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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

auch ein paar Gebirgsschöne, die gleich ihren männlichen Begleitern aus mächtigen Pfeifen rauchten, denn es gehört beim zarten Geschlechte dieses rauhen Hochlandes zur allgemeinen Sitte, den ganzen Tag dieser Passion nachzuhängen. Wie in Stuben, dem obersten Orte des Klosterthales, zu hören war, kam die Schaar eben vom Arlberge herunter, wo auf der Höhe bei St. Christoph, dem höchst gelegenen Kirchlein der österreichischen Monarchie, der Postschlitten im Schnee stecken geblieben war. Die Bewohner der umliegenden Orte eilten daher zur Freimachung der Straßenbahn mit Schaufeln und Schneepflügen herbei. Schon sechs Tage lang war die Postverbindung unterbrochen. Passagiere, Postillon und Pferde mußten im Hospiz von St. Christoph untergebracht werden, und erst nach angestrengtester Arbeit gelang es, die Straße prakticabel zu machen. Gegen hundert Personen arbeiteten im Schnee auf den Höhen des Arlbergs, und der mit zwanzig Pferden bespannte große Schneepflug wurde durch die hoch aufgehäuften Schneewälle gezogen. Im Posthause zu Stuben herrschte in Folge dieses Zwischenfalls das regste Leben; die schmucken Wirthstöchter hatten vollauf zu thun, den Hunger und Durst der vom Arlberge zurückgekommenen Schneearbeiter zu befriedigen, und im Herrenzimmer erholten sich die eben angekommenen vom unfreiwilligen Aufenthalte auf den Höhen von St. Christoph erlösten Passagiere und Conducteure an den Erzeugnissen der Postküche.

Der Postillon blies zum Aufbruche. Alles stieg ein, und die lustigen Klänge des Posthorns verkündeten laut, daß die Verbindung wieder hergestellt sei. Rasch eilte der mit vier Pferden bespannte Schlitten abwärts gegen Bludenz.

Das links an der Straße aus dem Schnee hervorragende Vermessungssignal, welches den Ausgang des projectirten großen Tunnels durch den Arlberg bezeichnete, lenkte den Blick in die Zukunft, wo das geflügelte Dampfroß auf Tausende von Fuß langen Strecken durch den Berg brausen wird, und in durchwärmten Waggons die Reisenden die Tunnelfahrt verschlafen können, während hoch oben das Kirchlein von St. Christoph und der verödete Arlberger Paß unter Eis und Schnee begraben liegen.

Die Eisenbahn führt von Bludenz in wenigen Stunden an die Spiegelfläche des Bodensees. An seinen schönen milden Ufern reihen sich freundliche Landhäuser, Villen und Schlösser aneinander. Die Weinberge sind in lichtes Weiß gekleidet; auf der spiegelnden Eisfläche der freundlichen Inselstadt tummeln sich muntere Schlittschuhfahrer, und von den Lippen gewandter Eisläuferinnen hört man wohl auch den Ausruf: wie schön sie doch sind, die silberglänzenden Berge und die eisumstarrten Gipfel des Hochgebirges im Winter, die fern im Hintergrunde hoch über den blauen Fluthen emporsteigen! –

A. Waltenberger.




Holland in Noth.


Als Papst Alexander der Sechste durch die berüchtigte Demarcationslinie alle Länder der Erde zwischen den katholischen Majestäten der Spanier und Portugiesen theilte, hatte seine Unfehlbarkeit keine Ahnung davon, daß alsbald auch die ketzerischen, protestantischen Holländer Ansprüche auf solchen Länderbesitz mit glücklichstem Erfolge geltend machen würden. Der Freiheitskampf derselben gegen Spaniens Despotismus hatte für Holland nicht nur die Freiheit in der Heimath errungen, sondern auch einen Theil der fernen Meeresherrschaft. Die Holländer bethätigten damals alle Eigenschaften und Kräfte, die zum Ziele großer Unternehmungen führen; sie hatten Ausdauer, Sündhaftigkeit, Kühnheit, Glück.

Aber allmählich zeigte sich die Verschiedenheit der natürlichen Eigenart und der Grundsätze zwischen den Holländern und Iberiern, den Spaniern, Portugiesen. Die Seeunternehmungen der Holländer waren anfangs mehr darauf gerichtet, den Feind an leicht verletzbaren Stellen anzugreifen und seine Macht zu schwächen, als Eroberungen und Entdeckungen zu machen. Darum schlichen sie nur an meistens schon bekannten Küsten umher. Der Spanier trat überall als Ritter auf, der Holländer als Krämer. Der Iberier suchte Abenteuer und glänzende Thaten, der Holländer Geschäfte und kaufmännischen Gewinn; der Iberier suchte Heiden, um sie zu bekehren, der Holländer zweibeinige Wesen, um mit ihnen zu handeln. Der Iberier durstete nach Gold, um alsbald seine stolze Grandezza, seine Prachtliebe und Genußsucht zu befriedigen; der Holländer hungerte nach Schätzen, um sie aufzuspeichern für die stille Behaglichkeit in alterschwachen Jahren. Unähnlich den Spaniern, die auf ihre Opfer losstürzten und nicht eher rasteten, als bis mächtige Reiche ihnen zitternd zu Füßen lagen, überließen die Holländer die Erringung ihrer Herrschaft dem schleichenden Gange der Zeit und waren vorläufig mit dem ersten Theile ihres Wahlspruchs, divide et impera (theile und herrsche)! zufrieden.

Schweigsam waren sie Beide, der Iberier und der Holländer; aber der Erstere brütete, der Letztere calculirte. Auf der geschlossenen Lippe des Iberiers saß Stolz, Verwegenheit, Verachtung, auf der Lippe des Holländers Kälte und Schlauheit. Das Feuer, das dem Iberier aus dem Auge blitzte, sein durchbohrender Falkenblick, die Gluth, die seine dunkle Wange im Zorne überflog, sie zeigten offen die glühenden Leidenschaften im Innersten seines Busens, während die blutleere Wange des Holländers, seine amphibienhafte Kaltblütigkeit, der nebelhafte Blick im feuchten, grauen Auge die angenommene Maske nur täuschender machten.

Daher traten auch die Holländer anfangs in keine feindliche Berührung mit den Eingeborenen. Nur Verdrängung, Vernichtung der Iberier war ihre Hauptaufgabe, zu deren Lösung der Eingeborene ihnen hülfreich beistand. Seitdem vollends Portugal und seine ostindischen Colonien 1580 mit Spanien vereint wurden, waren es diese einst portugiesischen Colonien, gegen welche die Holländer ihre Angriffe richteten, und sie erwarben dabei als Schutzmacht der Eingeborenen außer dem Krämergewinn auch noch Dank und Ruhm. So fallen in die drei ersten Viertel des siebenzehnten Jahrhunderts ihre wichtigsten Erwerbungen. Sämmtliche portugiesische Besitzungen an der Küste Malabar und Koromandel wurden bis auf Goa und einige unbedeutende Niederlassungen erobert; die gewürzreichen Molukken und Sundainseln wurden besetzt, in Japan ein ausschließlicher Handel und am Cap der guten Hoffnung, wie in einzelnen Punkten auf Ceylon die vortrefflichste Vormauer der östlichen Besitzungen gesichert.

Aber in der Wahl ihrer Ansiedelungen waren sie nicht immer glücklich; für Moräste behielten sie die heimische Vorliebe. Batavia, gegründet 1621, sollte an den Ruhm der alten Bataver erinnern und wurde ein indisches Amsterdam. Diese Hauptstadt, fast unter dem Aequator, ist ebenso von Canälen und Cloaken, von infernalen, mephitischen Dünsten durchzogen, wie die europäische Mutterstadt unter dem zweiundfünfzigsten Breitengrade. Batavia ist die größte Leichenkammer der Europäer geworden. In dreiundzwanzig Jahren erlagen hier nach Sir Stamford Raffles eine Million und hunderttausend Menschen. Die tropische Sonne hat hier das dicke Holländerblut, statt es zu wallender Leidenschaft zu entflammen, nur zu phlegmatischer Indolenz verdickt. Die unendliche Lebensfülle hat zu keinem höheren Aufschwung beseelt; der feenhafte Glanz des indischen Lebens, die blitzende Pracht der Juwelen und Perlen, der Farbenglanz, der berauschende Duft blühender Wälder, Alles ging spurlos an ihnen vorüber. Die steife Förmlichkeit der Heimath wurde nur darin gemildert, daß in heißen Tagen der schwere Rock mit leichtem Camisol, die Stutzperrücke mit baumwollener Schlafmütze vertauscht wurde.

Seitdem aber diese Zustände, namentlich durch die erbliche Colonialaristokratie, hier bleibend geworden, folgte Zerrüttung und Verfall noch schneller, als der Aufschwung gekommen. Die Schulden der ostindischen Handelscompagnie wurden untilgbar. Der Staat konnte nicht helfen; die Besitzungen wurden ein unheilbar schadhaftes Glied, dessen Amputation das Leben des Ganzen gefährdete. Inzwischen hatten auch die Engländer weit und breit, auch auf Sumatra, festen Fuß gefaßt und, seitdem Holland 1810 französisch geworden, alle holländischen Colonien in Besitz genommen. Hollands Colonialmacht in Ostindien war erloschen. Erst mit der Restauration der europäischen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 136. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_136.jpg&oldid=- (Version vom 10.11.2023)