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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Der gelehrte Richter entschied hierauf, daß, wie wünschenswerth es auch immer sein möge, den Angeschuldigten zu überführen, doch offenbar die Ansicht des Vertheidigers die richtige sei; er instruirte daher die Geschworenen, auf Nichtschuldig zu erkennen, was auch geschah. Zum dritten Male kehrte Oades triumphirend mit seinen zwei Frauen nach Hause zurück.

Wer jedoch glaubt, daß die Widersacher Oades’ nunmehr sich beruhigt hätten, der kennt die zähe, kein Opfer scheuende Ausdauer des Amerikaners, wenn er sein Recht verficht oder dem nach seiner Ansicht verletzten Gesetze Geltung verschaffen will, schlecht. Diejenigen Bürger, welche die Sittlichkeit der Gesellschaft für gefährdet ansahen, nahmen nunmehr alle die tüchtigsten Advocaten von San Bernardino an, um ein Mittel ausfindig zu machen, den „schrecklichen Scandal“ des Oades mit seinen zwei Frauen zu beseitigen. Die Rechtsgelehrten kamen zu der Ansicht, daß die einzige Weise, die zweite Ehe zu vernichten, die sei, nach § 2 Section 82 des Civilgesetzbuches zu verfahren, der die Nichtigkeit der zweiten Ehe vorschreibt, wenn zur Zeit ihrer Eingehung der frühere Gatte noch lebte. Allein da nach dem zweiten Paragraph der dreiundachtzigsten Section a. a. O. die Klage auf Vernichtung einer solchen Ehe nur von einem der Gatten zur zweiten Ehe oder von des Gatten Weib zur ersten Ehe angestrengt werden kann, so lag es auf der Hand, daß die Schwierigkeit in keiner Weise gehoben war, weil weder Oades noch eine seiner Frauen zum Anbringen der Klage willig waren.

Man hat sich nun mit den ausgezeichnetsten Advocaten von San Francisco und Sacramento in Verbindung gesetzt, auch an einen der Commissäre geschrieben, die mit der Abfassung des Civilgesetzbuches betraut waren, in der Zwischenzeit aber den Versuch gemacht, durch persönliche Einwirkung auf die betheiligten Parteien zum Ziele zu gelangen. Zu dem Ende wurde ein Herr Johann Howlet, auf den Rath der Advocaten, an Frau Oades Nr. 1 mit dem Auftrage abgeschickt, ihr die geeigneten Anerbietungen zu machen, um sie zur Klage auf Nichtigkeitserklärung der Ehe mit Frau Oades Nr. 2 zu bewegen. Man glaubte, daß sie, die durch die zweite Ehe Gekränkte, leicht dazu überredet werden könnte. Nach Ueberwindung bedeutender Schwierigkeiten und einiger Gefahr – Oades vertrieb ihn einmal mit dem Gewehre in der Hand – gelang es Howlet, sich mit Frau Oades Nr. 1, während Oades mit seiner zweiten Frau einen Spazierritt machte, eine Privatunterredung zu verschaffen. Sie erschien als eine sanfte, ängstliche Frau; allein es war unmöglich, sie zu einem Schritte in der Sache trotz eines Anerbietens von fünftausend Dollars zu bewegen. Sie äußerte, Oades habe geschworen, im Falle sie versuche, die zweite Ehe zu vernichten, wolle er sie halb todt schlagen und überdies nie mehr mit ihr leben; sie kenne Oades genug, um zu wissen, daß er Wort halten werde; sie mache sich nicht so viel aus den Schlägen, allein sie zöge es vor, sich den gegenwärtigen Verhältnissen anzubequemen, als Oades ganz zu verlieren, besonders da sie, einmal verheirathet, nicht zu einer andern Verbindung schreiten könne.

So kehrte denn Howlet ganz erfolglos zurück. Er wurde demnächst, nach stattgehabter Berathung mit Rechtsverständigen, mit demselben Vorschlage an die zweite Frau Oades abgesandt. Aber auch sie wollte nicht darein willigen. Wenn es irgend ein Mittel gäbe, sagte sie, Oades’ erste Ehe für ungültig zu erklären, so möchte sie sich bewegen lassen, Schritte zu thun, obwohl Frau Oades Nr. 1 ihr wenig Sorge mache, da sie bereits zu alt sei, um eine gefährliche Nebenbuhlerin zu sein; überdies wäre sie ihr im Hauswesen eine wesentliche Stütze; allein was den Antrag auf Ungültigkeitserklärung ihrer eigenen Ehe angehe, so solle man sich nur jede Mühe ersparen, da sie mit Oades vollständig zufrieden sei, selbst mit der Zugabe der ersten Frau und der Kinder derselben.

Nach Empfang dieses Bescheides wurde der Geistliche Kiggett, ein Mann, der eines großen und wohlverdienten Einflusses in der Gemeinde sich erfreut, entboten, um Oades selbst Vorstellungen zu machen. Letzterer empfing ihn freundlich, und verhandelte den Gegenstand mit großer Offenheit. In der Theorie, sagte er, sei er Anhänger der Einehe, und glaube, daß das Gesetz dem Manne nicht erlauben solle, mehr als eine Gattin zu haben; er stimme daher mit dem Geistlichen in der Verdammung der Gesetzescompilatoren, die Doppelehe erlaubten, überein. „Allein,“ fuhr er fort, „solche Fragen müssen denn doch zuletzt in jedem Staate so abgemacht werden, wie die Gesetzgeber in ihrer Weisheit vorgeschrieben hätten, da es jetzt ein in der Rechtslehre festgestellter Grundsatz sei, daß Rechte und Verpflichtungen blos aus einer Willenserklärung des Gesetzgebers entsprängen, daß alle die berühmtesten Juristen, einschließlich der New-Yorker und californischen Compilatoren, darin übereinstimmten, daß Recht ist, was die gesetzgebende Gewalt will; dies sei der Grundstein des bürgerlichen Gesetzbuches. Was die alte Idee eines natürlichen Rechtes betreffe, so sei dieselbe längst aufgegeben. Wenn etwas Derartiges bestehe, so wäre die Bestellung einer Commission von Compilatoren, um jedes Gesetz oder Recht in einem Codex zusammenzufassen, ebenso absurd gewesen, als wenn man ihnen aufgetragen hätte, Chemie oder Mathematik zu codificiren; es wäre dasselbe gewesen, als wolle man Principien abschaffen, die der Allmächtige eingesetzt, und an deren Stelle die seichten Meinungen unwissender und fehlbarer Menschen einschieben. Für seinen Theil mache er keinen Anspruch darauf, weiser oder tugendhafter zu sein als die Gesetze, und da diese ihm den Besitz zweier Frauen gestatteten, so beunruhige es sein Gewissen nicht, sie zu haben; keine seiner zwei Frauen wollte ihn aufgeben, und er könne, um die Wahrheit zu sagen, nicht gut ohne beide auskommen. Ueberdies, wenn eine der beiden Ehen für ungültig erklärt werden sollte, so müßte es die letzte sein, und wenn er für seine Person sich auch in den Verlust der alten Frau würde zu finden wissen, so würde ihn andererseits nichts auf der Welt dazu bewegen, sich von der zweiten zu trennen. Der ehrwürdige Herr verließ darauf, wie sich denken läßt, in großem und gerechtem Aerger das Haus, einem Aerger, der noch bedeutend zunahm, als er am nächsten Sonntage Oades – der stets ein sehr regelmäßiger Kirchenbesucher war – mit seinen zwei Frauen in seinem Pulte sitzen und wohlgefällig seiner Predigt zuhören sah.

Die Antwort des einen Gesetzbuchs-Compilators ist nun mittlerweile eingegangen, und sie ist so originell und zugleich charakteristisch amerikanisch, daß wir uns nicht enthalten können, sie im Wesentlichen wiederzugeben. Dieser vortreffliche Gesetzgeber ist der Ansicht, daß die ganze Sache sehr böse sei, allein daß er nicht einsehe, was gethan werden könne; die Commission, deren Mitglied er gewesen, sei nicht dafür verantwortlich; alles, was sie gethan, sei gewesen, das Gesetzbuch des ausgezeichneten Compilators David Dudley Field (der New-Yorker Codex) abzuschreiben; daß solches offenbar auch die Absicht der gesetzgebenden Versammlung gewesen, da, im Fall sie die Entwerfung eines neuen Codex beabsichtigt hätte, sie zu verständig gewesen, eine solche Arbeit seiner Commission anzuvertrauen; daß man ja gar nicht hätte erwarten können, daß eine Commission von drei Personen, die zu dem Ende weder besondere Ausbildung noch Erfahrung besessen, in zwei Jahren ein Werk vollenden könnte, zu dessen Erledigung der Kaiser Justinian es nöthig gefunden habe den großen Tribonian und noch siebenzehn der ersten Advocaten des ganzen römischen Reiches während vieler Jahre zu verwenden; ein Werk etc. Er, für seine Person habe nie den Anspruch erhoben ein großer Compilator von Gesetzbüchern zu sein, aber die Stelle wäre ihm angeboten worden mit einem guten Gehalt, und er habe sich nicht für berufen gehalten sie abzulehnen; es sei eine seiner Lebensregeln, nie auf den Grund seiner Nichtbefähigung etwas ihm Angebotenes abzulehnen, seine Befähigung oder Nichtbefähigung sei ja nur für diejenigen von Interesse, welche ihn verwendeten; trüge ihm Jemand auf, ein Piano oder eine Dampfmaschine zu erbauen – Aufgaben, denen er ebensowenig gewachsen sei, als dem Compiliren eines Gesetzbuches –, so würde er den Auftrag annehmen, immer vorausgesetzt, daß er mit einem festen Gehalte und nicht für das vollendete Werk bezahlt werde; seiner Ansicht nach wären seine zwei Collegen nicht befähigter, als er selbst, und die ganze Commission habe ihn stark an Pentaganel’s Meinung von den französischen Advocaten erinnert, dahin gehend: „In Betracht der Thatsache, daß das Gesetz dem wahren Innersten der Moral- und Naturphilosophie entnommen ist, wie könnten diese Narren es verstehn, die mit Philosophie sich weniger beschäftigt haben als meine Maulthiere!“

Diese Herzensergießung des ehrlichen Gesetzgebers fiel auf die Ohren der enragirten San Bernardiner Sittenwächter wie die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 148. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_148.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)