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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Hand auf den Sims gestützt, das liebliche Profil ihm zugewendet, stand sie in sich gekehrt noch im Fenster; die zartgeschwellten Lippen lagen leicht aufeinander, und bei dem Geräusch, das Mainau’s Eintreten verursachte, wandte sie langsam den Kopf, und die großen, tiefen Augen sahen ihn ruhig ernst an. Hier war kein Kampf gekämpft worden – sie war ja längst mit sich fertig.

„Leo wird mir das Leben schwer machen, wenn er wieder in sein altes Quartier umsiedeln muß,“ warf er hin, ihren Blick mit einer Art von starrer Kälte erwidernd.

Ein tiefer Seufzer glitt über die Lippen der jungen Frau; ihre Augen füllten sich mit Thränen. „Du wirst Das nicht lange mit ansehen müssen – Du gehst ja fort,“ sagte sie leise, auf den Boden sehend.

„Ja wohl, ich gehe, und diesmal werde ich mich dem Leben stürmischer als je in die Arme werfen – wer will mir Das verargen? Hinter mir die Eisregion des Tugendstolzes, des kalt zersetzenden Verstandes, und vor mir der bunte Reigen des Genusses – draußen ein umjubelter ‚Märchenprinz‘, und hier ein gemaßregelter, mit geringschätzendem Seitenblicke kalt gemusterter Mann.“

Er schritt nach der Ausgangsthür. „Hast Du noch etwas zu sagen, Juliane?“ fragte er, sich halb umwendend, über die Schulter zurück.

Sie schüttelte verneinend den Kopf, und doch preßte sie die Hand auf das Herz, als unterdrücke sie gewaltsam ein aufwallendes Verlangen.

„Wir sind heute zum letzten Male allein zusammen,“ betonte er, ihre Bewegung mit scharfem Blicke verfolgend.

Rasch entschlossen, näherte sie sich ihm. „Ich habe Dir vorhin viel Bitteres gesagt – ohne es zu wollen; es thut mir leid, und doch – bin ich noch nicht zu Ende. … Du hast mich selbst aufgefordert – willst Du mich anhören?“

Er bejahte, blieb aber, die Hand auf das Thürschloß gelegt, unbeweglich stehen.

„Ich habe Dich wiederholt sagen hören, daß Dir für das nächste halbe Jahr nicht eine einzige Aufgabe in der Heimath zu erfüllen bliebe. … Mainau – sollte wirklich ein Vater – sei seine Lebensstellung, welche sie wolle – berechtigt sein, sich von seinen Pflichten dergestalt loszusagen, daß ihm die Erziehung seines Kindes keine Aufgabe ist? … Weiter: In welchen Händen lässest Du Dein einziges Kind zurück? … Du sprichst selbst mit Nichtachtung von dem starren, unhaltbaren Dogmenwerke, das Deine Kirche neuerdings predigt, und das, bis in das Reich des finstersten Aberglaubens hinein, vom Hofprediger und Deinem Onkel streng aufrecht erhalten wird, und doch überlässest Du ihrer Führung sorglos den jungen Kopf Deines Kindes, noch mehr, Du schweigst gegen Deine Ueberzeugung –“

„Ach, Das ist die Strafe dafür, daß ich Dir heute bei dem unerquicklichen Streite um des Teufels Existenz nicht secundirt habe! Bah – wer wird sich herablassen, gegen solchen Widersinn auch nur ein Wort zu verlieren – er geht an sich selbst zu Grunde. … Leo ist auch geistig mein Sohn – er wird den Ballast abschütteln, sobald er selbstständig zu denken anfängt.“

„So bequem denken Viele, die handeln müßten, und nur so ist es zu erklären, daß die wahnsinnigste Vermessenheit des Menschengehirns, die der alte Mann in Rom proclamirt, in unserm Jahrhundert auch nur aufzutauchen vermochte. … Bist Du wirklich sicher, daß Leo die innere Wandlung so leicht überstehen wird wie Du? Ich weiß, daß die ersten religiösen Zweifel und Kämpfe Wunden in der Seele zurücklassen – weshalb sie muthwillig und unvermeidlich heraufbeschwören und mit ihnen vielleicht das gesammte religiöse Bewußtsein für immer erschüttern? … Wie wir auch eine Kindesseele bewachen und studiren mögen, sie bleibt dennoch ein Geheimniß in sich und für uns, die wir auch bei einem geschlossenen Blumenkelche nicht sagen können, ob er nicht doch plötzlich verkrüppelte Blätter entfalten wird – so viel weiß ich nun schon, seit ich mit Leo zusammenlebe und ihn unausgesetzt beobachte. Ich bitte Dich dringend, lasse ihn nicht in den Händen des Hofpredigers!“

Er schwieg, aber seine Finger glitten vom Thürschlosse.

„Gut,“ sagte er, wie nach einem augenblicklichen Ueberlegen, „ich will diese Bitte als eine Art letzten Willens vor Deinem Scheiden respectiren – ist Dir’s recht so?“

„Ich danke Dir!“ rief sie herzlich und bot ihm die Linke.

„Nein, mir liegt nichts an solch einem Händedrucke; wir haben ja aufgehört – gute Cameraden zu sein,“ sagte er sich abwendend. „Uebrigens“ – ein unbeschreibliches Gemisch von Satire und frivolem Spotte flog um seinen Mund – „bist Du nicht sehr dankbar. Dein sehr guter Freund, der Herr Hofprediger, bricht, wo er kann, in schrankenloser Selbstverleugnung eine Lanze für Dich – und Du intriguirst gegen ihn?“

„Er weiß am besten, daß ich diese Ritterdienste nicht wünsche,“ erwiderte sie gelassen. „Am ersten Abende meines Hierseins hat er sich mir bereits genähert – ich bin aber nicht gesonnen, mich auf diesem schlauen, indirecten Wege bekehren zu lassen.“

„Bekehren?“ lachte Mainau schallend auf. „Sieh mich an, Juliane!“ – er ergriff ihre Linke und preßte sie heftig – „meinst Du das wirklich? Bekehren – zum Katholicismus bekehren? – Ich will die Wahrheit wissen! – Hat er seine berühmte Predigerstimme schmeichelnd gemißbraucht, der wundersame Gottesmann? Juliane, sei ehrlich – wenn er je gewagt hat, Dich auch nur mit seinem Athem zu berühren –“

„Was ficht Dich an?“ zürnte sie, mit stolzer Geberde ihre Hand aus der seinen ringend. „Ich verstehe Dich nicht. Es fällt mir nicht ein, irgend etwas vor Dir zu verheimlichen, das auf Deinem Grunde und Boden ausgesprochen worden ist, sobald Du mich danach befragst – und so antworte ich Dir: Er hat mir gesagt, Schönwerth sei ein heißer Boden für Frauenfüße, gleichviel, ob sie aus Indien, oder aus einem deutschen Grafenhause kämen – zugleich versuchte er, mich auf unausbleibliche schlimme Augenblicke vorzubereiten.“

„Prächtig eingefädelt! … Das muß man ihm lassen, er hat Geist, der Mann. Er sieht auf den ersten Blick das, was blöde Augen erst dann erkennen, wenn es für sie verloren ist. … Ja, siehst Du, Juliane – Valerie war ein vortreffliches Beichtkind, und er hat ja Recht, wenn er wünscht, daß auch die neue Herrin von Schönwerth in das alte Geleise einlenke, um – des religiösen Friedens im Hause willen – so ist’s gemeint, nicht wahr?“

„Ich denke – oder vielmehr, daran zweifle ich keinen Augenblick,“ erwiderte sie und sah ihn mit den großaufgeschlagenen Augen ehrlich und fest an. „Deshalb verwahre ich mich ja eben, wie ich Dir bereits erklärt, stets entschieden gegen seine Einmischung.“

„Stählern genug mag Dein Wille sein; er wird es ja wohl auch bleiben. … Juliane, ich wollte, ich hätte nicht so tief in den Abgrund der Gesellschaft geblickt, dann würde ich auf diese Schrift hier“ – er neigte den Kopf gegen ihr Gesicht – „wie auf das Evangelium schwören; aber“ – er lachte bitter auf. „Ja, ja – dieser Kopf da mit der prachtvollen Goldfluth, er würde nicht übel in die Engelschöre der katholischen Kirche passen – ich glaub’s dem frommen Bekehrer gern, und es ist auch süß, als Engel verherrlicht zu werden – Du weißt’s nur noch nicht, Juliane! – Nun, ich werde selbst energisch Mittel und Wege gegen diese Bekehrung ergreifen –“

„Wozu dies Alles?“ fiel die junge Frau ein. „Du gehst ja fort, und ich –“

„Ich sollte meinen, das hättest Du nun oft genug ausgesprochen!“ rief er zornig und stampfte mit dem Fuße auf. „Du wirst wohl die Gnade haben müssen, mir zuzugeben, daß ich einzig und allein zu bestimmen habe, ob und wann ich reisen will.“

Sie schwieg – zu welcher Verkehrtheit ließ sich dieser Mann durch sein unberechenbares Temperament hinreißen! – Als ob nicht er selbst bis zu dem heutigen Tage mit dem Vorgefühl des höchsten Genusses von dieser Reise unablässig gesprochen hätte!

„Gestehe es nur, Juliane, bei jener Vorbereitung auf die schlimmen Augenblicke hat der liebenswürdig indiscrete, fromme Mann auch mein Privatleben nicht geschont,“ sagte er leichthin, während er eine der Elfenbeingestalten vom Sockel herablangte, um sie aufmerksam zu betrachten.

„Das setzt ein ruhiges Anhören meinerseits voraus,“ antwortete sie verletzt. „So viel Pflichtgefühl wirst Du mir zutrauen, daß ich eine Verunglimpfung Deiner Person nie geduldet haben würde, selbst wenn das fremde Urtheil meiner eigenen Ueberzeugung entsprochen hätte. Der muß eine Frau

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 188. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_188.jpg&oldid=- (Version vom 18.12.2021)