Seite:Die Gartenlaube (1874) 203.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

No. 13.   1874.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Die zweite Frau.
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.
Von E. Marlitt.


(Fortsetzung.)


Vor dem Forsthause, das Liane erst jetzt gleichsam entdeckt, hatte sie gestern die Blätter gelesen, und heute lagen sie wieder vor ihr. … Das Forsthaus war keines jener modernen, coquett geschmückten Häuser im Schweizerstile, wie man sie gern an den Waldessaum verlegt. Es war ein uraltes Gebäude mit schiefen Wänden und verschobenen Fenstern, hinter welchen die weißen Filetgardinen der Frau Försterin, wie verlegen über ihr unpassendes Placement, nur in schmalen Streifen erschienen. Weder Ziegel noch Schiefer hatten je den alten Veteranen geschützt – ein festes, gutgehaltenes Strohdach stieg in jäher Steilheit empor und trug eine so gewaltige Esse auf seinem Firste, als werde tagtäglich für ein ganzes Regiment Soldaten drunten in der Küche geschmort und gebacken. Ein von niedrigen Staketen eingefaßter, breiter Mittelweg durchschnitt den kleinen Vorgarten und führte zu der tiefgelegenen Hausthür, die, meist gastlich offen, die sandbestreuten Dielen des Flurs sehen ließ. An einer der Staket-Ecken stand eine Holzbank, die ein hochwipfliger Birnbaum vom Gärtchen aus beschattete – eine ganze Rankenwucht von wildem Hopfen fiel über das Geländer und strebte am Stamme des Obstbaumes empor. Hier saß die junge Frau vor einem Tische, den die Försterin mit einer bunten Kaffeeserviette geschmückt hatte. Freilich, von einem Ausblicke in die Ferne war nicht die Rede. Wie vergraben lag das alte Haus inmitten des Hochwaldes, und wohl nur vom erblindeten Giebelfensterchen droben, oder aus dem Taubenschlage dicht unter dem Firste konnte man ferne Höhenzüge, oder vielleicht auch die bunten Mosaikdächer von Schloß Schönwerth sehen. Im kleinen Garten blühten allerdings Verbenen und Dahlien, und neben der Hausthür stand sogar ein schöner Oleander im Kübel – aber kaum zehn Schritte davon entfernt lugten schon wieder unverdrängt die blauen Glockenblumen, das feuchte Grün des Maiblumenschlages und im tieferen Dunkel die bleichen Köpfe zahllos hingestreuter Pilze aus dem Walddickichte. … Hier überkam die junge Frau stets das Gefühl eines momentanen Verschollenseins, und das that ihr wohl. Sie wurde in keiner Weise belästigt. Die Försterin hielt sich in ehrerbietiger Entfernung und ging ihren häuslichen Geschäften nach; ihr Mann war meist fern mit seinen Gehülfen und Hunden, und so webte um das alte Haus mit dem Strohdache Schweigen, zauberhaftes Schweigen, das nur durch das Rucksen der ab- und zufliegenden Tauben und dann und wann durch ein leises Gebrumme vom Kuhstalle her unterbrochen wurde.

Die junge Frau im hellen Sommerkleide konnte recht wohl für des Försters Töchterlein gelten, so hold anmuthig und jungfräulich saß sie unter dem Baume; den neben ihr liegenden runden Strohhut wenig respectirend, hatte sich des Försters große, buntgetigerte Hauskatze breit und bequem über die andere Hälfte der Bank hingestreckt; auf dem Tische blinkte eine Kaffemaschine von Messing neben einem runden Laibe Schwarzbrod und dem dazu gehörigen Butterteller, und in einem lackirten Blechkörbchen lagen gelbe, eben erst vom Baume geschüttelte Birnen.

Dieses appetitliche Arrangement war augenblicklich ein wenig bei Seite geschoben – Leo hatte eine späte Erdbeerblüthe gebracht und war emsig dabei, sie unter Aufsicht und Beihülfe der Mama für sein Herbarium vorzurichten. Sein brauner Lockenkopf schmiegte sich nahe an die hellglänzenden Flechten der Mutter – auf Beider Wangen lag die rosige Gluth der Jugend, des erhöhten freudigen Pulsschlages im kräftigen Waldodem, im wohligen ungezwungenen Sichgehenlassen.

„Der Papa!“ schrie Leo plötzlich auf und flog mit ausgebreiteten Armen nach dem Wege, der sich schräg gegenüber schmal und dunkel aufthat. Da trat Mainau wirklich im schlichten braunen Sommerrocke, den Stock in der Hand, mit raschen Schritten heraus. Liane erhob sich und ging ihm entgegen, während er den Knaben hoch in die Lüfte hob und ihn dann mit einem Kusse auf den Boden stellte.

„Aus dem tiefen Walde, Mainau? … Und zu Fuße?“ fragte sie überrascht.

„Mein Gott, ich war des Rumpelns auf der Heerstraße müde – ich bin zu Wagen gekommen und habe ihn beim Chausseehause verlassen –“

„Von dort bis hierher mag eine tüchtige Wegstunde sein.“

Er zuckte lächelnd die Achseln. „Was thut man nicht, wenn man – seinen Knaben so lange nicht gesehen hat! … Aus Deinen Zeilen wußte ich, daß ich um diese Zeit Schönwerth doch leer finden würde.“ – Er schritt auf den Tisch zu. „Sieh da, wie lecker und gemüthlich das aussieht!“ sagte er und ließ sich auf der Bank nieder. Die Katze wurde rücksichtsvoll nur ein wenig nach dem Rande zu geschoben, denn sie hatte hier Heimathsrechte.

Liane verschwand für einen Augenblick im Forsthause und kehrte mit heißem Wasser zurück. Im Nu brannte die Flamme unter der kleinen Maschine, und gleich darauf mischte sich das köstliche Kaffeearoma mit der Waldluft. … Den mächtigen Brodlaib an sich gedrückt, schnitt und strich die junge Frau Butterbrode, so flink und mit solcher Lust, als gehöre Das, wie in der That bei Försters Töchterlein, zu ihrem Tagewerke.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 203. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_203.jpg&oldid=- (Version vom 30.5.2018)