Seite:Die Gartenlaube (1874) 122.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

mir in diesem Augenblicke versichern wollten, daß, Sie das Schmuckstück lediglich in die Heimath zurücksenden, um es – dem Schooßhunde Ihrer Frau Mama um den Hals zu hängen.“

Seine Stimme klang zu impertinent – der grimme Spott jagte der jungen Frau das siedende Blut nach den Schläfen. Sie war im Begriff, dem Hofmarschall den Rücken zu kehren und das Zimmer zu verlassen – da sah sie, wie der Hofprediger, der sich bis dahin schweigend verhalten hatte, die verschränkten Arme mit einer heftigen Bewegung löste und dem alten Herrn einen Seitenblick zuwarf, als wolle er ihn mit seinen glühenden Augen erdolchen. … Wollte er ihr zu Hülfe kommen, sie vertheidigen? … War das einer der „schlimmen Augenblicke“, wo er von ihr gerufen zu sein wünschte? Nie, nie reichte sie diesem Priester auch nur eine Fingerspitze zum gemeinsamen Vorgehen, der mit eherner Faust, mit aller ihm zu Gebote stehenden weltlichen Macht die Menschenseelen knebelte, die in sein Bereich geriethen.

„Zu solchen Absurditäten verirrt sich allerdings mein Gehirn nicht,“ sagte sie sich rasch beherrschend, um jedem Laut von den Lippen des Geistlichen zuvorzukommen. „Ich bin eine Tochter der Trachenberge, und die haben es stets mit dem Leben zu ernst genommen, um so kindisch frivol zu sein. … Wozu soll ich es verschweigen? Die ganze Welt weiß, daß wir verarmt sind – ich schicke die Rosette meiner Mutter, um ihr eine Badereise zu ermöglichen.“

„Ei, was wollen Sie mir da weismachen?“ lachte der Hofmarschall auf. „Oder soll ich Sie der engherzigsten Knickerei beschuldigen? Sie beziehen Nadelgelder bis zu dreitausend Thalern –“

„Ich glaube, es ist einzig und allein meine Sache, wie ich über diese Gelder verfügen will,“ unterbrach sie ihn mit ernster Abwehr. –

„Sehr wohl – ich habe nicht das Recht zu fragen, ob Sie sie in Staatspapieren anlegen, oder Ihre Muslintoiletten davon bestreiten. … Uebrigens, was mögen Sie für Begriffe vom Werth der Schmucksteine haben!“ Er stippte verächtlich mit dem Finger gegen das auf dem Tische liegende Etui – „das Ding ist keine achtzig Thaler werth. … Ihr Götter, achtzig Thaler für die Badereise der Gräfin Trachenberg!“

„Das Stück ist bereits einmal taxirt worden,“ versetzte sie, ihre Fassung tapfer behauptend. „Ich weiß, daß der Erlös für den Zweck nicht ausreichen wird. Eben darum habe ich“ – sie stockte plötzlich, während eine heiße Röthe ihr zartes Gesicht überflog. Sie hatte sich hinreißen lassen, weiter zu gehen, als ihr die Klugheit gebot.

„Nun?“ fragte der Hofmarschall – er bog sich vor und sah ihr mit boshaftem Lächeln unter das Gesicht.

„Ich habe einen Gegenstand hinzugefügt, den Ulrike nicht unter vierzig Thalern verkaufen wird,“ sagte sie nach einem tiefen Athemholen mit leiserer, bei Weitem nicht mehr so zuversichtlicher Stimme, als vorher.

„Ei, was für merkwürdige Hülfsquellen stehen Ihnen zur Verfügung, gnädige Frau? … Ist es dieser Gegenstand?“ Er zeigte nach der Seidenpapierumhüllung, auf die sie unwillkürlich die Hand gelegt hatte. „Es ist ein Bild, wie ich vermuthe –“

„Ja.“

„Eine Arbeit Ihrer eigenen Hände?“

„Ich habe es gemalt.“ – Sie preßte die verschränkten Hände auf die Brust, als fehle ihr der Athem. Wie ein Blitz flog die Terrasse des Rudisdorfer Schlosses an ihrem geistigen Auge vorüber, und sie sah das von Mutterhand verächtlich hinausgeschleuderte Pflanzenbuch auf den Steinfliesen liegen.

„Und das Bild wollen Sie nun verkaufen?“

„Ich habe es vorhin schon gesagt.“ – Sie sah nicht auf. Sie wußte, daß sie in ein funkelndes Auge voll grausamen Triumphes blicken würde, so langsam lauernd war die Frage gestellt worden – es war das empörende Spiel zwischen Katze und Maus.

„Sie haben bereits einen Liebhaber dazu, wie ich denke – irgend einen guten, reichen Freund und Mäcen, der in Rudisdorf verkehrt und pflichtschuldigst dergleichen – Kunstwerke bezahlt?“ –

Jetzt war sie Herr ihrer furchtbaren inneren Aufregung geworden – die Ruhe, die ein rascher, fester Entschluß giebt, kam über sie. „Diese Art von Erwerb, die der Bettelei gleicht, wie ein Ei dem anderen, habe ich selbstverständlich verschmäht und meine Arbeiten lieber an den Kunsthändler verkauft,“ sagte sie vollkommen gelassen.

Der Hofmarschall fuhr empor, als sei er gestochen worden. „Das heißt mit anderen Worten, Sie haben sich vor Ihrer Verheirathung das Brod durch Ihrer Hände Arbeit verdient?“

„Zum Theil, ja! … Ich weiß, daß ich mich mit diesem Bekenntniß vollends in Ihre Hände gebe, weiß, daß ich mir die Stellung hier im Hause noch unerträglicher mache; aber ich will das weit lieber auf mich nehmen, als die Last der Verheimlichung, welche die Seele verdirbt. Ich will und darf hier nicht fortsetzen, was ich, um die Mama nicht aufzuregen, in Rudisdorf immer und immer wieder gethan habe.“

„Tausend noch einmal, da hat mir ja Raoul einen kostbaren Ersatz für mein stolzes, vornehmes Kind, meine Valerie, in das Haus gebracht!“ rief der Hofmarschall bitter auflachend, während er sich in den Stuhl zurückwarf.

Der Hofprediger war aufgesprungen und griff nach der Hand der jungen Frau; aber sie wich mit abwehrend ausgestreckten Armen vor ihm in die Tiefe des Zimmers zurück.

„Sie wüthen gegen sich selbst, gnädige Frau,“ rief er fast demüthig bittend. „Geben Sie zu, daß Sie jetzt in der höchsten Aufregung, in einer Art von Trotz Dinge aussagen, die, ruhig betrachtet, sich ganz anders verhalten!“

„Nein, Herr Hofprediger, das gebe ich nicht zu – es wäre gegen die Wahrheit. Ich wiederhole es ausdrücklich: Diese meine Hände haben bereits Geld verdient, haben um den Erwerb gearbeitet! … In diesem Augenblicke, wo ich den Eindruck sehe, den mein Geständniß gemacht hat, athme ich auf.“ – Ein bitteres Lächeln flog über ihr reizendes Gesicht. „Ich weiß, daß dem scharfen Blick des Herrn Hofmarschalls nicht verborgen bleibt – er hätte früher oder später den wahren Sachverhalt doch erfahren; dann wäre mir lebenslänglich ein Vorwurf aus meinem Schweigen gemacht worden, und ich hätte mir den Anschein gegeben, als schäme ich mich meiner Vergangenheit – Gott soll mich behüten! … Wäre es Ihnen in der That lieber, zu hören, daß ich vor meiner Verheirathung von Almosen gelebt hätte?“ wandte sie sich an den Hofmarschall. „Sie verachten die adelige Hand, die arbeitet, weil ihr keine ererbten Revenüen zu Gebote stehen? Wie sollen dann die anderen Stände Respect vor dem Geburtsadel haben, wenn er selbst meint, sein Wappen dürfe nur auf einem goldenen Hintergrunde liegen? Zertrümmert er mit diesem Tanz um das goldene Kalb nicht selbst die Idee, die ihn über die anderen Stände erhebt? … Gott sei Dank, unser Jahrhundert zeigt uns Standesgenossen genug, die zu adelig denken, um sich der ausübenden Kunst zu schämen!“

„Kunst!“ lachte der Hofmarschall abermals auf – „Kunst, die Klexerei, die der Zeichenlehrer im Stift den hochgeborenen Fräuleins nach ein und derselben Schablone eintrichtert, und“ – er hatte dabei das Bild ergriffen und schlug das Seidenpapier zurück – das letzte Wort ging unter in einer Art von Zischlaut – war es Schrecken oder Beschämung, die dem Manne eine Flamme nach der andern über das fahle Gesicht jagte? Er lehnte wiederholt, als überkomme ihn eine Schwäche, den Kopf mit zugesunkenen Lidern an die Stuhllehne zurück, und als ihm der Hofprediger betroffen näher trat, da breitete er die Hand über das Bild, als wolle er ihm den Anblick vorenthalten.

Die junge Frau hatte den tiefen Eindruck, den sie im indischen Hause empfangen, auf dem Papiere fixirt, allerdings in etwas idealisirter Weise. „Die Lotosblume“ lag nicht auf dem Rohrbette, dem Marterroste, an den sie die Lähmung seit dreizehn Jahren schmiedete – in schwellendes, sammetweiches Rasengrün schmiegte sich der zarte Frauenleib, dem der Stift die elastischen Formen der Jugend zurückgegeben hatte. Das war die Bajadere aus Benares, wie sie der deutsche Edelmann über das Meer gebracht hatte. Den Oberkörper halb aufgerichtet, stützte sie den Kopf in die Hand. Angereihte Goldmünzen lagen verstreut über Stirn und Scheitel und hingen neben den langen schwarzen Flechten auf den Busen nieder, auf das goldgesäumte purpurseidene Jäckchen, das nur die Schultern und einen kurzen Theil der Oberarme deckte; die gewaltigen, zerfransten Blätter

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_122.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)