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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

in seiner Stimme zu beachten. „Ich fürchte Onkel Gisbert’s Schatten nicht, möchte ihn aber wohl fragen, weshalb er gewünscht hat gerade hier zu sterben.“

„Das kann ich Dir auch sagen. Er hat einen letzten Blick auf sein Thal von Kaschmir werfen wollen,“ erwiderte er lebhafter. Er trat dicht neben sie und zeigte über sie hinweg nach dem Garten. „Dort unter dem Obelisken hat er sich begraben lassen. … Ach, Du kannst das Monument nicht sehen; es liegt zu sehr seitwärts – dort.“ Er nahm plötzlich ihren Kopf mit sanftem Drucke zwischen seine Hände, um ihrem Blicke die Richtung zu geben – seine Finger versanken tief in den rothgoldenen Haarmassen. Die junge Frau fuhr empor, schüttelte heftig seine Hände ab und starrte ihn mit weitgeöffneten Augen beleidigt, in unverstelltem Widerwillen an. Er stand einen Augenblick fassungslos vor ihr – eine dunkle Gluth schoß über sein Gesicht.

„Verzeihe! Ich habe Dich und mich erschreckt. … Ich wußte nicht, daß Dein Haar bei der Berührung solche Funken sprühe,“ sagte er mit unsicherer Stimme, indem er von ihr wegtrat.

Sie saß schon wieder und bückte sich über ihre Stickerei. Das war dasselbe ruhige „Insichzusammenschmiegen“ der elastischen Gestalt, wie vorher, aber Mainau fiel es nicht mehr ein, zu denken, daß diese Frau die Stiche ihrer Nadel zähle. Sein Auge haftete auf dem schmalen Streifen ihres Nackens, der erst so gleichmäßig perlmutterweiß zwischen den niederhängenden Haarflechten geleuchtet – jetzt sah er ein dunkles Rosenroth unter der Haut fließen. Er griff nicht wieder nach dem Hute, den er hingeworfen – er war erbittert über das unberechenbar hervorbrechende verneinende Element in „diesem rothhaarigen Frauenkopfe“, noch zorniger aber auf sich selbst, daß er im harmlosen Sichgehenlassen eine Niederlage erlitten, noch dazu durch eine ungeliebte Frau. Darüber hinweg half nur ein völliges Ignoriren des Geschehenen.

„Ich möchte wirklich wünschen, Onkel Gisbert könnte wiederkommen und da hinabsehen,“ sagte er, in den spukhaften Fensterbogen tretend – er sprach sehr ruhig. „Dreizehn lange Jahre liegt er dort unter dem rothen Marmor; unterdeß haben seine indischen Pflanzenlieblinge unter dem nordischen Himmel eine Ausdehnung erreicht, wie er sie vielleicht selbst nicht geträumt hat. Das ist auch häufig ein streitiger Punkt in Schönwerth. Die ganze Pflanzenherrlichkeit muß mit dem Eintreten der rauhen Jahreszeit unter riesige Glashäuser gesteckt werden, und die exotische Thierwelt verlangt sorgfältige Pflege. – das kostet viel Geld. Der Onkel macht jedes Jahr neue Anstrengungen, die kostspielige Schöpfung womöglich von der Erde wegzurasiren, und ich leide entschieden nicht, daß auch nur ein Blatt abgepflückt wird.“

„Und das Menschenleben, das der deutsche Edelmann unter den nordischen Himmel entführt hat?“ fragte sie hinüber – ihre melodische Stimme verschärfte sich.

Er stand rasch wieder neben ihr. „Du meinst die Frau im indischen Hause,“ sagte er. „Da, sieh Dir einmal den Burschen an!“ – Er deutete auf Gabriel. Leo war auf den Rücken des Knaben gesprungen. Die feingliedrige Gestalt des improvisirten Pferdes bog sich geduldig trabend unter dem wilden Peitschenschwinger. – „Das ist der Typus der Menschenrace, die als kostbarstes Kleinod über das Meer gebracht worden ist – feig, hündisch unterwürfig und treulos, sobald die Verführung an sie herantritt. … Der Knabe ist mir unsäglich zuwider. Ich würde ihm ein paar blaue Flecken der Satisfaction auf dem Rücken meines Jungen weit eher verzeihen, als diesen hündischen Unterwerfungstrieb hinter einem gottähnlichen Menschengesichte. … Leo, wirst Du gleich heruntergehen!“ schalt er hart, mit grimmig gerunzelten Brauen zur offenen Thür hinaus.

Gabriel stieg eben die letzten Stufen herauf. Er war sehr erhitzt durch die unruhige Last, die er auf seinen Schultern treppauf getragen; trotzdem erschien sein Gesicht bleich, wenn auch die schöne Linie des Ovals so fest und gesund verlief, als begrenze sie gelbangehauchten Marmor.

„Mache, daß Du heimkommst!“ befahl Baron Mainau barsch und drehte ihm den Rücken.

Das kindlich naive, und doch melancholische Lächeln, das beim Ersteigen der letzten Stufe um die ausathmenden Lippen des Knaben geflogen war, verschwand – der Schrecken trieb ihm den letzten Blutstropfen aus dem Gesichte. Es durchschnitt der jungen Frau das Herz, zu sehen, wie er trotzdem mit zärtlicher Aufmerksamkeit das Kind des harten Mannes auf den Boden gleiten ließ, wie er sich nicht versagen konnte, noch einmal scheuliebkosend mit der geschmeidigen Hand über Leo’s Lockenkopf hinzustreichen. … Der arme Prügelknabe! Seine junge Seele war in die Hand der strengen Kirche und der orthodoxesten Aristokratie gegeben, und der herrische Mann dort, der sie mittelst seiner Energie beschützen konnte, er trat blind und vorurtheilsvoll in tödtlicher Verachtung auch noch mit dem Fuße darauf.

„Gute Nacht, mein liebes Kind!“ rief sie hinaus, als der Knabe unhörbar die Treppe hinabhuschte. Zugleich legte sie ihre Arbeit zusammen und erhob sich. Im Bewußtsein ihrer vollkommenen Einflußlosigkeit ließ sie kein Wort zu Gunsten des mißhandelten Kindes fallen, aber so, wie sie jetzt dastand, war ihre ganze Erscheinung ein Protest gegen das Verfahren des rauhen Schloßherrn.

Er sah sie einen Augenblick schweigend von der Seite an; dann bemühte er sich, seine Cigarre auf’s Neue in Brand zu stecken.

„Siehst Du die köstliche Musa dort?“ fragte er kalt und zeigte nach einer der Bananen im indischen Garten. „Sie strebt dankbar empor zu dem kalten Himmel, während das fremdländische Menschengeschmeiße sich sofort hinabverirrte bis in die Region der – Stallbedienung. Da kenne ich kein Erbarmen.“

Die junge Frau stand mit dem Rücken nach ihm und ordnete die Stickwolle im Arbeitskorbe – sie hob die Wimpern nicht.

„Willst Du wohl die Güte haben, mich auch einmal anzusehen?“ sagte er plötzlich streng. Er fiel zum ersten Male aus dem Umgangstone des guten Cameraden und sprach als Herr und Gebieter – er war beleidigt. „Es hätte noch gefehlt, daß sich meine Frau mit dem ganzen Rüstzeuge ihrer tugendhaften Verachtung, ihres moralischen Uebergewichts umgürte, um dieses – Bastards willen!“

Ein ähnlicher Schrecken durchfuhr sie wie daheim, wenn unvermuthet die gebieterische Stimme der Mutter ihr Ohr berührt hatte. Sie wandte ängstlich das entfärbte Gesicht nach ihm – in diesem Augenblicke der Bestürzung war es das lieblichste, unschuldigste Mädchengesicht, das mit großen, erschreckten Augen zu ihm hinsah.

Sein Blick voll Aerger und Verdruß milderte sich sofort.

„Mein Gott, wie blaß Du bist, Juliane! Du siehst mich ja mit Augen an, wie Rothkäppchen den bösen Wolf. … Nun ist’s wohl auch um unser gutes, cameradschaftliches Einvernehmen geschehen – wie? – Das sollte mir leid thun,“ sagte er mit einem Achselzucken des Bedauerns, als wollte er seine Angst um die sorgfältig cultivirte Langeweile im Schlosse Schönwerth ausdrücken.

„Ich will Dich ein wenig über die Verhältnisse aufklären,“ setzte er hinzu, nachdem er einmal im Salon rasch auf- und abgeschritten war. „Als Onkel Gisbert nach langer Abwesenheit in die deutsche Heimath zurückkehrte, war ich ein Knabe von vierzehn Jahren, der den ‚indischen Onkel‘ vergötterte, ohne ihn je gesehen zu haben. Man wußte, daß er sein Erbtheil auf dem Handelswege vertausendfacht hatte; man erzählte sich Dinge von seinem Leben und Treiben, die recht gut unter den Märchen von ‚Tausend und einer Nacht‘ hätten figuriren können – und doch, als er Schönwerth noch von Benares aus ankaufen und nach seinem Sinne einrichten ließ, da sperrten die Pfahlbürger unserer guten Residenz Mund und Nase auf. … Ich werde ihn nie vergessen, niemals – den schönen Mann mit den eigenartigen Geberden und dem genialen Kopf, in welchem bereits die finsterste Schwermuth brütete. Sein Thal von Kaschmir war sein Idol, und hinter dem Drahtgitter athmete ein Wesen, das er vom Reisewagen in die Sänfte und von da in das indische Haus hatte tragen lassen, und die so glücklich gewesen waren, ‚die blasse Lotosblume des Ganges‘ während dieser Procedur auf den Armen zu halten, sie schwuren, es sei kein Frauenleib, sondern ‚eine Nixe aus Luft und Duft zusammengeblasen‘ gewesen.“

Den Eindruck machte es noch, jenes fremdländische Geschöpf, das, halb Weib, halb Kind, drüben auf dem Rohrbette lag, eine Luftgestalt, die scheinbar nur die metallenen Ketten und Ringe an der Erde festhielten.

„Außer dem Onkel Hofmarschall und dem Hofprediger, der damals noch ein simpler Caplan war, verkehrten nur Wenige in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_106.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)