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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

für das Herbarium, und Volkslieder, die er allerdings in seine Mappen legte Er ging im Dorfe umher, um diese naturwüchsigen Poesien aufzuzeichnen; die Frau Gräfin und der Schulmeister loci unterstützten ihn bei diesen Einsammlungen, und wenn auch nicht lauter Goldkäfer, sondern auch mancher Mistkäfer in den Glaskasten dieser Volksliedersammlung kamen – für einen echten Kenner sind solche poetische Naturwunder alle von gleichem Werthe.

Am meisten aber imponirte der minnigliche Liederdichter, wenn er Abends bei einem Glase Wein ältere und neu gedichtete, unpolitische und politische Lieder selbst vortrug, mit seiner etwas hellen Stimme sie nach selbstgefundenen oder benutzten Melodien singend. Es lag eine oft eigenthümliche Gemüthswärme in diesen Vorträgen, die später vielfach der Bänkelsängerei beschuldigt wurden, als er auf seinen Wanderungen durch Deutschland an den Wirthstafeln diese politischen Lerchenlieder oft zum Geräusche der springenden Champagnerpfropfen sang. Ein großer Theil dieser kleinen Nörgeleien ist jetzt veraltet, und man muß sich in vormärzliche Stimmungen versetzen, wenn man ihnen Geschmack abgewinnen will; aber sein Lieblingslied:

Deutschland, Deutschland über Alles,
Ueber Alles in der Welt –

ein Lied, das er stets mit ganz besonderer Wärme vortrug, hat noch jetzt nicht seinen vollen Klang verloren.

Hoffmann hatte eine verschiedene Vortragsweise für seine Lieder. Wenn er seinen unpolitischen Bienenstock schwärmen ließ, da trat der satirische Zug um seinen Mund schärfer hervor. Es war zwar keine bitterböse Satire, sondern mehr eine lächelnde Schalkhaftigkeit, die da den Ausdruck seiner Züge bestimmte. Wenn er aber seine mehr ernsten und patriotischen Ergüsse vortrug, dann leuchtete sein klares Auge geistreich auf, und die schlichte Einfachheit dieser Gedichte wurde durch den Gesang und die kühne Rhythmik seines Vortrags gehoben. Er fühlte sich als Volksdichter, und jedes Publicum war ihm recht, mochten es geputzte Neisser Stadtdamen sein oder Knecht und Magd vom Hofe und aus dem Dorfe. Sehr gern ließ er die Kindlein zu sich kommen, unterhielt sich mit ihnen und sang ihnen vor, wie er ja auch eine Menge hübscher Lieder für die deutsche Kinderwelt gedichtet hat.

Von Waltdorf aus setzte er seinen Wanderstab weiter fort in die deutschen Lande, viel gefeiert mit Hochs auf Straßen und in Wirthshäusern, mit Ständchen und auch mit Fackelzügen. Er hat das Alles sehr ausführlich in seinen Aufzeichnungen und Erinnerungen „Mein Leben“ beschrieben. Damals kam er auch in die Rheinlande und blies mit Freiligrath im Coblenzer „Riesen“ den Champagnerschaum von den Gläsern. Ein „Glaubensbekenntniß“ und die Rücksendung der Pension waren die Folgen dieser Begegnung.

Viele Jahre vergingen, ohne daß ich den Wandersänger wiedersah. Die Zeit war inzwischen eine andere geworden, die Märztage und die darauf folgende Reaction hatten die ganze Atmosphäre geändert. An den Table-d’hôtes wurde wenig Politik mehr getrieben; gegenüber den Aufständen und blutigen Kämpfen in Deutschland erschienen vormärzliche Ereignisse, wie die Amtsentsetzung eines Professors ohne Pension als sehr unwichtige und harmlose Vorgänge. Sangesfreudigkeit war nirgends in Deutschland zu spüren und gegen die vormärzliche Zeit herrschte die größte Gleichgültigkeit. „Der Mohr hat seine Arbeit gethan, der Mohr kann gehen“.[1]

Es war auf der Altenburg in Ilm-Athen, wo ich Hoffmann wiedersah. Kein größerer Gegensatz als dieser schlichte deutsche Liederdichter und der geniale kosmopolitische Franz Liszt, der so vieler Menschen Städte und Sitten gesehen hatte, Ungar, Franzose, Italiener und Deutscher in einer Person war. Das Morgenroth der deutschen Zukunftsmusik stieg damals am Horizont empor und Liszt in Weimar war ihr begeisterter Apostel. Von hier aus machten „Tannhäuser“ und „Lohengrin“ die Runde über die deutschen Bühnen, nicht blos durch den Tactirstock des genialen Capellmeisters, sondern auch durch seine Feder der Welt empfohlen. Es war ein pikanter Contrast: das schlichte deutsche Volkslied zu Gast bei der Programm- und Zukunftsmusik, welche die nicht immer schwindelfreien Höhen musikalischer Kunst erstiegen hatte. Hoffmann war etwas gedrückt; seine vormärzliche Blüthenzeit war vorüber; er gehörte zu den kaltgestellten literarischen Größen, obgleich er noch immer frisch seine harmlosen, oft recht duftigen Lieder unter den verschiedensten Etiquetten in die Welt hinaussendete. Auch gab er damals in Weimar eine germanistische Zeitschrift heraus, indem er diesen Studien immer treu geblieben war. Doch die liebenswürdige Gesellschaft ließ keinerlei Mißstimmung aufkommen, wie sie sonst leicht durch die Erinnerung an bessere Zeiten hervorgerufen werden konnte, die durch unsere Begegnung ihm wieder nähergerückt wurden.

Doctor Liszt, wie auch jetzt das thüringische Publicum den römischen Abbé am liebsten nennt, war ebenfalls in rosenfarbener Laune; denn von einem Ausfluge zurückkehrend, wurde er durch die Mittheilung überrascht, daß ihn der Kaiser von Oesterreich zum Ritter der eisernen Krone ernannt habe. Die Fürstin Wittgenstein und ihre anmuthige und geistreiche Tochter machten die Honneurs des Hauses mit großer Freundlichkeit. Bei so frischer Anregung wurde denn Hoffmann’s poetische Ader geweckt; er sattelte seinen Pegasus und ließ beim Champagnerglase einige köstlich frische Improvisationen hervorquellen, zur Verherrlichung des Ritters Liszt und meines armen Selbst.

Seit jenem Abende auf der Altenburg habe ich den Sänger der „Unpolitischen Lieder“ nur noch einmal flüchtig gesehen. Ich freute mich, als ich erfuhr, daß er in der Abtei zu Corvey ein sicheres Asyl gefunden, welches ihm der Herzog von Ratibor gewährte. Da konnte er sich in die alten Drucke und Manuscripte vertiefen, was von jeher seine eifrigste Liebhaberei gewesen war, und auch die Gegend um den Weserstrom war anmuthig genug, um seiner Freude an der Natur willkommene Nahrung zu bieten; denn er war nie bloßer Bücherwurm, er blieb bis zuletzt auch ein frischer Liederdichter, der seine Begeisterung aus Waldesduft und Sonnenschein zog. Seine „Fundgruben“ und Leistungen für die Geschichte der deutschen Sprache mögen von der gleichstrebenden Gelehrsamkeit gewürdigt werden; das deutsche Volk kennt ihn als einen unerschöpflichen Liederdichter, der auch mit seinem poetischen Glöcklein nicht wenig dazu beigetragen hat, daß die Lawine der deutschen politische Bewegung in’s Rollen kam. Und diejenigen, die jetzt auf den bequemen Bänken deutscher Volksvertretung sitzen, werden wohl daran thun, den Männern der vormärzlichen Zeit, welche mit eigenen Opfern dem Volke eine Vertretung erst erkämpfen halfen, ein dankbares Angedenken zu bewahren. Zu diesen Männern gehört der Ex-Professor Hoffmann von Fallersleben, der Wanderpoet einer Epoche, in welcher man Jeden, der von Parlamenten sprach, für eine Art von Hochverräther hielt. In der Erinnerung des deutschen Volkes aber mag er fortleben, wie er in seiner Blüthenepoche erschien – ein frischer, heiterlächelnder deutscher Mann voll Leben und Gesundheit und etwas Schelmerei, mit dem Knotenstocke in der Hand, ein echter deutscher Liederdichter!


  1. Dieses Citat gehört zu denjenigen, die in Deutschland consequent in Wort und Schrift falsch angeführt werden. Alle Welt sagt: „Der Mohr hat seine Schuldigkeit gethan“.




Pariser Bilder und Geschichten.


Tage des Schreckens.


Von Ludwig Kalisch.


Die Rue de la Roquette ist gewiß eine der interessantesten Straßen von Paris. Sie erstreckt sich von Westen nach Osten, vom Bastilleplatze bis zum Boulevard Montménil; allein sie hat nicht in allen Theilen dieselbe Physiognomie. Wenn man vom genannten Platze in diese Straße tritt, wird man versucht, sie für ein Ghetto zu halten. Sie ist eng und schmutzig und das Pflaster stets schlüpfrig, da hier die Sonne mit ihren Strahlen geizt. Die Häuser sind größtentheils niedrig, jedoch mit geräumigen Höfen versehen. In diesen Höfen herrscht vom frühesten Morgen bis zum späten Abende die regsamste Thätigkeit.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 162. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_162.jpg&oldid=- (Version vom 31.3.2021)