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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Blick auf die Gabe; sie war nicht gewohnt, ihre stolze Herzogin auf diese freundschaftliche Art und Weise danken zu sehen – vielleicht wußte sie noch nicht, daß eine leidenschaftlich empfindende Frau, im Bewußtsein des vollendeten Sieges, über die Grenzen hinaus glück- und gnadenspendend zu sein vermag gegen – die Unterlegene. … Die Frau Herzogin ging noch weiter – war diese wunderschöne Hand, die nach der Frucht griff, nicht eben in unüberwindlicher Antipathie fortgestoßen worden? „Und nun einen Vorwurf, liebe, junge Frau! Warum haben Sie uns bis heute gemieden?“ fragte sie mit sanfter Freundlichkeit. „Ich hoffe, Sie in der allernächsten Zeit bei mir zu sehen.“

Liane streifte mit einem raschen Seitenblick den neben ihr stehenden Mann – seine Nasenflügel bebten leise, als unterdrücke er ein ironisches Lächeln; im Uebrigen hatte er wieder jene vornehm lässige Haltung angenommen, die jedes Interesse an dem, was um ihn her vorging, leugnete. „Hoheit mögen mich entschuldigen, wenn ich dem Befehl nicht nachkomme,“ sagte die junge Frau entschlossen. „Mainau wird in wenigen Tagen seine Reise antreten und mir erlauben, mich nach Rudisdorf zurückzuziehen.“ – Da war es ausgesprochen, und zwar so unbefangen wie möglich; die Lösung geschah unter vollkommen friedlichem Anstrich.

„Wie, Baron Mainau – soll ich das glauben?“ fragte die Herzogin allzu rasch, wie athemlos – sie vergaß sich so sehr, daß die Hofdame in ein verlegenes Hüsteln verfiel.

„Warum denn nicht, Hoheit?“ antwortete er gleichmüthig die Schultern emporziehend; „Rudisdorf hat eine außerordentlich gesunde Lage und bietet die ungestörteste Stille für Geister, die sich am liebsten in sich selbst vertiefen. … Wenn auch selbst ein unstäter Wandervogel, denke ich doch billig genug, einem anderen es nicht zu verwehren, wenn er in sein Nest zurückkehren will. … Nimm Dich in Acht, Juliane, er wird Dein hübsches Kleid zerreißen!“ – er meinte Leo’s riesenhaften Leonberger Hund, der wahrscheinlich, bis dahin im Jägerhaus eingesperrt, sich eigenmächtig befreit hatte, und nun wie rasend vor Freude an der jungen Frau in die Höhe sprang. „Der tolle Bursche hat sich wahrhaftig in eine förmliche Passion für Dich verrannt, – was soll aus dem armen Narren werden, Juliane? – Leo wird sich von ihm nicht trennen wollen!“

Liane biß sich auf die Lippen – das war die Antwort auf ihre Bitte von vorhin, und in welcher frivolen, kaltlächelnden Weise wurde sie ihr gegeben! … Den Blick, der sie begleitete, sah nur die Hofdame; sie beschrieb ihn später der Herzogin als den Inbegriff von Widerwillen – wie ein Funken sei er über „die rothhaarige Frau“ hingefahren.




14.


Mittlerweile durchstreiften die fürstlichen Kinder mit Leo den Park. Sie hatten es sehr bald langweilig gefunden, reifes und unreifes Obst abzureißen und den Weg mit angebissenen Früchten zu bestreuen. Der Kaffeetisch hatte auch keine Anziehungskraft für sie – Frau Löhn wurde mit ihren Tassen, Milchgläsern und Kuchentellern entschieden zurückgewiesen; desto verlockender klangen die einzelnen kreischenden Laute aus den Affenkehlen vom indischen Garten herüber. Zwar war es den Prinzen streng verboten, das Thal von Kaschmir allein, ohne die Begleitung Erwachsener, zu betreten, hauptsächlich des Teiches wegen, der eine bedeutende, ja, verrufene Tiefe hatte. Aber jenes Verbot beirrte sie wenig; drüben unter den Ahornbäumen ging es ja so laut und lebhaft zu; die Mama und Herr Werther kamen jetzt gewiß nicht, und die Hofdame „hatte ihnen ganz und gar nichts zu sagen“, wie der Erbprinz seinem Gespielen Leo im tiefsten Vertrauen versicherte.

Zuerst wurde der Stier aufgescheucht, der sich vergnügt auf dem Uferrasen sonnte: er war aber bejahrt und sehr friedfertiger Natur und zog sich schleunigst hinter die Boscage zurück. Die Schwäne auf dem Teiche flohen vor den gutgezielten Steinwürfen flügelschlagend in ihr Haus, und das flimmernde Volk der Gold- und Glanzfasane zerstob lautlos in alle Schlupfwinkel beim Geräusche der trabenden und verfolgenden Kinderfüße.

„Du, Leo, steckt denn die Hexe noch immer d’rin?“ fragte der Erbprinz, nach dem indischen Hause zeigend.

Leo nickte. „Wenn ich nur dürfte“ – sagte er und hieb mit seiner Gerte durch die Luft.

„Jagt sie doch fort – oder werft sie in’s Wasser!“

„Dummheit – der weiß nicht einmal, daß die Hexen nicht untergehen! Sie schwimmen doch immer obendrauf, und wenn es hundert Jahre dauern sollte – die Berger hat’s gesagt, die wußte es ganz genau.“

Der Erbprinz blieb mit offenem Munde stehen; das Wunder war ihm neu; aber er wurde dadurch erst recht in seinen Vernichtungsplänen bestärkt. „Wenn wir Schießpulver hätten,“ meinte er, „da könnten wir sie ganz bequem in die Luft sprengen. Hauptmann von Horst hat mir gestern in der Stunde erklärt, wie man das macht – man legt einen Schwefelfaden hin –“

„Pulver giebt’s im Jägerhäuschen,“ schrie Leo auf – er war Feuer und Flamme. Die Hexe in die Luft sprengen! Heisa, das gäbe einen Hauptspaß!

Die Kinder liefen durch die Plantagen; sie begegneten dem Erzieher, der sie suchte, und kamen auch an dem Spaliere vorüber, wo die Mama Obst pflückte; aber sie waren schlau genug, von ihrem Geheimnisse kein Wort verlauten zu lassen – es sollte ja eine große Ueberraschung geben. Geräuschlos huschten sie in das Jägerhaus.

Der Schlüssel steckte wirklich im Gewehrschranke; hinter den Glasscheiben hing verlockend ein zwar in den Ruhestand versetztes, aber reichverziertes Pulverhorn, und der Jägerbursche war nicht in seiner Stube. Der Erbprinz stieg auf einen Stuhl, nahm das Horn vom Nagel und prüfte den Inhalt – es war bis herauf gefüllt. Nach Schwefelfaden aber sah er sich vergeblich um; indeß der kleine durchlauchtigste Kopf wußte sich zu helfen. Dort auf dem Nachttische lag das fadendünne Endchen eines Wachsstockes, und aus einem Becher guckten Schwefelhölzchen. „Es geht auch so,“ sagte er und steckte das gesammte Material in die Tasche.

In diesem Augenblicke trat der Jägerbursche herein und überflog mit einem Blicke die ganze Situation. Er war ein junger Mann mit finsteren Zügen, von dem sich Mosje Leo nichts Gutes versprechen mochte. „Mache, daß Du hinauskommst!“ befahl der Kleine in grobem, herrischem Tone, dem man aber doch die Angst um das eroberte Pulverhorn anhörte.

„Oho – aus meiner eigenen Stube?“ versetzte der Jäger – das Blut stieg ihm in das braune Gesicht. Er ging auf den Erbprinzen zu, der, das Pulverhorn mit beiden Händen auf den Rücken haltend, in eine Ecke retirirte, und griff ohne Umstände über die Schulter des fürstlichen Knaben; aber er kam schlimm an – Seine Durchlaucht trat mit den Füßen nach ihm; der andere kleine Prinz zerrte ihn am Rockschoß zurück, und Leo sprang mit hochgehobener Gerte auf ihn los.

„Warte, ich werde es machen, wie der Großpapa!“ schrie er. „Weißt Du noch, wie er Dich mit der Hetzpeitsche über das Gesicht geschlagen hat?“

Der Bursche wurde bleich bis in die Lippen – er hob die Faust, um den ungeberdigen Knaben zu Boden zu schlagen. „Brut!“ knirschte er, sich mühsam bezwingend. „Meinetwegen! Thut doch, was Ihr wollt! Immerhin! Für Euch Alle wär’s am besten, man steckte einen Schwefelfaden unter Euch an!“

Er ging hinaus und warf die Thür schmetternd in das Schloß. Die Kinder warteten in athemloser Spannung, bis seine Schritte auch hinter der Küchenthür verklungen waren, dann schlüpften sie hinaus.

Wenige Minuten darauf kam die Beschließerin aus dem Hause gelaufen und sah, die Hand gegen den Sonnenschein über die Augen haltend, angestrengt über die Anlagen hin. Das geschah in dem Augenblick, wo Baron Mainau in Begleitung der Damen nach den Ahornbäumen zurückkehrte.

„Was giebt’s, Löhn?“ fragte er die sichtlich erregte Frau.

„Im indischen Garten sind sie – die Kinder nämlich, gnädiger Herr – ich hab’ den kleinen Baron noch laufen sehen,“ versetzte sie hastig. „Daß Gott erbarm – sie haben ja Schießpulver und Schwefelhölzchen mitgenommen! Eben sagt’s mir der Jäger.“

Die Herzogin stieß einen Schreckenslaut aus und hing sich an Mainau’s Arm, der sofort den Weg nach dem Thal von Kaschmir einschlug. Liane und die Hofdame folgten, und der Erzieher, der sorglos drüben durch die Spaliere schlenderte, setzte auf einen sehr ungnädigen Zuruf der Herzogin hin auch schleunigst seine langen Beine in Bewegung.

Sie kamen eben recht, um jenes Entsetzen zu empfinden,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 157. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_157.jpg&oldid=- (Version vom 26.3.2019)