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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

einer Musa warfen einen günstigen Halbschatten über die liegende Gestalt, während im fernen Hintergrunde das Sonnenlicht auf der Marmortreppe des Hindutempels, in dem leicht bewegten Teichwasser glitzerte. … In Wasserfarben ausgeführt, war die Zeichnung, besonders in der Staffage, fast skizzenhaft hingeworfen – man sah, sie wurde aus der Hand gegeben, ohne ganz vollendet zu sein; aber in den Linien lag die geniale Sicherheit des Meisters. Der Kopf mit den schwermüthig dämmernden Augen in dem dämonisch schönen, schmalen Gesichte, die Art und Weise, wie sich die nackten, an den Knöcheln goldenberingten Füßchen in den Rasen drückten, so daß einzelne Halme darüber hinschwankten, die unnachahmlich graciöse Biegung der Taille und Hüften unter den weichen Falten des Bajaderenschleiers – das Alles war sorgfältig, mit größter Freiheit und doch kräftig ausgeführt und machte das Bild in der That zu einem Kunstwerke, was der Herr Hofmarschall eben noch so sehr angezweifelt hatte.

Er gewann übrigens ziemlich rasch seine Fassung wieder. „Ei, sieh da – selbst diese junge Frau mit der passiven, kalten Außenseite hat ihre ganz beträchtliche Dosis weiblicher Neugier, die sie daheim in den Familienarchiven und hier im indischen Garten ‚das Pikante‘ unseres Hauses aufstöbern läßt,“ sagte er beißend. „Sie haben sich ja meisterhaft in die vergangenen Zeiten zu versetzen gewußt – das läßt auf peinlich sorgfältige Studien schließen. Aus eben diesem Grunde aber werden Sie auch begreifen, daß dieses Bild die Mauern von Schönwerth nie verlassen darf. Daß wir Narren wären, und ein Stück Schande unseres Hauses – es sei leider gesagt – noch einmal an die große Glocke der Oeffentlichkeit schlagen ließen, und zwar durch eine Frau, die unter dem Vorwande töchterlicher Liebe und Aufopferung als Künstlerin in der Welt brilliren möchte! … Meine Liebe, das Bild bleibt in meinen Händen – ich werde der Frau Gräfin Trachenberg so viel Geld zur Badereise schicken, wie sie wünscht.“

„Ich danke, Herr Hofmarschall – ich protestire im Namen meiner Mutter,“ rief Liane zum ersten Male mit leidenschaftlicher Heftigkeit. „Sie wird stolz genug sein, lieber zu Hause zu bleiben.“

Der Hofmarschall stieß ein schallendes Gelächter aus. Er erhob sich mühsam, schloß einen der Raritätenkästen auf und nahm ein kleines, rosenfarbenes Billet heraus, das er entfaltete und ihr hinhielt. „Meine Gnädigste, lesen Sie diese Zeilen und überzeugen Sie sich, daß eine Frau, die einen ehemaligen Anbeter um viertausend Thaler Darlehen zur Tilgung heimlicher Spielschulden bittet, ganz sicher nicht so penible ist, seine wohlmeinende Freundeshand mit der Unterstützung zu einer heißgewünschten Badereise zurückzuweisen. … Sie hat damals die Viertausend mit glühender Dankbarkeit entgegengenommen, deren Zurückgabe dann leider – der Concurs verhindert hat.“

Automatenhaft, mit versagenden Blicken, ergriff die junge Frau das compromittirende Papier und schwankte seitwärts nach dem Fenster. Sie konnte und wollte sie ja nicht lesen, die wohlbekannten unschönen Züge der mütterlichen Hand – schon die Aufschrift „mon cher ami!“ traf sie wie ein Messerstich – sie wollte nur für einen kurzen Moment den Augen der zwei Herren entrückt sein und trat in die Nische; aber erschrocken fuhr sie zurück. Der Fensterflügel war geöffnet, und da draußen auf der Freitreppe, mit dem Rücken nach dem Hause und die Hände auf das Steingeländer gestemmt, keine zwei Schritte von ihr entfernt, stand Mainau unbeweglich – von Allem, was im Salon vorgefallen war, konnte ihm kein Wort, auch nicht die leiseste Silbe, verloren gegangen sein. Hatte er wirklich den ganzen Wortwechsel mit angehört und sie mit ihrem heimtückischen Gegner allein ringen lassen, dann war er ein Elender. Sie war ja himmelweit entfernt, Liebe von ihm zu heischen, aber den ritterlichen Schutz durfte er ihr nicht versagen, den gewährte ja auch ein Bruder der Schwester.

„Eh – geben Sie mir das Papier zurück, kleine Frau!“ rief der Hofmarschall herüber – er mochte fürchten, sie werde es in die Tasche stecken, weil sie unwillkürlich die Hand sinken ließ. „Für Sie, in Ihrer Oppositionslust, muß man einen Dämpfer in den Händen haben – Sie sind eine nicht zu unterschätzende Gegnerin – ich habe Sie heute kennen gelernt; es steckt Nerv und Race in Ihnen – Sie haben mehr Geist, als Sie zu verrathen wünschen. … Bitte, bitte, geben Sie mir mein allerliebstes, kleines, rosenfarbenes Briefchen!“

Sie reichte ihm den Brief hin; er ergriff ihn hastig, um ihn wieder im Kasten zu verschließen.

In dem Augenblick trat Mainau auf die Schwelle der Glasthür; diesmal nicht mit jener eleganten Lässigkeit, jenem oft verletzenden Gemisch von Langeweile und pflichtschuldiger Höflichkeit, mit welchem er stets im Versammlungszimmer der Familie einzutreten pflegte – er sah stark erhitzt aus, als habe er eben einen anstrengenden Ritt zurückgelegt.

Der Hofmarschall fuhr zusammen und sank in den Stuhl zurück, als der hohe Mann so unerwartet erschien, und wie eine dräuende Wetterwolke einen dunklen Schatten in das Zimmer warf – man hatte kein Geräusch von Schritten auf den Steinstufen gehört. „Mein Gott, Raoul, wie hast Du mich erschreckt!“ stieß er heraus.

„Weshalb? Ist es etwas Absonderliches, wenn ich von drunten herauf komme, um die Herzogin hier zu empfangen, wie Du auch?“ versetzte Mainau gleichgültig – er sah über den kranken Mann im Rollstuhl hinweg wie in athemloser Spannung nach der Stelle, wo seine junge Frau stand. … Sie hatte die Linke auf die Ecke des Schreibtisches gestützt; an den duftigen Kanten des Spitzenärmels sah man, daß diese Hand heftig bebte. Die boshafte Mittheilung des Hofmarschalls über ihre Mutter hatte sie zu tief getroffen, sie fühlte, daß diese Erschütterung lebenslang in ihr nachzittern werde – trotzdem erkämpfte sie sich eine aufrechte, ungebrochene äußere Haltung, und die grauen Augen unter den leicht zusammengezogenen Brauen begegneten dem Blick ihres Mannes fest und finster; sie machte sich auf neue Kämpfe gefaßt.

Vorläufig schritt er nach dem großen Tisch inmitten des Salons, nahm eine dort stehende Caraffe und goß etwas Wasser in ein Glas. „Du siehst fieberhaft aus, Juliane – ich bitte Dich, trinke!“ sagte er, ihr das Glas hinreichend.

Sie wies es erstaunt, nicht ohne Entrüstung zurück – er bot ihr einen Schluck Wasser, um die Aufregung zu dämpfen, die er mit einigen strengen, energischen Worten, ihrem unversöhnlichen Feind gegenüber, hätte verhindern können.

„Lasse Dich durch diese Fieberrosen nicht erschrecken, bester Raoul!“ beruhigte der Hofmarschall, während Mainau das Glas wegstellte. „Es ist das Fieber der Debütantin, das heißt der Debütantin in Schloß Schönwerth – draußen in der Kunstwelt, respective im Laden der Kunsthändler, ist die schöne Frau als Gräfin Trachenberg längst mit Glück aufgetreten – was sagst Du dazu, Du geschworener Feind aller weiblichen Raphaele, Blaustrümpfe und dergleichen? Da sieh ’mal her, was für ein Talent sich heimlicher Weise, uns den Ehecontract herum, in Schönwerth eingeschmuggelt hat! Nur schade, daß die Verhältnisse mich zwingen, dieses Blatt zu confisciren.“

Mainau hatte das Bild schon ergriffen und betrachtete es. Liane sah mit Herzklopfen, wie ihm das Blut in die gebräunten Schläfen stieg. Sie erwartete jeden Augenblick einen gegen „die Stümperei“ gerichteten Spottpfeil hinnehmen zu müssen; aber ohne den Blick von dem Blatt in seiner Hand wegzuwenden, sagte er nur in kaltem Ton über die Schulter zu dem alten Herrn: „Du wirst nicht vergessen, daß das Recht zu confisciren oder zu erlauben in diesem Fall einzig mir zusteht. … Wie kommt das Bild hierher?“

„Ja, wie kommt es hierher!“ wiederholte achselzuckend und sichtlich verlegen der Hofmarschall. „Durch die Ungeschicklichkeit unserer Leute, Raoul – das Kistchen, in welchem es verschickt werden sollte, wurde mir zerbrochen übergeben.“

„Ei, das werde ich streng untersuchen. Solche grob ungeschickte Hände dürfen nicht straflos ausgehen,“ sagte Mainau. Er legte das Bild ohne ein Wort des Beifalles, oder auch nur des Tadels wieder hin. „Und was ist das?“ fragte er und nahm das Paquet Fließpapier mit den getrockneten Pflanzen in die Hand; obenauf lag ein dünnes, betriebenes Heftchen. „Lag das auch in dem verunglückten Kistchen?“

„Ja,“ sagte Liane an Stelle des Hofmarschalls, fest, fast rauh, wie im Trotze der Verzweiflung. „Es sind getrocknete, wildwachsende Pflanzen, wie Du siehst – einige Gattungen aus dem Orchideengeschlecht, die man in der Umgebung von Rudisdorf nur äußerst selten findet. … Magnus verkauft Herbarien

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_123.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)