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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Schloß Schönwerth – die stolze Haltung des Besitzers scheuchte Alles zurück,“ fuhr Mainau fort. „Ich selbst habe nur einmal die Gunst genossen, ihn auf drei Tage besuchen zu dürfen – und da erging es mir wie den neugierigen Frauen im ‚Blaubart‘.“ Er lachte belustigt vor sich hin und stippte die Asche von seiner Cigarre. „Um Blut und Leben ging es freilich nicht, aber der Onkel verbat sich einfach das Wiederkommen. … Die Indierin hinter dem Drahtgitter spukte mehr, als gut war, in meinem heißen Jungenkopfe. – Bekreuze Dich, Juliane! Es ist ein toller Reigen von Narrheiten um der Frauenschönheit willen, auf den ich zurückblicken muß – ich bin durch reißende Flüsse geschwommen, um eine weggewehte Busenschleife zu erhaschen, und habe landesüblich Champagner aus Balletschuhen getrunken – warum sollte ich da nicht auch über das Drahtgitter von Schönwerth klettern, um das Weib zu sehen, das Onkel Gisbert ‚wie toll‘ lieben sollte? Die Thür war zwar nicht verschlossen, und die ‚Lotosblume‘ wurde nichts weniger als in Gefangenschaft gehalten; aber ich bin überzeugt, sie hat von dem bartlosen Neffen ihres Herrn und Gebieters nicht belästigt sein wollen, und deshalb war mir das Umherwandeln im Thale von Kaschmir verboten. … Nun also, ich kroch unter stürmischem Herzklopfen durch das Gebüsch und sah nicht eher auf, als bis – der Onkel vor mir stand. Er sagte kein Wort; aber der mitleidig lächelnde Spott, der seine düsteren Augen für einen Moment förmlich erhellte, beschämte mich dergestalt, daß ich meinen ganzen gewaltigen Jünglingsstolz vergaß und schleunigst Fersengeld gab. … Noch denselben Morgen hielt, ohne daß ich Befehl gegeben, mein Reisewagen vor dem Schönwerther Schloßthore; der tödtlich bestürzte Junge wurde von dem Onkel unter freundlichem Abschiedsgruße ohne Weiteres hineingeschoben und in das Institut zurückgeschickt – das war kaltes Wasser.“

Er trat lächelnd in das Fenster und sah hinüber nach dem indischen Garten. Es dämmerte stark – das niedrige Rohrdach des indischen Hauses verschwamm bereits mit den Wipfeln der Rosenbäume, und nur auf den goldglänzenden Kuppeln des Tempels sammelten sich noch schwarze Reflexe des verlöschenden Abendlichtes.

„Ich habe den Onkel erst wieder gesehen,“ sagte er nach einer Pause sich umwendend, „als sein letzter Wunsch erfüllt werden sollte, als der Arzt im Begriff war, seine Leiche mit einem zersetzenden Präparat zu tränken. Man hatte mich von der Universität zur Beisetzung nach Schönwerth berufen. … Da lag er entstellt in weißen Atlasdecken – statt der Rosendüfte von Kaschmir flossen häßliche Weihrauchwolken über ihn hin; kein Nachtigallenton drang durch die schwarzumhüllten Fenster – dafür umflüsterten ihn gemurmelte Gebete, und aus geistlichem Munde wurde er gepriesen, daß er zur rechten Stunde noch aus der Irre auf den wahren Heilsweg zurückgekehrt sei – unrühmlich genug für diese Dogmen“ – unterbrach er sich grollend – „daß die Seele sie erst annimmt, wenn sie vom kranken Körper angesteckt ist, wenn alle Nervensaiten verstimmt und gebrochen sind und das arme Gehirn urtheilslos und beängstigt in den Nebelwolken des herannahenden Todes schwimmt! – Ja, das war das Ende, der jammervolle Schluß eines märchengeschmückten Lebens voller Ideale.“

Die junge Frau stand noch vor dem Arbeitskorbe – sie war sich selbst nicht bewußt geworden, daß sie die bunten Wollsträhne unzählige Male aus- und eingepackt hatte. … Dort wölbte sich der mächtig geschwungene Fensterbogen, in welchem Onkel Gisbert gestorben war, gestorben mit dem Blicke auf seine irdische Schöpfung, und mit diesem Bilde „aus der Irre“ war die Seele heimgegangen, trotz aller Weihrauchwolken und sonstigen kirchlichen Apparate und Anstrengungen… Ein graues, spukhaftes Dämmerlicht kroch in Fensterbreite über das Parquet und ließ in schwarzen Umrissen ein riesiges Kreuz auf die Eichentafeln fallen; es floß auch über den erzählenden Mann, dessen Stimme alle Register von der heitersten Selbstverspottung bis zum Ingrimm durchlaufen hatte.

„Ich wußte, daß ein Kind im indischen Hause geboren worden war,“ fuhr er nach einem augenblicklichen Schweigen fort. „Ich hatte es auch auf dem Arme der Frau Löhn gesehen – damals rührte mich das kleine Geschöpf mit dem melancholischen Gesichte. … Es war kein Testament da, und nach meiner moralischen Ueberzeugung war der Knabe als erster Erbe anzusehen. Ich sprach Das aus – da wurde mir ein Zettel vorgelegt. Onkel Gisbert war an einem furchtbaren Halsübel gestorben; er hatte schon monatelang vor seinem Tode kein Wort mehr gesprochen und sich nur noch mittelst der Feder verständlich machen können – solcher Zettel sind viele da – hier“ – er zeigte auf einen Rococoschreibtisch mit hohem Aufsatze – „in diesen sogenannten Raritätenkästen des Hofmarschalls sind sie aufbewahrt. Jener eine Zettel verstieß in strengen Worten die Frau im indischen Hause als eine Treulose und verlangte auf das Bestimmteste, daß ihr Knabe im Dienste der Kirche erzogen werde. Dagegen ließ sich nichts thun, und ich wollte auch gar nicht mehr; ich war empört und bin es noch heute, daß selbst ein Mann wie er unter der Schlangenfalschheit des Weibes schwer leiden mußte. … Der Onkel und ich waren die rechtmäßigen Erben. Wir traten die Hinterlassenschaft an. … Nun war ich selbst Herr im indischen Garten; nun trat sie mir nicht mehr entgegen, die prächtige Gestalt des Onkels, mit ruhig verschränkten Armen und dem feurigen Schwerte des Spottlächelns – und im Hause mit dem Rohrdache lag die vergötterte Lotosblume wie von einem rächenden Blitzstrahle getroffen –“

„Nun durftest Du sie sehen,“ kam es wie unwillkürlich von Lianens Lippen.

Er fuhr mit einer Geberde voll Abscheu herum.

„Meinst Du? – Mit nichten! Ich war geheilt für immer! Ein treuloses Weib stoße ich nicht mit der Fußspitze an. Und dann“ – er schüttelte sich – „ich kann keinen so kranken Menschen sehen; jede gesunde Fiber in mir empört sich dagegen. … Die Frau ist wirr im Kopfe, gelähmt an allen Gliedern und schreit zu Zeiten, daß Einem die Ohren gellen – sie stirbt seit dreizehn Jahren. – Ich habe sie nie gesehen und vermeide, so viel ich kann, den Weg am indischen Hause.“

Liane legte den Deckel auf den Korb und rief nach Leo, der sich unterdessen mit Steinwerfen drunten auf dem Kiesplatze die Zeit vertrieben hatte. Während Mainau’s Erzählung war ihr gewesen, als müsse sie zu ihm treten und, das Geschilderte warm miterlebend, zu ihm aufsehen – nun zischte der häßliche Schlangenkopf des empörendsten Egoismus plötzlich wieder empor und trieb sie weit weg von dem Uebermüthigen, der im unüberwindlichen Kraftgefühle sich selbst gegen jede Heimsuchung gefeit wähnte, und das ihn widerwärtig Berührende ohne Weiteres bei Seite schob, um sich den Lebensgenuß in keiner Weise verkümmern zu lassen.

„Sage dem Papa gute Nacht, Leo!“ ermahnte sie den Knaben, der stürmisch auf sie zuflog und sich an ihren Arm hing.

Mainau hob ihn empor und küßte ihn. „Nun wirst Du nicht wieder nach der Frau im indischen Hause fragen, Juliane?“

„Nein.“

„Ich hoffe auch nie mehr das oppositionelle und zärtliche ‚Gute Nacht, mein liebes Kind‘ zu hören. Du begreifst, daß ich so handeln muß –“

„Ich bin langsam im Denken und brauche Zeit, um mir ein Urtheil zu bilden,“ unterbrach sie ihn. Sie verbeugte sich leicht und verließ mit Leo den Salon.

„Schulmeister!“ murmelte er verdrießlich zwischen den Zähnen, indem er ihr den Rücken wandte. … „Bah, sie paßt vortrefflich,“ dachte er gleich darauf erheitert und rief nach seinem Pferde. Er ritt noch nach der Residenz, um den Spätabend und die Nacht dort zu verbringen.

Eine Stunde später sagte er im adeligen Casino zu Freund Rüdiger: „Ich habe das große Loos gezogen: Meine Frau singt nicht, malt nicht und spielt auch nicht Clavier. – Gott sei gedankt, ich werde nie durch Dilettantenaufdringlichkeit ennuyirt! … Sie sieht manchmal hübscher aus, als ich ihr anfänglich zugetraut; aber sie hat keinen Esprit und nicht die geringste Neigung zum Coquettiren – sie wird nie gefährlich werden. … Bei weitem nicht so beschränkt, wie ich meinte, und viel weniger sentimental, denkt sie doch sehr langsam und wird ihre im Pensionate empfangenen Anschauungen mit der zähen Beharrlichkeit phantasieloser Menschen zeitlebens festhalten – desto besser für mich! – Ihre Briefe an mich kann ich jetzt schon analysiren – steife Stilübungen einer ernsthaften Pensionairin mit Wirthschaftsberichten als Vorwurf – sie werden mir keine schlaflose Nacht verursachen. … Leo hat sich sehr an sie attachirt und lernt gut, und dem Onkel scheint sie zu imponiren durch ihre Ruhe, ihre

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_107.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)