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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

„Nein, mein Junge, der Platz gehört der Mama,“ sagte Mainau – er schob Leo, der auf die Bank klettern wollte, fast heftig bei Seite, und lud die junge Frau, die eben die Tasse gefüllt hatte, mit einer Handbewegung ein, sich neben ihn zu setzen.

Sie zögerte – er hätte doch recht gut die Katze fortjagen können, denn der Raum, der auf der anderen Seite blieb, war doch gar zu schmal; aber er that es nicht. In demselben Augenblicke machte die Försterin, die einen Rohrstuhl brachte, ihrer Verlegenheit ein Ende – sie hob Leo auf die Bank und setzte sich unter einem erleichterten Aufathmen auf den Stuhl. … Mainau warf seinen Hut auf den Rasen und fuhr mit beiden Händen durch sein schönes, braunes Lockenhaar – das finstere Lächeln, mit welchem er die diensteifrige Försterin begrüßte, sah nichts weniger als dankbar aus.

„Jetzt hab’ ich mit meinen eigenen Augen gesehen, was das für eine unglückliche Ehe ist,“ sagte sie drin zu ihrer alten Magd. „Guck’ doch ’nüber! Sie sitzen ja nicht einmal neben einander – und ein Gesicht macht er, als hätte ihm die liebe, sanfte Frau mit ihren bildschönen Händen Essig statt Kaffee eingeschenkt. … Für Den ist solch ein Zank- und Sprühteufelchen, wie die erste Gnädige war, am allerbesten – ja, werde nur Einer aus den Männern klug!“

Der Schatten auf Mainau’s Stirn war schon wieder verflogen. Er lehnte sich zurück an die Banklehne, so daß die Hopfenranken kühlend seine Stirn streiften – seine Augen glitten langsam über die flüsternden Baumwipfel, die seitwärts hervorkommende Hausecke und den ländlich besetzten Kaffeetisch.

„Wir spielen ein wenig Landprediger von Wakefield, wie mir scheint,“ sagte er lächelnd. „Bis jetzt habe ich wirklich nicht gewußt, daß wir hier ein so köstliches Stückchen Waldpoesie besitzen. Der Förster möchte gern das Strohdach los sein; er petitionirt eifrig – aber nun bleibt es.“ – Er führte mit sichtlichem Behagen die Tasse an die Lippen. „Solch ein ‚Tischlein deck’ dich‘ mitten im Walde zu finden, wenn man erst auf der staubigen, heißen Chaussee gefahren und dann eine tüchtige Stunde marschirt ist –“

„Ich weiß, wie das thut,“ unterbrach ihn die junge Frau lebhaft. „Wenn ich mit Magnus vom Pflanzensuchen zurückkam, müde, hungrig, mit brennenden Händen und Füßen, und bei der Fontaine in die lange Allee einbog, die Du kennst, da sah ich schon von Weitem den weißgedeckten Tisch hinter der Glaswand des Gartensalons stehen – die lieben, alten häßlichen Lehnstühle, die Du auch kennst, umkreisten ihn, und in demselben Momente, wo uns Ulrike bemerkte, schlug die kleine, blaue Flamme unter dem Theekessel auf. Solch ein Heimkommen ist wonnig – besonders, wenn man mit einem heranziehenden Gewitter um die Wette gelaufen ist, wenn man schon die ersten fallenden Tropfen im Gesicht gespürt hat, und nun unter dem heimischen Dache, im süßen Ausruhen, draußen den Sturm pfeifen und die Regenschauer niederprasseln hört.“

„Und nach solch einem Heimkommen sehnst Du Dich fast krank, seit Du in Schönwerth bist?“

Sie drückte mit aufstrahlenden Augen die festverschlungenen Hände unwillkürlich auf die Brust – man sah das zustimmende „Ja“ auf ihren Lippen schweben, aber sie sprach es nicht aus.

„Mama sagt immer, die letzten Trachenberger seien im Aussterben und im – Ausarten begriffen,“ versetzte sie, mit einem reizenden Lächeln der directen Antwort ausweichend. „Der Hang, in stiller, friedensvoller Häuslichkeit zu leben, den engen Kreis seiner Lieben, so viel man vermag, zu beglücken und darin selbst das eigene Glück zu finden – er mag schon ‚hausbacken‘ sein, wie Mama ihm schuld giebt – im Rudisdorfer Schlosse, wie es noch vor zehn Jahren gewesen ist, hätte er allerdings nicht mit der kleinsten Wurzel haften dürfen – aber er, er allein hat uns drei Geschwister stark gemacht in dem furchtbaren Umschwung der Verhältnisse, an welchem die Mama fast gestorben ist. … Uebrigens sind wir keine Hausunken, die sich in den engsten Gesichtskreis einspinnen und Egoisten werden, indem sie aus dem großen Verbande der gesammten Menschheit scheiden. Wir haben im Gegentheile unruhige Köpfe, die gern mitarbeiten und vorwärts wollen. … Du wirst lachen, wenn ich Dir sage, daß wir uns den Zucker beim Kaffee, die Butter auf dem Brode versagt haben, um gute Werke und Instrumente zu wissenschaftlichen Zwecken kaufen und verschiedene Zeitungen halten zu können. … Solch ein Zusammenleben und Wirken ist unsagbar beglückend, und jetzt, da ich Deine Schilderungen aus Norwegen gelesen habe, begreife ich nicht – ach, sie sind köstlich, herzerschütternd!“ unterbrach sie sich selbst und legte die Hand auf das kleine Heft, das auf der Tischecke lag. – „Wenn Du Dich entschließen könntest, sie zu veröffentlichen –“

„St! – kein Wort weiter, Juliane!“ rief er – eine tiefe Blässe folgte der Gluth, die bei den ersten begeisterten Worten der jungen Frau in seine Wangen gestiegen war. – „Beschwöre die häßlichen Geister nicht wieder herauf, die entschlafen sind, die Du selbst mit zweischneidiger Waffe angegriffen hast!“ – Er drückte die geballte Hand auf die Brusttasche. „Dein Brief war mit mir in Wolkershausen – er ist gut geschrieben, Juliane, so wirksam geschrieben, daß er als Bannfluch gegen die männliche Eitelkeit eigentlich vervielfältigt werden müßte. … Du hast einen klaren Philosophenkopf – ich gebe Dir in Vielem Recht, wenn ich auch z. B. nicht glaube, daß man erst verarmen müsse, um einzusehen, daß ein inniges Zusammenleben allerdings das süßeste Glück in sich schließt.“

Er nahm mit zerstreutem Blicke sein Manuscript auf und blätterte darin – einzelne kleine Blätter fielen heraus, nach denen er überrascht griff.

„Ja, denke nur,“ lachte die junge Frau leise auf, „die lebendigen Schilderungen wirkten dergestalt elektrisirend auf mich, daß ich unwillkürlich nach dem Stifte griff und zu illustriren anfing.“

„Du hast eine glückliche Hand, Juliane – das ist köstlich gemacht! … Merkwürdig, Dein Stift schmiegt sich den Schilderungen an, als habest Du sie gedacht, nicht ich – Deine Kritik spürt jeder meiner Regungen nach bis auf das kleinste Wurzelfäserchen, dem sie entsprossen, und doch – mein Gott, was grüble ich! – Das ist ja eben die tödtlichste, die leidenschaftsloseste Objectivität, die Dich zu meinem Meister macht.“ – Er sprach herb, mit einem schneidend scharfen Klange in der Stimme. – „Wie wär’s, Juliane, wenn wir uns associirten? das heißt, ich schreibe und Du illustrirst?“ sagte er gleich darauf in leichtem Tone.

„Gern – schicke mir Reiseberichte, so viel Du willst –“

„Der geschiedenen Frau?“

Sie schrak unwillkürlich zurück. Wohl hätte sie ihm sagen können: „Unser Verkehr in Schönwerth ist ein abnormer; wir sollen Freud und Leid miteinander theilen und gehen nebeneinander mit völlig getrenntem Geschicke – Du solltest mein Beschützer sein und lässest mich mißhandeln und stündlich mein ganzes Fühlen verwunden, ohne daß es Dir auch nur einfällt, einen Finger drum zu rühren – das Verhältniß ist unmoralisch, und ich schüttle es ab; dagegen stelle ich mich über Manches, das die Welt unpassend nennt.“ – Von Allem, was sie dachte, sagte sie ihm nur dies Letztere. „Ich glaube, der Schriftsteller und die Zeichnerin, die seine Werke illustrirt, können getrost schriftlich miteinander verkehren,“ setzte sie hinzu. „Wer kann etwas darin finden, wenn wir nicht in Todesfeindschaft auseinandergehen, sondern eine Art von freundschaftlicher Beziehung zwischen uns festhalten –“

„Wie kannst Du wagen, mir Das zu bieten – ich will Deine Freundschaft nicht,“ fuhr er wild empor und sprang auf. „Wohl – ich bin von meiner selbstbewußten Höhe tief, tief herabgestürzt, aber ich gehöre zu Denen, die lieber hungern als betteln.“

Vielleicht hatte die Försterin diesen Ausbruch durch das halboffene Fenster erlauscht und wähnte einen heftigen ehelichen Zwist im Anzuge. Mit halbunterdrückter Stimme rief und lockte sie Leo zu sich, um ihm ein Füllen im Hofe zu zeigen – das Kind that ihr leid.

Mainau war das Staket entlang geschritten und starrte einige Secunden lang in die gelben Ringelblumen, die ein Kohlbeet bekränzten – dann kam er langsam an den Tisch zurück, wo die junge Frau mit bebenden Händen die auf den Rasen hingeschleuderten Papierblätter sammelte.

„In Schönwerth ist während meiner Abwesenheit Alles beim Alten geblieben?“ fragte er erzwungen ruhig und trommelte leise mit den Fingern auf der Tischplatte.

„Ich habe Dir gar nichts Außergewöhnliches zu berichten – höchstens, daß Gabriel über seine nahe Abreise in Thränen schwimmt – Frau Löhn scheint tief bekümmert und erregt zu sein.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 204. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_204.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)