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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

unsicher gemacht hat, soll ein ‚Höherer‘ fortgeholfen haben just in dem Moment, wo ihn endlich die Gensdarmerie beim Kragen nehmen wollte –“

Ein spöttisch heiteres Lächeln flog hell und ausdrucksvoll über Mainau’s Gesicht hin.

„Ei, ist wirklich auch diese kleine Sünde zu Deinen Ohren gekommen, Onkel?“ fragte er. „Allen Respect vor dem Kunstgewebe der Spinne – wohin die unglückliche Fliege auch tritt, sie berührt einen heiklen Faden, der elektrische Schläge in das Centrum zurückführt. … Dieser Mensch, dieser Hesse, war wirklich ein lästiges Individuum – er schoß mir meine Capitalhirsche vor der Nase weg. Wenn es noch aus Passion geschehen wäre – ich hätte ein Auge zugedrückt – aber er that es aus Nothfi donc! … Ehemals war das freilich anders; da hatten die Herren von Schönwerth das gute Recht, solch einen Eindringling ohne Weiteres niederzuschießen und sich nach Belieben Handschuhleder aus seiner Haut gerben zu lassen. Himmel, muß das ein Machtgefühl gewesen sein! Die Haut des lieben Nächsten über seine Finger ziehen zu dürfen!“

Bei diesen letzten Worten drehte sich der Hofmarschall um und sah scharf prüfend nach dem Sprechenden; dann wandte er ihm ungeduldig den Rücken und stieß mit dem Stock tactmäßig gegen die bronzene Kaminverzierung, daß sie unablässig klirrte.

„Die meisten dieser unserer Standesvorrechte haben uns die fatalen modernen Ideen aus der Hand gewunden,“ fuhr Baron Mainau fort, „und was sie uns dafür bieten, will ich nicht. … Der Spitzbube, der den Laden ‚der Gevatter Schneider und Schuster‘ ausräumt, wird genau so gestraft, wie mein Sünder, mein Wilddieb – ei, das paßt mir nicht! Er wird eingesteckt, und weil er nach der Haft erst recht nichts zu beißen und zu brechen hat, da pirscht er mir schon am nächsten Abend wieder unverdrossen in meinem Revier. Da helfe ich mir, wie vordem, selber und schaffe den Burschen aus dem Wege – in Amerika schadet er mir nicht mehr.“

„Narretheien!“ murmelte der alte Herr grimmig, während Baron Mainau unbefangen an den Kaffeetisch zurücktrat und Leo’s Lockenkopf streichelte. „Nach Tische fahren wir aus, mein Junge; wir müssen doch der Mama die Fasanerie und die anderen Herrlichkeiten von Schönwerth zeigen – bist Du einverstanden, Juliane?“ fragte er. … Sie bejahte bereitwillig, ohne die Augen von der Stickerei zu heben, an der sie arbeitete.

Er brannte sich eine Cigarre an und griff nach seinem Hut. Liane erhob sich. „Darf ich für wenige Augenblicke um Gehör bitten?“ fragte sie. … Da stand sie wieder vor ihm, hoch, schlank, unnahbar vornehm; er sah in nächster Nähe die wundervoll belebte, weiße Sammethaut, wie sie das Rothhaar gern begleitet, er sah in die stahlfarbenen Augen, die den seinen so ruhig und leidenschaftslos begegneten. Höflich reichte er ihr den Arm.

„Nimm Dich in Acht, Raoul! Die schöne Frau hat eine ganze Tasche voll interessanter Neuigkeiten aus Rudisdorf mitgebracht,“ rief der Hofmarschall, scherzhaft mit dem Finger drohend, ihm nach. „Sie ist in ihren Familientraditionen bewandert, wie kaum ein Archivar. Ich habe eben hören müssen, daß ein Mainau Dienstmann bei den erlauchten Trachenbergern gewesen ist.“

Mainau ließ mit einer ungestümen Wendung den Arm sinken, auf welchem die Fingerspitzen seiner jungen Frau lagen. Schweigend, aber mit tiefverfinstertem Gesicht, schritt er allein nach der Thür, öffnete sie weit und ließ die junge Frau an sich vorübergehen.

Sie erhob die Augen erst wieder, als sie vor einer zweiten Thür mit einer Handbewegung aufgefordert wurde, einzutreten. Von dem pompejanischen Roth der entgegengesetzten Zimmerwand flog es ihr beim Eintreten wie eine weiße Wolke entgegen – jenes schwebende junge Wesen mit der eigensinnig hochmüthigen Wendung des reizenden Köpfchens, mit der flachen Brust, den schmalen Schultern und dürftigen Kinderarmen inmitten der täuschend hingehauchten, gelblichen Spitzenwogen sah in dem schweren Rahmen wie ein weißer Schmetterling aus, der, an einen Faden gebunden, vergebens strebt, weiter zu flattern. Das war die erste Frau, und Liane sagte sich unter leichtem Erschrecken, daß sie in Mainau’s Zimmer stehe. Halb und halb flüchtend näherte sie sich dem Fenster.

„Ich werde schnell zu Ende sein,“ sagte sie, den Fauteuil ablehnend, den er ihr hinschob. Sie blieb stehen und legte die Hand auf die Ecke des Schreibtisches, der in dem Fensterbogen stand; dabei stieß sie unwillkürlich an eine der großen Photographien, die im Medaillonrahmen die Tischplatte schmückten.

„Die Herzogin,“ sagte Mainau wie vorstellend, mit einem halben Lächeln und schob das Bild der üppig schönen Frau vorsichtig wieder an seinen Platz. Mit einem Ruck ließ er das Rouleau um ein Stück niedergleiten – ein schmaler Sonnenstreifen zitterte auf der Stirn der jungen Dame und zwang sie, die Augen niederzuschlagen. „Nun,“ sagte er, bei der Beschäftigung dem Fenster zugewendet, „darf ich Deine Wünsche hören, Juliane? Stehen sie wirklich in Beziehung zu Rudisdorf, wie der Onkel meinte? – Er war sehr schlechter Laune, der alte Herr – Deine Bemerkung hat ihn offenbar gereizt –“

„Nothwehr,“ versetzte Liane gelassen, aber sehr bestimmt.

„Wie, er hat es dennoch wieder gewagt, Dich zu kränken? Ich habe sein Wort –“

„Lassen Sie das!“ unterbrach sie ihn mit einer ihrer ruhig edlen Handbewegungen. „Ich halte den Mann für sehr krank und vergesse das keinen Augenblick. Der wirklichen Böswilligkeit aber werde ich so lange entschieden zu begegnen wissen, bis sie sich nicht mehr hervorwagt.“

Mainau sah über die Schalter zurück mit einer Art von grübelnder Prüfung in ihr Gesicht. „Das klingt sehr vernünftig,“ sagte er langsam. „Auf diese Weise werden wir den Frieden haben, den ich so sehnlich für mein Dasein wünsche. … Glaube mir, Nichts stört Einem das Behagen beim Reisen so consequent und gründlich, als wenn man sein Haus nicht so bestellt weiß, wie es sein sollte.“

„Darüber eben wollte ich mit Ihnen reden. Sie –“

Er lächelte heiter und belustigt. „Das geht aber wirklich nicht mehr, Juliane,“ unterbrach er sie. „Wer dieses Gespräch mit anhören könnte, der müßte doch laut auslachen. … Es hilft Dir nichts, einmal mußt Du Dich entschließen, das ‚Sie‘ mit dem ‚Du‘ zu vertauschen – schon um der Schloßleute willen, die darin nur einen ganz unpassenden Respectsausdruck sehen würden. Und den Nimbus will ich nicht, oder vielmehr – was schlimm, aber wahr ist – ich verdiene ihn nicht bei meinen vielen Fehlern.“

Wie unwillkürlich überflogen seine Augen bei diesen Worten den Schreibtisch und die tiefe Fensterwölbung, in welcher das große, prächtig geschnitzte Möbel stand. Liane folgte diesem Blicke. Es war in der That eine Schönheitsgalerie, die alle diese Bronzerahmen an der Wand umfaßten – hier und da ein schönes aristokratisches Frauengesicht mit schwärmerischem Augenaufschlag oder stolz zurückgeworfenem Kopfe und dazwischen Tänzerinnen in den verwegensten Stellungen und Toiletten. Inmitten des Tischaufsatzes aber, da, wo am passendsten Leo’s Bild gestanden hätte, lag auf weißem Sammetkissen und unter einer Glasglocke ein ziemlich verblaßter hellblauer Atlasschuh.

Der jungen Dame war diese Art von Cultus unter den Cavalieren nicht neu; ihre Mitschülerinnen im Stifte hatten genug davon zu erzählen gewußt; hier aber sah sie den ersten Beweis und erröthete heftig. Mainau bemerkte es.

„Reminiscenzen aus der unglücklichen Zeit, wo man ‚gerast‘ hat,“ sagte er heiter und klopfte mit dem Zeigefinger so hart an die Glasglocke, daß ein scharfer Ton durch das Zimmer schrillte. „Mein Gott, ich habe den Anblick herzlich satt – aber ‚ein Mann ein Wort!‘ … In einer begeisterungsvollen Stunde gelobte ich der Trägerin, diesen Zeugen ihrer Triumphe in Ehren zu halten, und da liegt er nun, und bei jedem Briefe, den ich schreibe, verwundet dieses blaue Gegenüber durch seine mehr als respectable Länge und Breite meinen Schönheitssinn und meine Eitelkeit, indem es mir sagt, ich sei dazumal doch ein ungewöhnlich dummer Junge gewesen. … Aber nun noch einmal, Juliane!“ brach er, ernster werdend, die Selbstironisirung ab. „Ich bitte Dich ernstlich, nunmehr in den unbefangenen Umgangston einzulenken, der Dir Deine Stellung im Hause weit mehr erleichtern wird, als Du denkst. … Wir wollen gute Freunde sein, Juliane, ein paar wackere Cameraden, die sich vertragen, ohne die gegenseitigen Ansprüche in das Bereich der Sentimentalität hinaufzuschrauben. Und Du sollst sehen – so

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 90. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_090.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)