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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

„Wer hat es gethan?“ fragte Liane mit stockendem Athem. Jedem andern Menschen hätte sie vielleicht klug durch ein entschiedenes Verbot das schlimme Geheimniß in die Brust zurückgedrängt, um nicht Mitwisserin zu werden – aber diese ernsthafte Frau, die dreizehn Jahre lang mit Aufbietung aller Willenskraft und geistigen Stärke eine eiserne Maske vorgehalten, imponirte ihr und riß sie hin durch die Art und Weise, wie sie halb widerwillig, halb überwältigt von innerer Bewegung, für einen Moment die Riegel vor ihrer Seele wegschob.

„Wer es gethan hat?“ wiederholte Frau Löhn mit einem funkelnden Blicke. „Die Hände, die immer gleich nach der Hetzpeitsche greifen wollen, die Finger mit den Nägeln, die sich so einwärts biegen, als wollten sie nur immer zusammenscharren und als könnten sie nie genug kriegen. … Gnädige Frau, er ist ein Teufel! –“

„Er muß sie bitter gehaßt haben –“

„Gehaßt?“ lachte die Beschließerin fast gellend auf. „Ist das Haß bei einem Manne, wenn er sich auf den Boden wirft und um Erbarmen heult und winselt? … Ja, ja – wer möchte es dem gelben, vertrockneten Gerippe noch ansehen, daß er wie von der Furie besessen hinter so einem armen Weibe hergewesen ist! … Da auf der Veranda habe ich gestanden und habe durch’s Fenster mit angesehen, wie er vor ihr auf den Knieen gelegen hat. Mit den Händen hat sie nach ihm gestoßen und geschlagen und ist nachher an mir vorbeigeflogen in die Nacht hinaus. Dazumal war er noch flink auf den Beinen – er hat sie durch den ganzen Garten gehetzt; aber sie war ja nur so eine Feder – wie ein Schneeflöckchen war sie. Sie war längst wieder drin und hatte den Schlüssel umgedreht und lag vor der Wiege, wo der kleine Gabriel schlief – da kam er erst wieder an. Ich habe in meiner dunklen Ecke erst geflucht und nachher gelacht – keine drei Schritte weit von mir hat er gestanden und wüthend mit der Faust auf das Holzgitter geschlagen; aber es half Alles nichts – er mußte abziehen.“

Lianen erschien plötzlich die ganze Scenerie um sie her anders beseelt – die Frau erzählte so lebendig. Sie sah das junge Weib auf flüchtigen Füßen den Teich umkreisen, Angst und Abscheu in dem schönen, zurückgewendeten Gesichte – und hinter ihr ihn, den Mann der Formen, den kalten Höfling mit der impertinenten Zunge, als halb wahnwitzigen Verfolger – wie war das möglich? … Unwillkürlich trat sie einen Schritt vom Brunnen weg, um einen Einblick in das indische Haus zu gewinnen; aber hinter den Fenstern und der Glasthür hingen unbeweglich die steifen, bunten Matten.

„Ja, nicht wahr, Sie haben Mitleid mit ihr, gnädige Frau?“ fragte die Beschließerin den Blick auffangend. „Es ist jetzt seit zwei Tagen immer gar still drin; sie schläft viel – um’s kurz zu sagen – sie schläft dem Tode entgegen; keine vier Wochen mehr, da ist Alles vorbei.“

„War denn Niemand da, der sie beschützte?“ fragte die junge Frau mit feuchtem Auge.

„Wer denn? … Der sie über’s Meer gebracht hatte, der selige gnädige Herr, der steckte viele Monate in der rothen Stube: da hingen die Rouleaux herunter und kein Fenster durfte aufgemacht werden, und wenn ihm die Angst kam, da ließ er auch noch die Läden vorschlagen und steckte Papierschnitzel in die Schlüssellöcher, daß – der Teufel ja nicht hereinkommen könnte. … Er ist ein grundgescheidter Herr gewesen; aber mit der Krankheit hat er auf einmal Alles schwarz gesehen, und daß das nicht besser wurde, dafür haben zwei gesorgt – der mit dem geschorenen Kopfe und der Andere, den sie vorhin fortgefahren haben. Da hat’s geheißen, er sei krank, weil er den Heidentempel im indischen Garten gebaut habe, und weil sein Herz an ‚der Straßentänzerin‘ hing – und er hat’s geglaubt. … Du lieber Gott, was Alles kann man aus einem Menschen machen, wenn er krank ist und es ihm dunkel im Kopfe wird! Hat er aber einmal nach der Frau gefragt, die ihm doch das Liebste auf der Welt gewesen ist, da haben sie gesagt, sie sei untreu geworden und fände Gefallen an einem Anderen – pfui, wie ist dazumal gelogen und betrogen worden! … Und sie haben Alle mitgespielt, wie sie waren im Schlosse – Gott verzeih’s ihm – mein verstorbener Mann auch. Er war Kammerdiener beim seligen gnädigen Herrn, und wäre um Amt und Brod gekommen, wenn er nur gemuckst hätte.“

Das auszusprechen, mochte ihr sehr schwer werden und einen inneren Kampf kosten, denn zum ersten Male fuhr sie mit der Hand über die Augen, um eine Thräne wegzuwischen. „Und da habe ich mir auch ein bitterböses Gesicht einstudirt und alle Welt grob angeschnurrt, und die Frau im indischen Hause war mir ein Dorn im Auge, und ihr Kind erst recht. … So ist’s gekommen, daß ich den Gabriel aus der Taufe heben mußte, und daß sie mich gewählt haben, die kranke Frau zu pflegen. … Nicht wahr, gnädige Frau, ich kann gut Komödie spielen? Es sieht ganz natürlich aus, wenn ich den Gabriel drüben im Schlosse anfahre und in den Ecken ’rumstoße. … Ach, und er ist mein Herzblatt, mein Augentrost – ich könnte mein Herzblut tropfenweise für ihn hingeben. Habe ich ihn doch auferzogen vom ersten Athemzuge an, und Thränen genug geweint über das arme Köpfchen, aus dem mich die Augen doch immer so geduldig und liebevoll ansahen, wenn ich auch noch so hart that!“ ihre Stimme brach; jetzt weinte sie in der That bitterlich in ihre Schürze.

„Und er ist doch einer von ihrer Familie,“ setzte sie nach einer kurzen Pause sich bezwingend hinzu und ließ mit einer trotzigen Geberde die Schürze fallen. „Er ist doch ein Mainau, so wahr die Sonne da oben steht – und wenn der selige gnädige Herr ihn auch nie mit einem Auge hat sehen dürfen – sein Kind ist und bleibt der Gabriel.“

„Das Alles hätten Sie dem jungen Herrn sagen sollen, als er die Erbschaft antrat,“ sagte Liane ernst.

Die Beschließerin prallte förmlich zurück und hob die Hände heftig protestirend. „Gnädige Frau – dem?“ fragte sie, als höre sie nicht recht. „Ach, das ist nicht Ihr Ernst! Wenn der junge gnädige Herr den Gabriel nur von der Seite ansieht, da zittere ich schon – hu, der Blick geht mir durch Mark und Bein! … Es ist ja wahr, der Herr Baron ist sonst sehr gut. Er thut viel für die Armen und leidet kein Unrecht, das auf der Hand liegt; aber – er will Vieles nicht sehen; er läßt sich nicht gern stören in seiner Lebensfreude, und da geht’s – husch – über Manches weg, was ganz anders untersucht werden müßte. … Er weiß ja doch auch, weshalb die Kranke immer so aufschreit, wenn die Frau Herzogin vorbeikommt –“ sie verstummte.

„Nun, weshalb?“ fragte Liane gespannt.

Die Beschließerin sah sie verlegen von der Seite an. „Je nun – der junge Herr Baron sieht seinem Onkel so ähnlich, daß Unsereins manchmal darauf schwören möchte, der verstorbene gnädige Herr sei leibhaftig wieder da. … Und da ist er einmal am indischen Hause vorbeigegangen und hat die Frau Herzogin am Arme gehabt“ – sie sah sich scheu um – „und die sieht ihn ja immer mit Augen an, als wollte sie ihn verbrennen – ich bin ja nicht dabei gewesen, ich weiß es ja nicht – aber die kranke Frau hat in ihrem Kopfe gemeint, der da draußen sei ihr Liebster, und hat in heller Eifersucht aufgeschrieen – seitdem ist sie immer so unruhig, wenn die Hoheit vorbeireitet. … Das beweist doch, wie lieb sie den verstorbenen Herrn gehabt hat – aber der Herr Baron sagt immer nur: ‚die Frau ist wirr im Kopfe‘, und damit ist die Sache abgemacht. … Nein, er rührt keinen Finger, und wenn der liebe Gott nicht ein Einsehen hat, da muß mein armer Junge ohne Gnade in drei Wochen fort in die geistliche Dressur – und nachher wird er unter die Heiden geschickt; da ist er ihnen freilich nicht mehr im Wege.“

„Das geschieht aber doch nur, weil es der Verstorbene gewünscht hat.“

Die Beschließerin sah der jungen Frau mit einem langen, sprechenden Blicke in die Augen. „Ja, so sagen sie drüben im Schlosse, aber – wer’s glaubt! Haben Sie den bewußten Zettel gelesen?“

Liane verneinte.

„Ich glaub’s – wer weiß, wie er aussieht! … Sehen Sie, gnädige Frau, an dem Abende, wo Sie unversehens in das indische Haus kamen und so liebevoll mit dem Gabriel waren, da habe ich innerlich aufgejubelt und habe gedacht: endlich schickt unser Herrgott seinen guten Engel. Der Engel sind Sie auch geblieben – ich habe es vorhin erst wieder gesehen, wo Sie so muthig vor der ganzen schrecklichen Gesellschaft dem armen Jungen beistehen wollten; aber durchdringen werden Sie in dem Hause nie. Dahinein paßt nur Eine, wie die selige gnädige Frau, die gleich mit beiden Füßen stampfte und den Schloßleuten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 172. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_172.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)