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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

aber auch das Geschirr auf der Platte aneinander, als mache ein Zusammenschrecken die Hände der Frau unsicher. Der Hofmarschall, dem sie in diesem Augenblicke präsentirte, sah überrascht empor und folgte der Richtung ihres Blickes – Gabriel kam den Weingang herauf.

„Was will der Bursche?“ fragte er sie scharf fixirend.

„Hab’ keine Ahnung, gnädiger Herr,“ versicherte sie bereits wieder sehr ruhig.

Gabriel schritt direct auf den Hofmarschall zu und überreichte ihm mit tief gesenkten Lidern den verlorenen Ring. – Es waren schön gebogene, schlanke Finger, die das Kleinod zierlich gefaßt hielten – eine fleckenlos saubere Kinderhand, zaghaft und scheu dargeboten – und doch stieß sie der Hofmarschall mit sichtlichem Widerwillen zurück, als sie die seinige leicht berührte.

„Stehen da nicht Teller genug?“ schalt er, auf den Tisch zeigend. „Und hast Du Dir bei Deinem Verkehr im Schlosse so wenig Manier angeeignet, daß Du nicht einmal weißt, wie man anständiger Weise einen Gegenstand überreicht. … Wo hast Du den Ring gefunden?“

„Er lag am Drahtgitter – ich erkannte ihn gleich – ich habe ihn immer so gern an Ihrer Hand gesehen,“ sagte der Knabe schüchtern und gleichsam um Vergebung bittend, daß er den Ring sofort an die rechte Adresse zurückgegeben.

„So – in der That? Sehr schmeichelhaft!“ – Der Hofmarschall wiegte spöttisch den Kopf und steckte den Smaragd an den Finger. „Löhn, geben Sie ihm ein Stück Kuchen und fragen Sie, was er will!“

Die Beschließerin griff in die Tasche und brachte einen Schlüssel zum Vorschein. „Den hast Du holen wollen – gelt?“ sagte sie zu Gabriel – er bejahte. „Die Frau will trinken, und ich habe den Himbeersaft eingeschlossen –“

„Larifari – es läuft Dienerschaft genug herum. Er konnte herüberschicken; aber der Mosje ist verwöhnt und meint, er müsse schlechterdings bei Allem sein, was im Schlosse vorgeht – und das heute, wo ihm der Herr Hofprediger in Ihrem Beisein die Betheiligung an jedem Vergnügen streng untersagt hat! Haben Sie das vergessen, Löhn? … Er soll sich vorbereiten,“ wandte er sich an die Herzogin, „wir haben heute Morgen festgestellt, daß er in drei Wochen endlich nach dem Seminar abgeht – es ist die höchste Zeit.“

Liane sah überrascht zu der Beschließerin auf. Also darum hatte diese Frau heute Morgen vor ihren Augen so eigenthümlich zweck- und ziellos in der Wäschkammer hantirt und den feinsten Damast vom groben Gespinnst nicht zu unterscheiden gewußt, sie, diese Autorität in Leinenangelegenheiten! Darum hatte sie den Schlüsselbund verlegt, ein unerhörtes Begebniß! … So steinern und stumpf auch diese Frau erschien, so rauh und gefühllos sie auch im Beisein Anderer dem Knaben begegnete – Liane hatte längst im Stillen vermuthet, daß sie ihn abgöttisch liebe. … Jetzt stand sie da, wortlos und dunkelroth im Gesicht – für alle Anderen eine geärgerte Frau, die ein unverdienter Vorwurf tief erbittert, in Lianens Augen aber ein angstvolles Mutterherz, das schon die Erwähnung einer gefürchteten Thatsache heftiger schlagen macht.

Die Herzogin fixirte den Knaben durch die Lorgnette. „Sie haben den Beruf des Missionars für ihn im Auge?“ fragte sie kopfschüttelnd den Hofprediger. „Meines Erachtens paßt er ganz und gar nicht für den Knaben.“

Dieser Ausspruch wirkte wie elektrisirend auf Liane; zum ersten Male hörte sie eine auflehnende Ansicht gegen den Machtspruch des Geistlichen und des Hofmarschalls aussprechen, noch dazu von Lippen, die mit einigen beschützenden Worten das Geschick eines Menschen sofort in andere Bahnen lenken konnten. … Dort saß freilich der alte Herr, gespannt aufhorchend – ein Nervenschauer überlief sie bei dem Gedanken, ihn geflissentlich gegen sich aufzureizen; Alle, die sich hier um den Tisch reihten, waren mehr oder minder dem Knaben ungünstig gesinnt oder gleichgültig gegen sein Geschick – wie kalt musterte Mainau eben „den feigen Jungen“, der wie ein Angeklagter sich nicht von der Stelle traute, die ihm doch unter den Füßen brennen mußte! – Die junge Frau nahm all ihren Mut zusammen – war es denn nicht ein Frauenherz, an das sie appellirte?

„Gabriel trägt bereits eine Mission in sich, Hoheit – es ist die des Künstlers,“ sagte sie, die schöne Fürstin nicht ohne Befangenheit, aber doch beharrlich ansehend – Aller Augen richteten sich erstaunt auf die Lippen, die bis dahin noch nicht gesprochen hatten. – „Ohne alle und jede Anleitung hat er den Stift bereits mit einer Sicherheit führen gelernt, die mich in Erstaunen setzt. Ich habe auf Leo’s Spieltisch Zeichnungen von ihm gefunden, mit denen er jede akademische Prüfung so bestehen kann, daß er unentgeltlich aufgenommen wird. … In dem Knabenkopf steckt ein seltenes Compositionstalent, eine glühende Hingabe an die Kunst, die sich durchringt und durchkämpft, wie es eben nur der Genius vermag. … Hoheit haben Recht, er paßt nicht zum Missionar – dazu gehört der innere Trieb, die Concentration aller Geisteskräfte auf diesen einen Punkt, die ganze Energie der Seele, in der kein anderes Ideal leben darf – es wäre grausam gegen den Knaben selbst und ein Unrecht gegenüber der Kunst, wollte man ihn zwingen.“

Die Herzogin sah sie groß, mit unverhülltem Befremden an. „Sie haben mich total mißverstanden, Frau von Mainau,“ sagte sie sehr gemessen. „Meine Bemerkung galt der schlaffen Körperhaltung, der sichtlich kränklichen Constitution des Knaben, nicht aber seiner geistigen Befähigung, oder gar seiner Lust und Liebe zur Sache – da sage ich ganz entschieden ‚Er muß passen!‘ … Es thut mir wahrlich leid, daß es Frauenseelen giebt, die nicht der Ansicht sind, daß vor diesem heiligsten Lebenszweck jeder andere verschwinden muß. … Mögen aufrührerische Männerköpfe ihr Bischen Wissen, das sich doch zumeist auf falsche Schlüsse stützt, an die Stelle des Heiligsten setzen – es ist traurig genug, daß es geschehen darf – wir Frauen aber sollen deshalb doppelt beflissen sein, in Phalanx gegen dieses Vorstürmen zu stehen, indem wir festhalten am einzigen Heil, indem wir glauben und abermals glauben, und uns niemals verführen lassen, zu grübeln.“

„Hoheit, das heißt der Frauenwelt ihre Aufgabe allzu leicht machen; das heißt auch zugleich dem Aberglauben, dem Glauben an eine spukhafte Geisterwelt, an die Gewalt des Satans – wozu leider der Frauenkopf so leicht geneigt ist – Thür und Thor öffnen.“

Ein Geräusch von Stuhlrücken und verlegenem Räuspern wurde plötzlich laut, während die junge Frau, die eben gesprochen, sich ruhig und unbeweglich verhielt. Ihr gegenüber saß ihr Mann – seine Hand lag auf dem Tische und wiegte einen Kaffeelöffel auf dem Finger. Er hielt den Kopf vorgeneigt, wobei sein Blick unter den tief gesenkten Brauen hervor nicht einen Moment von dem zarterrötheten Gesicht wich, das sich ausschließlich der Herzogin zuwendete. Jetzt beim letzten Wort sah sie wie zufällig seitwärts – ihr Blick traf ihn so tödtlich kalt, als kenne sie ihn nicht. Eine jähe Gluth schoß über seine Wangen – er warf klirrend den Löffel hin, worüber die Herzogin lächelte.

„Nun, Baron Mainau, das regt Sie auf? … Wie denken Sie darüber?“ fragte sie mit schmeichelnd verlockender Stimme.

Seine Lippen verzogen sich in bitterem Spott. „Hoheit wissen sehr gut, daß die Frauen, die an Hexen und Gespenster glauben, etwas Verführerisches für uns haben,“ versetzte er in seinem frivolsten Ton. „Die Frau ist reizend in ihrer Hülflosigkeit und Furcht; wir ziehen sie, wie ein Kind, beschwichtigend in unsere Arme, und damit kommt – die Liebe.“ – Seine Augen verfinsterten sich und streiften durchbohrend seine Frau. – „Eine Pallas Athene dagegen haucht uns eisig an, wie die Gletscherjungfrau – wir wenden ihr den Rücken.“

War das dieselbe Frau, die am Hochzeitstage bleich und gespensterhaft wie der Todesengel an der einziehenden Braut vorübergebraust war? … Strahlender Triumph verklärte das schöne Gesicht und machte es wahrhaft hinreißend in seinem Ausdruck.

„Und Sie?“ neigte sie sich zu dem Hofprediger, der mit übereinandergeschlagenen Armen ihr gegenüber saß; er fuhr wie aus tiefem Nachsinnen empor – die Frau Herzogin berief alle ihre Heerschaaren, wie es schien, gegen diese junge Frau, die sich unterfing, selbstständig zu denken. „Haben Sie keine Waffen gegen den Antichrist in sanfter, weiblicher Gestalt?“ fragte sie fast scherzhaft.

„Hoheit werden die Gnade haben, sich zu erinnern, daß ich dergleichen Erörterungen am Kaffeetische nicht billige,“ versetzte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 141. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_141.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)