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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Aufgabe unterzogen haben, alle ihre Mitbürger reich zu machen, bis jetzt gewartet. Denn es steht nächstens eine Wahl von Abgeordneten nach der Staatslegislatur und nach dem Vereinigten-Staaten-Congresse bevor. Die Bahn aber ist für die Entwickelung des Staates, wenn nicht für seine Existenz unentbehrlich, und die Vereinigte-Staaten-Regierung würde auf irgend eine haarscharf nachgewiesene Weise durch den Bau derselben jährlich Millionen gewinnen. Man muß daher den Congreß und die Staatslegislatur wenigstens um Landschenkungen, womöglich aber um Unterstützung durch Bonds angehen. Es müssen deshalb blos Leute als Abgeordnete gewählt werden, die das Wohl des Staats im Auge haben und die ganze Bedeutung des Projects verstehen und zu würdigen wissen. Wer verstände dies aber besser als die Herren Scharf, Schneid etc., das heißt Mitglieder des Ringes oder der Actionäre. Gewöhnlich gelingt es diesen denn auch in der That – durch welche Mittel mag hier übergangen werden, da es mich zu weit führen würde und zu tief in den Schmutz, der die Hallen des Congresses und der Staatslegislaturen umgiebt.

Ist man so weit gelangt, so wird eine hübsche runde Summe erste Hypothekenbonds angefertigt (in dem oben angeführten Falle der St. Joseph- und Denver-City-Bahn mit eintausendvierhundert Dollars gezeichnete Actien nur für nahezu sieben Millionen), und nun reisen die Herren Speculanten, mit Hypothekenbonds, Staats-, Grafschafts-, Stadt- und Dorfschuldscheinen beladen, nach New-York. Sie reisen wie Prinzen und kehren in den ersten und theuersten Gasthöfen ein. Es wird dafür gesorgt, daß ihre persönliche und ihres Unternehmens Bedeutung in den sofortigen Ankündigungen eines oder mehrerer der ersten Tagesblätter nicht zu kurz kommen. Bald erfährt man, wenn nicht Grund vorhanden, es zu verheimlichen – und dies sind die bedenklichsten Fälle –, daß diese oder jene Bank, ein Banquier oder Stockjobber den Vertrieb jener Papiere übernommen. Im Anfange und so lange das Manöver dem Publicum weniger bekannt oder der damit beabsichtigte Betrug nicht so offenbar war, fanden dieselben in den Vereinigten Staaten willige Käufer. Farmer, Handwerker, Wittwen zeigten besonderes Vertrauen dazu und zogen es vor, ihre Ersparnisse in denselben statt in den blos sechs Procent Zinsen zahlenden Sparbanken anzulegen.

Allein bald bemächtigte sich ein sehr still wachsendes Mißtrauen der Masse Derjenigen, welche Geld in kleineren Beträgen anlegen. Das Manöver zog nicht mehr recht – es mußte ein anderes Feld gesucht werden. Da war ja ganz Europa, strotzend von Schätzen: England, das unerschöpfliche; Frankreich, das nach jedem Falle kräftiger sich wieder erhob; Deutschland, das, von der Wünschelruthe des Zauberers Chase vor einigen Jahren berührt, erst anfing zum Bewußtsein seiner Vermöglichkeit zu gelangen. Germany above all!! (Deutschland vor Allem) war der Traum und nicht selten der Spruch der verzweifelten Eisenbahnschwindler. Englisches Capital hatte bereits etwas unangenehme Erfahrungen hier (Erie-Eisenbahn), in Canada (Stille-Meer-Bahn), in Central-Amerika (Honduras- und Costarica-Bahn) gemacht. In Frankreich braute es etwas drohend. Aber die Deutschen, denen noch der Mund überlief von dem hübschen Geschäfte, das sie in Vereinigte-Staaten-Fünf-Zwanzigern gemacht, die keine amerikanischen Zeitungen lesen, die nichts von amerikanischen Verhältnissen wissen und verstehen und so ehrlich sind, daß sie solche Schwindeleien für unmöglich halten, ohne ein Einschreiten der Behörden zu veranlassen – das sind unsere Leute. Und wie leicht macht sich die Sache! Haben wir nicht Hunderte von deutschen Häusern ersten Ranges hier? und wenn diese die Sache nicht im rechten Lichte sehen wollen, so können ja einer oder mehrere unserer unternehmenden Unternehmer einen kurzen dreimonatlichen Ausflug nach Frankfurt und Berlin machen. Ja, so geschah es, und die Yankees hatten richtig gerechnet – Millionen und abermals Millionen Dollars befinden sich heute in den Händen von Deutschen in Actien, die nicht das Papier werth sind, auf das sie gedruckt wurden.

Es ist hier natürlich unmöglich, schon der Raum verbietet es, in jedem einzelnen Falle nachzuweisen, was aus den durch den Papierverkauf erzielten ungeheuren Summen geworden, doch will ich den Versuch machen, meinen Lesern wenigstens einen oberflächlichen Einblick zu geben. Dieselben muß ich vor Allem vor der altmodischen Idee warnen, als sei es die Absicht jener Leute, überhaupt Eisenbahnen zu bauen. Bewahre: sie wollen einfach stehlen; der Eisenbahnbau ist blos der Lockvogel, um Gimpel heranzuziehen, und der Vorwand wird blos so lange und so weit festgehalten und vorgeschoben, wie der Endzweck es dringlich erheischt. Die Gesetze und Gerichte kümmern sich so wenig oder so unvollständig darum, daß der Vereinigte-Staaten-Schatz selbst noch allhalbjährlich die ihm abgeschwindelten Zinsen der Eisenbahn nach dem Stillen Meere bezahlen muß, obwohl er schon weit über sechszig Millionen derselben für die zwei Gesellschaften vorgeschossen und nicht die entfernteste Aussicht auf Wiedererstattung hat. Und nun zu den versprochenen Andeutungen:

1) Es ist leicht begreiflich, daß ein Haus, welches sich mit einem derartigen Unternehmen abgiebt und seinen Namen damit in Verbindung bringt, dies nicht ohne eine hübsche runde Commission thut. Es ist ein ganz Anderes, die Schuldscheine eines Unternehmens gleichsam als Pflegevater auf den Markt zu bringen oder in den auf dem Markte befindlichen zu speculiren. Das Letztere thut Jeder, je nach den Constellationen und seinen Berechnungen; das Erstere führt eine gewisse moralische Verantwortlichkeit mit sich, die auf sich zu laden früher gute Häuser sehr zögerten. In dem mehrangeführten Falle der St. Joseph- etc. Bahn betrug der Verlust an Papieren zum Gesammtwerthe von sieben Millionen achthundertfünfzigtausend Dollars fast genau zwei und eine halbe Million, also etwa dreiunddreißig Procent. Dies ist so ziemlich ein durchschnittlicher Satz, manchmal etwas höher, ein anderes Mal etwas niedriger.

2) Der oben erzählte Gang des Unternehmens macht es unumgänglich, die active Hülfe einer großen Menge von Mittelspersonen zu gewinnen, entgegenstehende Interessen abzukaufen und principiellen oder speculativen Gegnern den Mund zu stopfen. Alle diese Elemente aber verstehen das Spiel vollständig, und da sie die Unternehmer auf Millionen Jagd machen sehen, so stellen sie ihre Forderungen demgemäß. Vom gewöhnlichen Wirthshauspolitiker und Wahlrowdy durch die Reihe der einflußreichen Männer, Stadträthe, Grafschaftscommissäre und Richter bis zum Abgeordneten in der Staatslegislatur und im Congreß und dem unentbehrlichen Lobbyisten hält Alles die Hände auf, und manches Hunderttausend wandert dahin, natürlich in Schuldscheinen oder auf die Realisirung des Projectes gestellten Versprechungen, damit alle diese Leute und ganz besonders die Presse mit den Unternehmern „in ihres Glückes Schiff steige“.

3) Der unverkäuflich bleibende Theil der Schuldscheine wird an in- und ausländische, besonders englische Lieferanten von Schienen, anderen Eisentheilen, Locomotiven, Wagen u. dgl. als Theilzahlung abgeliefert.

4) Wie sich aus dem oben über den Ursprung des Unternehmens Gesagten ergiebt, besteht eigentlich gar keine Eisenbahngesellschaft im deutschen Sinne mit den von den Actionären gewählten Collegien der Directoren und Verwaltungsräthe. Die „kühnen“ Unternehmer mit den wenigen oft blos euphemistisch so genannten Actionären haben das Ganze in’s Leben gerufen und betrachten sich also auch vollständig berechtigt, ohne alle Controle und ganz nach ihrem Gutdünken mit ihren zusammengebrachten Mitteln zu wirthschaften. Sehr natürlich und entschuldbar halten sie sich selbst und alle ihre Verwandten bis zum fernsten Grade berechtigt, zuerst jeden möglichen Privatvortheil zu ziehen. In dem vielseitigen Geschäftsbetriebe wird eine an’s Unglaubliche grenzende Verschwendung in Gehältern und Beamtenpersonal organisirt, und die Verschleuderung und das Raubsystem hat keine andere Grenze als blos die durch die Erwägung gezogene, es nicht zu toll zu treiben, damit man nicht die Gans schlachte, bevor sie noch Zeit gehabt, alle ihre goldenen Eier zu legen.

5) Mit dem Beginne des Baues und den fällig werdenden ersten Zinsen für die ersten Hypothekenscheine wird es nöthig, auf der Zinszahlung durch die Städte, Grafschaften etc. zu bestehen. Diese, denen mittlerweile einige Streiflichter aufgegangen, machen allerlei Einwendungen, weigern sich zuletzt. Die Folge sind zahlreiche, weitläufige und kostspielige Processe.

Man kann als ziemlich sicher annehmen, daß die ursprünglichen Unternehmer und Unterzeichner inzwischen die von ihnen genommenen oder unterschriebenen Antheile veräußert haben. Dies ist wohl meistens und namentlich dann der Fall, wenn das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_111.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)