder wurde den Indianern befohlen, sie zu verfolgen, aber in den überschwemmten Wäldern war ihre Spur nicht aufzufinden.

Inzwischen war der fromme Pater, der die Unglückliche von ihren Kindern getrennt und nach Javita gebracht hatte, nach San Fernando zurückgekehrt und endlich glaubte er die Mutter, welche von ihren Kindern nicht lassen wollte, in sicherm Gewahrsam. Eine Entfernung von fünfundzwanzig Meilen trennte sie von ihm, und kein menschlicher Fuß schien den Raum, der zwischen ihr und ihm lag, durchschreiten zu können.

Als die Sonne zum vierten Male aufging, sah man die unglückliche Mutter um die Mission von San Fernando, in welcher ihre Kinder eingeschlossen waren, schleichen. Als dies dem Präsidenten gemeldet wurde, hielt er es für unmöglich. Wie konnte Jemand in dieser Jahreszeit durch die Wälder dringen, wo der Boden überschwemmt war, wo düstere Wolken den Himmel bedeckten und Nachts kein Stern die einzuschlagende Richtung zeigte, wo die Sonne tagelang nur für einige Minuten zum Vorschein kam! Wie war es möglich, durch den Wald zu dringen, in welchem stachlige Lianen jeden Schritt hemmten, den zahlreiche tiefe Bäche durchströmten!

Er sandte seine Indianer aus, um die unglückliche Mutter aufzugreifen, für welche kein Hinderniß zu groß war, die Das ausgeführt hatte, wovor der kräftigste und unerschrockenste Indianer, der mit der Gegend vertraut war, zurückgebebt wäre – und diese erfaßten das arme Weib. Gefragt, schilderte sie die unsagbaren Beschwerden ihrer Wanderung, wie sie völlig erschöpft sich stets auf’s Neue aufgerafft, weil das Verlangen nach ihren Kindern ihre Kräfte belebt, wie sie während der vier Tage keine andere Nahrung zu sich genommen als Vachacos, große schwarze Ameisen, welche in langen Zügen an den Bäumen emporkrochen, um ihre harzigen Nester an denselben aufzuhängen, wie ihre nackten Füße von den Dornen der Lianen wundgerissen seien, wie sie alle Erschöpfung, Hunger und Schmerzen überwunden habe, um zu ihren Kindern zu gelangen.

Die Leser werden jetzt erleichtert aufathmen; der Gedanke, daß es der unglücklichen Mutter nun endlich gegönnt war, wieder mit ihren Kindern und ihrem Gatten vereint zu werden, wird sie beruhigen. Wenn ein Mensch, nur durch die Liebe geleitet, so Unsagbares erduldet und so Unglaubliches ausführt, muß er ja selbst das härteste Herz erweichen, der erbittertste Feind muß dadurch versöhnt werden – es kann kein Gemüth so grausam, so sehr entmenscht sein, um solchen Thatsachen gegenüber unbewegt zu bleiben.

Und der Präsident der Mision – der fromme Pater, der Jesuit, der Missionär, der ausgezogen war, um dem Christenthume, der Religion der Liebe, neue Jünger zu gewinnen? Der fromme Pater ließ der unglücklichen Guahiba nicht Zeit, um von ihren Wunden zu genesen und sich von ihren unsagbaren Beschwerden zu erholen; die Indianer mußten sie auf’s Neue blutig peitschen, dann wurde sie in ein Boot geschleppt und in eine Mission am oberen Orinoco gebracht, um dort besser bewacht zu werden. Am Orte ihrer neuen Gefangenschaft angekommen, wies die unglückliche Mutter, welche die Trennung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 87. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_087.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)