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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Gebirgsbauer führt, in den langen Wintermonaten während seines Nichtsthuns ausgeklügelt werden.

Die häuslichen Beschäftigungen des Gebirgsbauern werden übrigens durch Arbeiten in den Wäldern, den Transport des Bergheues und die Besorgung des Milchverkaufes unterbrochen. Von hochgelegenen und mit wilden tiefen Schluchten durchzogenen Waldparcellen wird das im Sommer gefällte Holz meist im Winter abwärts geführt, da der Transport desselben in vielen Fällen wegen ungünstiger Terrainbeschaffenheit nur dann vorgenommen werden kann, wenn eine feste Schneedecke den Gebrauch von Schlitten gestattet. Im Sommer würden die schweren Holzfuhren und mehr noch das Abwärtsschleifen der Stämme über die steilen Bergwiesen den weichen Boden aufwühlen und die Holzbeförderung sehr erschweren. Das Bergheu, welches auf den steilsten, hochgelegenen Wiesen im Herbst gemäht und in kleinen Städeln, den sogenannten Schinten, die zu Tausenden im Hochgebirge zerstreut liegen, aufbewahrt wird, bringt man ebenfalls erst im Winter thalabwärts. Man bedient sich dabei kleiner Schlitten oder wendet noch häufiger das „Schalenkern“ an, eine originelle, allerdings nur den Bergsöhnen gefahrlos erscheinende Speditionsweise. Man bindet dabei das Heu zu großen, centnerschweren Ballen zusammen, verschnürt diese fest mit Stricken und reiht dieselben zu drei bis vier mit Seilen aneinander. Diese zusammengehängten Bündel bringt man an steile und tief gegen das Thal absteigende, schneebedeckte Bergblößen. Ein starker Ruck reicht hin, um die Ballen in sausenden Galopp zu versetzen; mit Windeseile gleiten dieselben über die glatte gefrorene Fläche, und hoch stieben die glänzenden Schneeflocken in die Luft; nach wenigen Secunden hat das eigenthümliche Fuhrwerk einen Weg von vielen tausend Fuß zurückgelegt. Will sich nun der Bergler einen besondern Spaß machen, so setzt er sich auf einen dieser Bündel und fährt mit ihm jauchzend in die Tiefe. Allerdings kommt es vor, daß durch Unebenheiten des Bodens oder unrichtige Vertheilung des Gewichtes der einzelnen Ballen der Schlittenfahrer plötzlich aus dem Sattel geworfen wird und dann über die steile Schneefläche mit größter Geschwindigkeit abwärts kollert. Wenn ihm dies passirt, so gewärtigt er übrigens nur, daß er von seinen Cameraden, die, hoch oben am Ausgangspunkt der Schlittenbahn stehend, seine Fahrt aufmerksam verfolgten, tüchtig ausgelacht wird.

Wie schon erwähnt, beschäftigt den Gebirgsbewohner, besonders im Allgäu, auch während des Winters der Verkauf von Milch und die Käseproduction. In den meisten Gebirgsdörfern bildet die „Sennkuchn“ das Centrum, in welchem alle Bestrebungen des Bauern zusammenlaufen. Dieselbe stellt gleichsam die Sennhütte des Thales vor. Wie man im Sommer hoch oben in der auf grüner Fläche gelegenen Alpenhütte die Milch, das Haupterträgniß der Viehzucht in den Bergen, in Käse und Butter verwandelt, so wird auch im Winter in der Sennküche die aus allen Stallungen des Dorfes zusammengetragene Milch zum größten Theil in dem riesigen kupfernen Kessel zu Käse verarbeitet, zum geringeren Theil im blanken Butterfasse zu Butter gerührt. Täglich zweimal zu bestimmten Stunden tragen junge Mädchen und Bursche die frischgemolkene Milch auf dem Rücken in blechernen oder hölzernen Butten zur Sennerei, und selbst von entfernteren Gehöften wandeln die jugendlichen Träger und Trägerinnen durch den tiefen Schnee zur Sennküche. Schon Morgens prasselt das Feuer lustig unter dem rußigen Kessel, der mit Ketten am mächtigen hölzernen Krahnen aufgehängt ist. Der Obersenn, dem die Leitung der Käserei obliegt, eine wichtige Persönlichkeit, ist sich seiner Würde und Bedeutung wohl bewußt. Mit Leichtigkeit wendet der starke Bergsohn die über einen Centner schweren Käslaibe, welchen er in Bezug auf Aufbewahrung, Einsalzen etc. die größte Sorgfalt zu Theil werden läßt. In seinem Reiche herrscht er mit unumschränkter Machtvollkommenheit, welche nur durch die von den klugen Gebirgsbauern mit ihm abgeschlossenen Verträge über seine Regentenpflichten einigermaßen eingeschränkt wird. Mit Vorliebe trägt er gleichsam als Zeichen seiner Herrscherwürde eine rothe fezartige Kappe mit langer Troddel auf dem mit kräftigem Vollbart umrahmten Kopfe. Unmittelbar unter seinen Befehlen stehen im Sommer Hirten, Melker und der Untersenn, welch Letzterer auch im Winter seinen Gehülfen bildet.

Wenn es während der Wintermonate in den einsamen Dörfchen auch sonst still und ruhig ist, so entwickelt sich doch immer in der Sennerei einiges Leben. Aus dem niedrigen Gebäude leuchtet der rothe Feuerschein auf die fest gefrorenen Schneeflächen; am Kessel hantiren hemdärmelig die kräftigen Gestalten der Sennen, und um das flackernde Feuer versammeln sich die Milchträger mit ihren Butten und verplaudern unter lustigen Scherzen manches Stündchen in dem rußigen, niedrigen Raume.

Mit den geschilderten Beschäftigungen ist übrigens das Leben und Treiben der Bergbewohner während des Winters noch nicht vollständig abgeschlossen. Es werden nämlich außerdem in vielen Gegenden des Hochgebirges auch verschiedene Arten von Hausindustrie gepflegt, wozu jedenfalls die Wintermonate, in welchen die Arbeiten im Freien größtenteils eingeschränkt werden müssen, Veranlassung gegeben haben. Im Allgäu wurde früher besonders lebhaft Leineweberei betrieben, und dieselbe bildete die Hauptbeschäftigung während der strengen Jahreszeit. Der Webstuhl schnurrte in jedem Hause, denn damals hatte dieser Industriezweig nahezu dieselbe Bedeutung, wie gegenwärtig die Käseproduction. Alljährlich wurden die gefertigten Gewebe zur Leinwandbeschau gebracht, mit welchem Namen man die Leinwandmärkte bezeichnete, die vorzugsweise in Immenstadt abgehalten wurden. Mit dem Emporblühen der Käserei gewann die Graswirthschaft mehr und mehr an Bedeutung, der Anbau von Flachs wurde aufgegeben und die Leineweberei eingestellt. Dafür rief die Käseproduction eine andere Winterbeschäftigung hervor, nämlich die Fertigung hölzerner Geräthschaften für die Sennerei. Aus dem weißen Holze der Bergtannen und dem festen, mit engen Jahresringen durchzogenen Holze des Gebirgsahorns schnitzte man besonders im Allgäuer Oberlande Butter- und Milchfässer, Milchkübel, Stotzen, in welchen die Milch zum Aufziehen des Rahmes im Keller aufbewahrt wird, Käseschueffen zum Abnehmen der Sahne, Melkstühle u. dgl.

Der weibliche Theil der Gebirgsbevölkerung beschäftigt sich im Allgäu, besonders aber in den Bergen des Bregenzerwaldes mit Weißstickerei. Die Stickerinnen, welche im Sommer vor dem schindelgepanzerten Gebirgshause unter schattigen Bäumen ihre Beschäftigung ausüben, sammeln sich im Winter in der gemüthlichen Wohnstube und kommen in Dörfern abwechselnd in dem einen oder anderen Hause in größerer Zahl zusammen um mit munterem Geplauder ihre Arbeit zu verkürzen. Tritt man in ein Bregenzerwälderhaus, so trifft man oft ein Dutzend Mädchen und Frauen in emsiger Thätigkeit vor ihrer Stickerei, welche über einen kreisrunden Rahmen, das Tambourin, gespannt und auf einem drehbaren senkrechten Stocke befestigt ist. Hier begegnet man jenen feingeschnittenen, von dichtgeflochtenen Zöpfen eingerahmten Gesichtern mit den meist dunkeln Augen, welche dem Typus der weiblichen Bevölkerung des reizenden Bregenzerwaldes eigen sind. (Siehe Abbildung in Nr. 12, Jahrgang 1872.) Die graciösen, jugendlichen mit schwarzen und enggefalteten Röcken bekleideten Gestalten der meist hübschen Arbeiterinnen beugen sich in anmuthiger Haltung über das weiße feine Linnen, flechten in dasselbe mit kunstfertiger Hand die schönsten Blumen und durchweben den Stoff mit Früchten und lieblichen Arabesken. Eine solche Stickgesellschaft in der getäfelten Stube, in welcher die Schwarzwälderuhr in braunem Holzkasten mit ihrem gemessenen Ticktack und das Gezwitscher einer Anzahl von Singvögeln das muntere Geplauder der Mädchen begleiten, gewährt ein Genrebild voll Alpenfrische und Originalität, zumal wenn durch die hellen kleinen Fensterscheiben die schneeglänzenden Berge leuchten. Die kunstgeübteren Stickerinnen oder eine mit Hornbrille bewaffnete würdige Matrone, die gröbere Muster ausführt, überwachen die jungen Anfängerinnen, welche als ersten Versuch kleine vereinzelte Blümchen in den weißen Stoff einzusticken haben. Die ersten Künstlerinnen im Fache der Weißstickerei, die besonders bedeutend im benachbarten Appenzellerlande getrieben wird, führen dagegen mit unverwüstlicher Geduld Stickereien aus, welche durch unendliche Zartheit die Bewunderung jedes Kenners herausfordern.

Wie wenige der Damen, die mit dem in feinster, durchwobener Arbeit ausgeführten Spitzenschmucke im strahlend erleuchteten Ballsaale glänzen, denken an die einfachen Stickerinnen, die vielleicht zur selben Stunde fern in den verschneiten Gebirgsdörfchen des Bregenzerwaldes und Appenzellerlandes beim Scheine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_118.jpg&oldid=- (Version vom 27.4.2023)