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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

in einer einsamen Hütte auf diese Weise verlebten Nacht, Morgens beim Erwachen meine Kleider und Hängematten voller Blut fand, das aus kleinen an meinen Fingern und Zehen befindlichen Wunden, weiche von Vampiren verursacht waren, hervorströmte. Ich wurde einst in einer solchen Hütte an sieben Stellen, an Fingern und Zehen während der Nacht gebissen und verlor dabei eine solche Menge Blut, daß dasselbe eine förmliche Lache unter meiner Hängematte bildete, wodurch ich mich so schwach fühlte, daß ich mich ungesäumt von meinen Leuten eine Entfernung von zwanzig Stunden zurücklassen mußte, wo ich in Folge des großen Blutverlustes mehrere Tage lang darnieder lag.“

Man braucht nicht in Südamerika gewesen zu sein, um diese Erzählung zum Mindesten für höchst übertrieben zu erklären. Außer Appun haben auch noch andere und jedenfalls glaubwürdigere Reisende jahrelang in Südamerika sich aufgehalten, sorgfältig Blutsauger beobachtet und ähnliche Erfahrungen nicht gesammelt. Gerade diejenigen Reisenden, welche nicht allein den erforderlichen Willen, sondern auch die nöthigen Kenntnisse besaßen, um Fledermäuse beobachten zu können, versichern übereinstimmend, daß nur äußerst selten ein Blutsauger auch an Menschen sich wagt. „Obgleich wir,“ bemerkt Humboldt, „in den Ländern, wo die vampirähnlichen Fledermausarten häufig sind, so manche Nacht unter freiem Himmel geschlafen haben, sind wir noch nie von ihnen gebissen worden.“ Auch Rengger, welcher viele Jahre lang in Paraguay lebte, kennt nur das von Azara angeführte Beispiel, daß Menschen von Blattnasen angezapft worden sind und ebenso wenig haben Burmeister und Hensel etwas Aehnliches in Erfahrung gebracht. Gleichwohl läßt sich die Thatsache, daß die Blattnasen schlafenden Menschen Blut aussaugen, nicht bezweifeln; die Anzahl der Leute, welche von ihnen geschröpft worden sind, ist jedoch sehr gering, und Jeder, welcher durch die Thiere einen kleinen Aderlaß erhielt, verfehlt nicht, seine gerechte Entrüstung an den Tag zu legen. Bates verlebte elf Jahre in Brasilien und wurde von Fledermäusen oft behelligt, auch von Vampiren gebissen. Während seines Aufenthaltes in Caripe wohnte er in einem Zimmer, welches seit mehreren Monaten nicht gebraucht und an verschiedenen Stellen offen war. In der ersten Nacht bemerkte er nichts Ungewöhnliches, in der zweiten dagegen wurde er durch das Rauschen erweckt, welches ein im Innern des Raumes hin- und herfliegender, zahlreicher Schwarm von Fledermäusen verursachte. Als unser Forscher die von den Thieren ausgelöschte Lampe wieder angezündet hatte, fand er das Zimmer von ihnen erfüllt. Sie flüchteten, weil er mit einem Stocke nach ihnen schlug, kehrten aber bald wieder zurück und umgaukelten das Licht in dichtem Gedränge. In der folgenden Nacht fanden sich mehrere in der Hängematte ein, Bates griff einige von ihnen, welche auf ihm herumkrabbelten, und warf sie gegen die Mauer des Zimmers. Bei Tagesanbruch fand er an sich eine unzweifelhaft von Blutsaugern herrührende Wunde und ließ nunmehr von den Negern das Dach untersuchen, welches jenen zur Zufluchtsstätte gedient hatte. Die Schwarzen fingen mehrere Hundert ein und brachten die meisten von ihnen um.

Aus allen Angaben dieser glaubwürdigeren Reisenden geht also mit nicht anzuzweifelnder Bestimmtheit hervor, daß der Mensch selbst dann keine Gefahr läuft, wenn die Blutsauger sich mit ihnen zu schaffen machen, und daß alle die schauderhaften Berichte kaum mehr als ein Körnlein Wahrheit enthalten. Ein nicht näher bezeichneter Reisender ließ sich mit vollster Absicht schröpfen, um die Vampire dabei beobachten zu können. Einer von diesen erschien um Mitternacht in seinem offenen Schlafzimmer, segelte geräuschlosen Zuges von einem Ende des Raumes zum andern, nahete sich sodann dem Ruhenden, flatterte anfänglich unter dem Betthimmel hin und her, verkürzte nach und nach seine Windungen, schwebte mehr und mehr hernieder, kam dicht über ihn und bewegte seine Fittiche außerordentlich schnell, jedoch ohne jedes Geräusch, dem erwähnten Opfer eine höchst angenehme Kühlung zufächelnd, hierauf senkte er sich vollends herab. Der Erzähler versichert, daß er den Augenblick, in welchem der Vampir biß, nicht bestimmen konnte, so schmerzlos war der Biß und so angenehm das Fächeln mit den Schwingen. Nach und nach fühlte er doch ein leises Schmerzgefühl, wie wenn ein Blutegel sich angesaugt hätte, griff zu und erwürgte den Blutsauger. Diese Erzählung scheint glaublich, weil andere Beobachter, wenn auch nicht an sich selbst, so doch an Thieren Aehnliches beobachtet haben. Doch bemerkt Rengger ausdrücklich, daß er das Fächeln für unmöglich erachte, weil Fledermäuse nicht zu gleicher Zeit saugen und ihre Fittiche bewegen können, er auch stets gesehen habe, daß sie, wenn sie auf die Pferde sich niedersetzen, die Flügel einziehen.

In Gegenden, wo Blutsauger häufig sind, verrathen sie ihre Anwesenheit vornehmlich an Reit- und Lastthieren, und namentlich in der kalten Jahreszeit, in welcher ihnen die Kerbthiere fehlen, bemerkt man die Bisse sehr regelmäßig. Zum Ansaugen wählen sie stets bestimmte Stellen, vor allen solche, wo die Haare des Thieres einen Wirbel bilden und sie nicht bis auf die nackte Haut kommen können. Burmeister fand die meisten Bißwunden am Widerrist, besonders bei solchen Thieren, welche daselbst nackte blutrünstige Stellen hatten. Ein zweiter Lieblingsplatz ist die Schenkelfuge am Becken, wo die Haare auseinanderstehen, doch auch unten am Beine beißen sie gern, seltener dagegen am Halse und nur ausnahmsweise am Kopfe, an der Nase und an den Lippen. So lange der Gaul oder Esel wach ist, läßt er die Fledermäuse nicht heran, wird bei ihrem Kommen unruhig, stampft, schüttelt sich und verscheucht den Feind, welcher ihn umschwirrt. Schlafende Thiere aber lassen sich ruhig besaugen. Wie Vampire beißen, läßt sich nicht mit völliger Sicherheit angeben. Man weiß nur, daß sie sich mit halbgeöffneten Flügeln niedersetzen, die Haare etwas auseinander schieben, das warzige Kinn niederdrücken und nun zu saugen beginnen. Die Wunde ist ein kleines, flaches Grübchen, welches wie eine scharfe Stichwunde aussieht. Man bemerkt an ihr keinen Eindruck von Zähnen wie bei Bißwunden, der Rand dagegen ist immer sehr aufgelockert und angeschwollen. Je nach dem Theile des Körpers hat sie eine Tiefe von ein bis zu zwei Linien, reicht aber niemals bis auf die Haut hindurch und auf die Muskeln. Die Schnittfläche ist nicht senkrecht gegen die Oberfläche der gebissenen Stelle gerichtet, wie sie bei Wunden durch Eckzähne der Fall sein würde, sondern geht im Ganzen parallel.

„Man könnte,“ bemerkt Hensel, „ähnliche Wunden hervorbringen, wenn man die Haut etwas mit einer Kneifzange in die Höhe ziehen und nun mit einem Messer, das wie beim Rasiren etwas über die Haut führe, die Stelle wegschneiden würde. Durch einen solchen Schnitt oder Biß, mit welchem immer ein Stoffverlust verbunden ist, wird eine große Anzahl feiner Hautgefäße durchschnitten, und es tritt sofort eine reichliche und lange dauernde Blutung ein.“ Nach Beschaffenheit der Wunde glaubt Hensel, daß sie nur durch die Schneidezähne gewisser Arten hervorgebracht werden könne, und scheint deshalb geneigt, die meisten Blattnasen von dem Verdachte des Vampirthums freizusprechen.

Rengger glaubt nicht, daß die Blutsauger sogleich vermittelst eines Bisses den Saumthieren die Wunde beibringen, vermuthet vielmehr, daß sie vorher durch Saugen mit den Lippen die Haut unempfindlich machen, wie dies durch Aufsetzen von Schröpfköpfen geschieht, und dann erst mit den Zähnen eine kleine Oeffnung zu Stande bringen, durch welche sie ihre ausdehnbare Zunge bohren. Hierdurch erzeugen sie die trichterförmige Einhöhlung. Die Wunde hat an und für sich nichts Gefährliches; da jedoch zuweilen vier, fünf, sechs und noch mehr Fledermäuse in der nämlichen Nacht ein Saumthier ansaugen und dies sich oft mehrere Nächte hinter einander wiederholt, werden die Thiere durch den Blutverlust, welchen jene unmittelbar und mittelbar verursachen, sehr geschwächt und haben außerdem daran zu leiden, daß die Schmeißfliegen gern in solche Wunden ihre Eier ablegen und dann sehr bösartige Geschwüre hervorrufen.

Hensel nimmt an, daß die Blutsauger Südamerikas, da das Pferd hier nicht einheimisch ist, ursprünglich auf einen andern Nahrungszweig angewiesen sein müssen. Die größeren Thiere des Waldes sind durch ihre Lebensweise, zum Theil auch durch ihre Geschicklichkeit vor den Bissen der Blutsauger geschützt; es bleibt daher nur die Annahme übrig, daß letztere kleine warmblütige Thiere, Mäuse, Vögel und dergleichen fangen, um ihnen das Blut auszusaugen, und daß sie blos in Ausnahmefällen auf Pferde und Maulthiere gehen. Diese Annahme ist unzweifelhaft richtig, wie auch daraus hervorgeht, daß man Blutsauger beobachtet hat, welche andere Arten ihrer Ordnung anzapften.

Kolenati brachte aus einer Höhle Mährens mehrere Hufeisennasen und Ohrenfledermäuse mit sich heim, ließ die ganze Gesellschaft in seinem Arbeitszimmer umherfliegen und sich selbst

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_178.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)