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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

No. 11.   1874.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Die zweite Frau.
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.
Von E. Marlitt.


(Fortsetzung.)


15.


Eben noch der Schauplatz der aufregendsten Scenen, lag das „Thal von Kaschmir“ jetzt wieder unter jener traumhaften, leise durchsummten Stille, wie sie dem heißen Sommernachmittage auf dem Lande eigen ist. Von dort, wo der steinerne Schwan einen Wasserstrahl in das Brunnenbecken goß, scholl schwaches Plätschern, und aus dem Gebüsche steckte ein metallisch schimmernder Glanzfasan seinen grünen Federbusch, um über die Kiesfläche vor dem Hause unter leisem, geisterhaftem Geräusche hinzuhuschen. Nach dem letzten Verrollen des Fahrstuhles weit drüben hätte man meinen mögen, häßliche, aufregende Schattenbilder einer Laterna magica seien für einen Augenblick an dem Hause mit dem Bambusdache vorbeigeflogen, ein solch unberührter Frieden breitete sich wieder darüber hin – aber dort quer über dem Wege lag noch der weithin geschleuderte Pfahl, und auf der Veranda dräute der verhängnißvolle Pulverhaufen, den der in lautloser Majestät hinter dem Hause hervorkommende Pfau erstaunt beguckte. Auf der kühlen Brunnenfluth des Beckens schwammen weiße Rosenblätter, flockig und so massenhaft, als habe der von Rosengesträuch halb verstrickte, wasserspeiende Schwan sein Gefieder abgeschüttelt. Die junge Frau tauchte ihre schmerzende Hand hinein, und jetzt erschrak sie selber, so unförmlich und rothflammend erschien das verletzte Glied zwischen den schwimmenden Blättern.

„Gnädige Frau, da müssen wir Compressen auflegen,“ sagte Frau Löhn – sie kam aus dem indischen Hause, und über dem Arme hingen ihr weiße Leinwandstreifen. … Sie bekreuzte sich nicht und schlug auch nicht die Hände zusammen bei dem Anblicke; das war nicht ihre Art – dennoch hatte diese barsche Frau, die ihren unzerstörbaren Gleichmuth, ihre innere Kälte und Herzlosigkeit stets selbst mit einer förmlichen Genugthuung hervorhob, etwas an sich, was Liane auffiel – ihre kräftigen Hände schlugen vor innerer Aufregung, als sie ein Stück Leinen in das Wasser tauchte. „Ja, ja – das ist schon so die Mode in Schönwerth,“ sagte sie mit einem Seitenblicke auf das feurige Mal, „ein Schlag auf die Hand, daß man meint, es bleibt kein Knochen heil, oder ein wüthiger Griff an so eine arme kleine Kehle –“

Die junge Frau sah ihr erstaunt in das Gesicht; aber Löhn rang eben den Leinwandfleck aus und schleuderte einen sprühenden Tropfenregen auf den Kies.

„Die da drin liegt, könnte was erzählen,“ setzte sie dumpf hinzu und zeigte mit der triefenden Hand hinter die Glasthür des indischen Hauses. „Ich sage immer, für die Frauenzimmer ist das Schloß dort ein schlimmer Boden“ – sie sprach dasselbe aus wie der Hofprediger – „und wie Sie angekommen sind, gnädige Frau, so fein, so ‚zärtlich‘ – da haben Sie mir in der Seele leid gethan.“

Ihr geschärfter Blick fuhr über das Gebüsch hin und den Weg entlang, aber kein unberufener Zeuge war zu entdecken – nur ein kleiner Affe glitt von einem Baumwipfel auf das benachbarte Bambusdach und hockte auf den First nieder. … Frau Löhn nahm behutsam die verletzte Hand aus dem Wasser und legte die Compresse darauf – tief darüber hingebückt, sagte sie mehr vor sich hin: „Ja, da liefen sie dazumal Alle im Schlosse zusammen – ich meine vor dreizehn Jahren – und in der Küche hieß es, vor der rothen Stube – da lag der gnädige Herr schon halb und halb im Sterben – hatten sie ‚Die aus dem indischen Hause‘ todt gefunden, der Schlag hätte sie gerührt; hm ja, so jung und so schmächtig und so schneeweiß – solche Leute rührt der Schlag nicht, gnädige Frau. … Und nachher wurde sie auch gebracht, und dem Manne, der sie trug, hing sie über dem Arme wie ein armes weißes Lämmchen, das sie erschlagen haben – er hat sie für todt da hineingetragen und auf die Stelle gelegt, wo sie noch liegt – nach dreizehn Jahren. … Ich bin neben ihm hergegangen; ich bin zwar hart – nein, gnädige Frau, in der Stunde will ich einmal die Wahrheit sagen – ich bin nicht hart; ich hab’ gar ein dummes, weichmüthiges Herz in der Brust, und dazumal gar, da hab’ ich gemeint, es würde mir in Stücken zerrissen, als die arme Frau unter meinen Händen die Augen wieder aufschlug und sich sogar vor der alten Löhn fürchtete und meinte, sie sollte wieder – gewürgt werden –“

Liane stieß einen Laut des Entsetzens aus – Frau Löhn aber rannte ein Stück Weges entlang und sah über den Garten hinweg; dann umkreiste sie das Haus und kehrte beruhigt zurück.

„Wer‚A‘ sagt, muß auch ‚B‘ sagen,“ fuhr sie mit gedämpfter Stimme fort, „und hab’ ich wir einmal das Herz über die Lippen laufen lassen, da kann ich nicht mitten drin aufhören. Der Doctor – auf gut Deutsch gesagt, ein Halunke – meinte, die blauen Flecken an dem schneeweißen Hälschen kämen von Blutstockungen – ja, Blutstockungen! Zehn Finger sind’s gewesen, die sich da festgekrallt hatten, zehn Finger, sage ich, gnädige Frau.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 171. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_171.jpg&oldid=- (Version vom 30.5.2018)