Seite:Die Gartenlaube (1874) 205.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

„Frau Löhn? Was geht das die Löhn an? Und wie kommst Du auf den sonderbaren Gedanken, daß diese Frau irgend etwas in der Welt errege? – Mit was für Augen, mit was für einer aufgeregten Phantasie siehst Du die Dinge in Schönwerth an! … Die Löhn, dieses harte Mannweib, dieser grobzugehauene Holzklotz ohne Nerven – sie dankt sicher Gott, wenn sie den Jungen endlich los wird –“

„Das glaube ich entschieden nicht.“

„Ah – Du hältst sie also für eine empfindsame Seele, wie Du auch in dem schlaffen, energielosen Burschen das kühne Genie eines Michel Angelo oder dergleichen entdeckt haben willst?“

Dieses kalte Verhöhnen, die Absicht, sie zu reizen und ihr weh zu thun, erbitterte sie; aber sie wollte keinen Streit mehr mit ihm.

„Ich erinnere mich nicht, Gabriel mit einem berühmten Meister verglichen zu haben,“ erwiderte sie, ihn mit einem ernsten Blicke messend. „Ich habe nur gesagt, daß ein bedeutendes Malertalent in ihm erstickt wird – und das wiederhole ich in diesem Augenblicke ausdrücklich.“

„Bah – wer erstickt es denn? – Ist es so durchschlagend, wie Du meinst, dann hat es gerade im Kloster den besten Boden – die Maler haben manchen hochberühmten Mönch in ihren Reihen. … Uebrigens, weshalb um des Kaisers Bart streiten! Weder ich, noch der Onkel haben den Knaben für den geistlichen Beruf bestimmt; wir führen nur den letzten Willen eines Verstorbenen durch.“

„Hast Du diesen letzten Willen wirklich gelesen und gewissenhaft – geprüft?“

Er fuhr herum – seine aufglühenden Augen bohrten sich in die ihren. „Juliane, nimm Dich in Acht!“ drohte er mit gedämpfter Stimme und hob den Zeigefinger. „Mir scheint, Du möchtest dem Hause, dem Du den Rücken wendest, noch einen Makel anhängen – Du möchtest gerne sagen können: ‚Ich gebe zu, daß durch die Sequestration ein entstellender Flecken auf das Geschlecht der Trachenberger gefallen ist – aber dort im Schönwerther Schlosse geht auch nicht Alles mit rechten Dingen zu, mit dem großen Reichthum hat es seine ganz besondere Bewandtniß.‘ Auf diese Verdächtigung hin antworte ich Dir: ‚Der Onkel ist geizig; er ist vom Hochmuthsteufel besessen, wie kaum ein Anderer; er hat seine kleinen Bosheiten, gegen die man sich auflehnen muß – aber mit seinem besonnenen Kopf, seiner kühlen Natur, an die nie die Verirrungen schlimmer Leidenschaften herantreten durften, hat er zeitlebens an den Hauptgrundsätzen des echten Edelmannes unerschütterlich festgehalten – darin vertraue ich ihm blind, unbedingt und fasse es als eine tödtliche Verletzung meiner eigenen Ehre auf, wollte man auch nur spielend leise auf ehrenrührige Dinge, wie z. B. einen gefälschten letzten Willen, oder dergleichen, hindeuten. … Ich gebe Dir Das zu bedenken, Juliane.‘ Und nun, meine ich, ist es Zeit, heimzugehen – das Rauschen in den Wipfeln wird verdächtig; wenn auch schon in den ersten Septembertagen, sind wir bei der drückenden Schwüle doch nicht sicher vor einem Gewitter. … Unser Heimkommen wird freilich kein so wonniges sein, wie Du vorhin geschildert – aber was thut’s? – Man muß sich auch darüber hinwegzusetzen wissen.“

Sie wandte ihm schweigend den Rücken und ging in das Haus, um Leo zu holen. Jeder Nerv bebte in ihr. „Liane, er ist schrecklich!“ hatte Ulrike am Hochzeitstage aufgeschrieen, und da war er doch nur ruhig kalt gewesen – was würde sie sagen solchen Ausbrüchen gegenüber, in denen er Geberden annahm und Töne in seiner Stimme hatte, die geradezu vernichtend wirkten! … Und doch – wie wunderlich – Liane verstummte ängstlich und beklommen vor ihnen; sie fühlte sich tief verletzt durch seine ungerechten Beschuldigungen; aber er war ihr verständlicher als in seiner erkünstelten Passivität und Blasirtheit – das war seine Natur, sein Charakter, der ja auch unbewußt aus seinen schriftlichen Darstellungen hervortrat und der sie plötzlich gegen ihren Willen anzog; wie wäre es ihr sonst möglich gewesen, ihm – jetzt, im Hineilen nach dem Hause, schlug sie beschämt die Hände vor das heißerglühende Gesicht, denn sie war ja zurückgewiesen worden – eine Art von freundschaftlicher Beziehung vorzuschlagen?




19.


Schwere Wetterwolken mit hagelweißen Contouren zogen in der That über die Schönwerther Gegend hin, als die Heimkehrenden beim Jägerhäuschen aus dem Walde traten. Mainau, der vorwärts geeilt war, ohne auch nur noch ein Wort zu sprechen, wollte das hereinbrechende Unwetter im Jägerhäuschen abwarten; aber Liane wies auf den Hofmarschall hin, der sich jedenfalls um Leo sehr ängstigen würde, und so ging es weiter im Geschwindschritte durch den Garten. Der Sturm pfiff hinterdrein; in den Obstplantagen wirbelten abgerissene Blätter in den Lüften, und reife Früchte klatschten schwer nieder und kollerten über den Weg.

Mainau stampfte leicht mit dem Fuße auf, als in der Nähe des Schlosses ein Stallbursche im Vorübereilen meldete, die Reitpferde der Frau Herzogin und ihrer Dame ständen im Stalle – sie sei spazierengeritten und im Schlosse während des Wetters „untergetreten“.

„Nun, wird mir nicht auch eine süße Heimkehr in Schönwerth? Kann man liebenswürdiger und besorgnißvoller empfangen werden?“ fragte Mainau in kaltspöttischem Tone und neigte leicht hinüberdeutend den Kopf nach der Freitreppe des Schlosses. Die Herzogin im königsblauen Reitkleide war rasch aus der Glasthür getreten – der Sturm faßte peitschend ihre lang über den Nacken herabhängenden schwarzen Locken und riß und pflückte an der weißen Straußenfeder ihres Hutes; aber sie ergriff mit beiden Händen das Treppengeländer und starrte so ungläubig erstaunt nieder auf das scheinbar einträchtig daherkommende Paar, welches Leo in seiner Mitte führte, daß sie Mainau’s Begrüßung ganz übersah. Sie zog sich mit einer stolzen Wendung des Kopfes ebenso rasch wieder zurück und lehnte bequem in einem Fauteuil zwischen dem Hofprediger und dem alten Herrn, als die Heimkehrenden den Salon betraten.

Es war, als zögen die Wetterwolken auch droben an der Decke des Saales hin, ein so häßlich gedrücktes Halbdunkel webte in dem weiten Raume – die weißen Gypsornamente dämmerten gespenstig an den Wänden; noch fahler aber erschien das maskenhaft bleiche, in grimmem Spotte verzogene Antlitz der fürstlichen Frau; das ungewisse trübe Tageslicht löschte selbst den Glanz ihrer schönen Augen – wie glimmende Kohlen lagen sie unter der tief eingebogenen Krempe des hellgrauen Filzhutes. Sie erwiderte Lianens höfliche Verbeugung mit einem hochmüthigen Kopfnicken.

„Was in aller Welt sind das für Grillen, Raoul?“ rief der Hofmarschall seinem Neffen ärgerlich entgegen. „Lässest Wagen und Pferde im Stiche, um eine sentimentale Promenade durch den Wald zu machen! … Weißt Du auch, daß es beinahe ein Unglück gegeben hat? Wie kannst Du nur einem so dummen Burschen, wie der André ist, die wilden Wolkershäuser Pferde allein überlassen! Sie sind ihm durchgegangen – er kam halb todt vor Angst und Schrecken hier an.“

„Lächerlich – er hat sie seit Jahr und Tag allein unter den Händen – sie werden wieder einmal vor dem Meilensteine gescheut haben. … Uebrigens hat meine Heimkehr durch den Wald nicht im Entferntesten etwas mit der leidigen Sentimentalität zu schaffen – ich hatte nur keine Lust, mich ferner vom Sonnenbrand auf dem Kutschersitz ausdörren zu lassen.“

„Und Sie, meine Gnädigste, hätten auch am besten gethan, allein nach Ihrem Forsthaus zu gehen, für welches Sie so plötzlich passionirt sind,“ sagte der alte Herr mit schneidender Stimme zu der jungen Frau, ohne auch nur den Kopf nach ihr zu wenden – er hielt es nicht für nöthig, seine bequeme Stellung um ihretwillen zu verändern. – „Ich muß Sie dringend bitten, meinen Enkel nicht so ausschließlich als Trachenberg’sches Eigenthum zu reclamiren, mit welchem Sie nach Belieben schalten und walten zu dürfen meinen – ich habe eine angstvolle Stunde um das Kind verlebt.“

„Das bedaure ich herzlich, Herr Hofmarschall,“ entgegnete Liane aufrichtig, die dabei fallenden impertinenten Stiche ruhig verschmerzend.

Die Herzogin war sichtlich heiter geworden. Sie zog Leo zu sich heran und herzte ihn. „Er ist ja unversehrt wieder da, mein bester Herr von Mainau,“ sagte sie begütigend zu dem alten Herrn.

Leo wand sich mit derber Abwehr aus den schönen Armen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 205. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_205.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)