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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

„Nein, gnädiger Herr, ich habe meine Ehre so gut wie Sie, und ich halte vielleicht mehr darauf als die großen Herren, denn ich hab’ nichts weiter! … Geschlagen haben Sie mich schon einmal mit der Hetzpeitsche,“ sagte er mit fliegendem Athem zu dem Hofmarschall – die Worte stürzten ihm förmlich von den Lippen – „ich bin still gewesen, denn ich muß meinen alten Vater ernähren – aber vergessen hab’ ich’s nicht. Von Ihrer unerschöpflichen Güte sprechen Sie? – Wo Sie können, beschneiden Sie uns den Lohn – Sie schämen sich nicht, uns groschenweise das Geld abzupressen – die ganze Welt weiß, wie geizig und hart Sie sind! … So, nun ist’s gesagt, nun gehe ich fort aus Schönwerth; aber hüten Sie sich, hüten Sie sich vor mir!“ Er ergriff mit seinen kräftigen Fäusten den Fahrstuhl, schüttelte ihn heftig und stieß ihn dann von sich, daß er tief in das Gebüsch hineinfuhr.

Die Hofdame und die Kinder schrieen auf, und die Herzogin flüchtete nach dem indischen Hause zurück; Mainau aber riß in sprachloser Empörung einen Pfahl aus der Erde und holte weit aus – ein weicher Schmerzensschrei zitterte durch die Luft.

„Nicht schlagen, Mainau!“ rief Liane unmittelbar darauf mit zuckenden Lippen und ließ die rechte Hand an der Seite niedersinken – sie war lautlos herbeigeflogen, um den Schlag abzuwehren, und während der Jägerbursche gewandt auswich und hohnlachend fortstürmte, war sie getroffen worden.

Einen Augenblick stand Mainau wie versteinert vor dem Geschehenen – dann schleuderte er unter einer Verwünschung den Pfahl weit von sich und wollte mit beiden Händen die verletzte Rechte erfassen; aber er fuhr unwillkürlich zurück vor dem Hofprediger. Dieser Priester hätte sich nicht fanatischer vor das Tabernakel stürzen können, um es gegen Barbarenhorden zu schützen, als er plötzlich zwischen Mainau und der jungen Frau stand – er handelte sichtlich unter der zwingenden Gewalt einer jäh auflodernden Leidenschaft; wie hätte er sonst Miene machen können, den schlanken Leib der geschlagenen Frau an sich zu ziehen, während er mit einer heftigen Geberde die Rechte gegen den Thäter erhob!

„Nun, Herr Hofprediger, wollen Sie mich ermorden?“ fragte Mainau, unbeweglich stehen bleibend, mit langsamem Nachdrucke – er maß den Mann im langen Rocke mit tödtlicher Kälte von Kopf bis zu Füßen; das schmerzliche Entsetzen, das eben noch sein Gesicht geisterhaft gefärbt hatte, war einem verletzenden Ausdrucke von lächelndem Hohne gewichen – diese Ruhe brachte den Geistlichen sofort zur Besinnung. Er trat zurück und ließ beide Arme sinken.

„Der Schlag war zu entsetzlich,“ murmelte er, wie entschuldigend

Mainau wandte ihm den Rücken. Dicht vor Liane stehend, versuchte er, in ihre Augen zu sehen – sie blieben tief gesenkt. Mit einer sanften Bewegung griff er nach der geschlagenen Hand; sie wurde tiefer in die Falten des Kleides gedrückt.

„Es hat nichts zu bedeuten – ich kann die einzelnen Finger leicht bewegen,“ versicherte die junge Frau sanft unter einem schattenhaften Lächeln. Jetzt sah sie auf – ihre Augen glitten theilnahmlos, fast müde an dem sprechenden Blicke hin, der auf ihr ruhte, und sahen mit einem schwer zu beschreibenden Ausdrucke von Sehnsucht in die blaue Luft hinaus.

„Sie hören, es hat nichts zu sagen, Sie können sich beruhigen, Herr Hofprediger,“ sagte Mainau, sich umwendend. „Mir wird es schon schwerer – die schöne Hand dort wird morgen schon wieder mit gewohnter Meisterschaft den Stift führen; ich dagegen muß zeitlebens den Makel, eine Dame körperlich verletzt zu haben, auf meinem Rufe als Cavalier herumschleppen.“ – Welche schneidende Schärfe stand dieser Stimme zu Gebote! – „Nur an Eines möchte ich auch Sie erinnern, Herr Hofprediger – wie mag der unversöhnliche Orden, dem Sie angehören, über Ihre ungewöhnliche Theilnahme denken? … Es ist die Hand einer Ketzerin – verzeihe, Juliane! –, die Sie bemitleiden.“ …

Der Hofprediger hatte sich bereits vollkommen gefaßt. „Sie sprechen gegen Ihr besseres Wissen, Herr Baron, indem Sie uns einer solchen Härte zeihen,“ versetzte er kalt. „Wir werden im Gegentheile nie vergessen, daß auch jene Verirrten uns angehören durch die Taufe –“

„Diese Auffassung dürfte wohl auf einigen Widerspruch bei Luther’s Bekennern stoßen,“ unterbrach ihn Mainau kurz auflachend – er schien Lianens energisch protestirende Geberde nicht zu bemerken und ging der Herzogin entgegen, die sich eben wieder näherte.

„Was für haarsträubende Dinge müssen Hoheit in Schönwerth erleben!“ sagte er, unbefangen und leicht in den oberflächlichen Hofjargon übergehend.

Die fürstliche Frau sah ihn ungläubig prüfend an – er hatte wirklich ein eiskaltes Gesicht. … Bei aller Todfeindschaft, die sie im tiefsten Herzen der jungen Frau entgegentrug, erweckte ihr doch der Schmerz, der dort auf dem erblaßten Antlitze nachzuckte, eine mitleidige Regung – und er blieb ungerührt, er hatte nicht ein bittendes Wort um Verzeihung über die Lippen gebracht – diese zwei Menschen kamen sich nicht näher bis in alle Ewigkeit.

„Ach, Mama, wie sieht Deine Hand aus!“ schrie Leo auf; er hatte, sich an die Mutter anschmiegend, die verhüllenden Rockfalten weggeschoben, und da war die wie mit Scharlach bedeckte, niederhängende Hand sichtbar geworden. „Papa, so schlimm hab’ ich’s mit Gabriel doch nie gemacht!“

So unverdient der Vorwurf auch war, aus dem Munde des Knaben klang er erschütternd. Liane selbst beeilte sich, den Eindruck zu verwischen. Sie wehrte Mainau ab, der, wenn auch mit finsterer Stirn, abermals auf sie zutrat, und versicherte auf den Vorschlag der Herzogin, heimfahren und den Arzt herausschicken zu wollen, daß sich mit frischem Wasser das Brennen in der Haut am schnellsten werde beseitigen lassen; man möge ihr gestatten, sich auf eine Viertelstunde an den Brunnen neben dem indischen Hause zurückzuziehen.

„Das haben Sie von Ihrer Komödie, meine Gnädigste!“ sagte der Hofmarschall impertinent, während der Prinzenerzieher langsam den Rollstuhl wendete, um ihn fortzufahren. „Sie haben vielleicht auf der Bühne gesehen, wie sich eine Dame zwischen zwei Duellanten wirft – da macht sich’s ganz nett – aber die wohlverdiente Züchtigung eines frechen Burschen mit aristokratischen Händen abzuwehren, fi donc – ich halte Das für sehr unanständig! Die geborene Prinzessin von Thurgau, Ihre erlauchte Großmama, auf die Sie sich mit so großem Nachdrucke berufen, müßte sich in der Erde umdrehen –“ er verstummte und fuhr erstaunt herum. Mainau hatte schweigend, die Lippen fest aufeinandergepreßt, den Erzieher ohne Weiteres bei Seite geschoben und rollte nun den Stuhl in förmlichem Sturmschritte vorwärts. Die Anderen folgten, während der Hofprediger den indischen Garten bereits verlassen hatte.


(Fortsetzung folgt.)




 Steppenbild.

 (Mit Abbildung.)

Wild und rauschend, wenn die Mondnacht auf Kaukasiens Steppen ruht,
Wälzt der Kuban durch die Eb’ne silbern schimmernd seine Fluth.

Magisch ist die Nacht der Wüste, lichterfüllt und mittaghell;
Ueber wirres Fluthgestrüppe wirbelt schäumend Well’ auf Well’.

Durch die baumlos öden Weiten leisen Fußes geht die Nacht,
Und die Sterne leuchten droben feierlich in ernster Pracht.

Horch! am Ufer wird es rege: lärmend aus der Hütte steigt
Auf die Hochwacht der Kosake, während rings die Wüste schweigt.

Nach dem Feinde, dem Tscherkessen, schaut er spähend über’s Feld,
Welcher drüben, hinter’m Kuban, hoch der Freiheit Banner hält.

Krieg und Tod denkt der Kosake – plötzlich wird das Herz ihm schwer:
Ferne, fern von der Stanitza tönt die Steppenflöte her.

Ihre Weisen, langgezogen, klingen wie ein Klagelied,
Und das ganze Weh der Steppe leis’ durch ihre Klänge zieht:

Daß so groß und wundermächtig, überwält’gend die Natur,
Und der Mensch in ihrem Schooße ein verschwindend Staubkorn nur.

Und die Töne, echoweckend, ziehn zum Meere mit dem Fluß –
Himmelwärts am Horizonte hebt das Haupt der Kaukasus.

 Ernst Ziel.




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