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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

sie gehorchen ihm und ziehen vor andere Locale, bis das gerichtliche Verfahren entschieden sein wird. Ist das nicht edelster, großartigster Heroismus? Das lange stillleidende, niedergedrückte Weib, die von der Trunksucht ihres Mannes und ihrer Kinder in’s Herz getroffene Frau und Mutter, die verzweifelnde Schwester und Liebende erheben sich zur Beseitigung jener Höllen, in denen ihnen das Ihrem Herzen Theuerste verthiert, verunstaltet und sogar getödtet wird.

In wie weit diese Anstrengung, dieser feierliche Aufschwung im Leben der Frauen eines großen Theiles der Vereinigten Staaten einen dauernden Erfolg haben werde, ist freilich eine andere Frage. So viel ist klar, daß selbst wir Amerikaner bisher den Enthusiasmus und die Hingabe der Frauen an eine große Idee unterschätzt haben. Diese hochherzigen Impulse sind etwas mehr als bloße Gefühlsausbrüche, sie sind wichtige Kräfte in dem Gesellschaftsorganismus. Die Bewegung wird schwerlich die Unmäßigkeit ausrotten, oder den Verkauf von berauschenden Getränken auf die Dauer zerstören. Allein sie wird dazu beitragen, das Betrinken, das Uebermaß im Genusse und das Halten von Trinklocalen schimpflicher zu machen, und wohl auch Tausende retten, die noch nicht hoffnungslos dem Laster verfallen sind. Die Gefahr in der Bewegung liegt darin, daß ihre Apostel zu schnell und zu weit gehen, oder daß sie in die Hände der geriebenen, charakterlosen Politiker fallen und diese sie und ihre Bestrebungen als Mittel zu ihren persönlichen Zwecken benutzen.[1]

Es ist auffallend, wie verschieden die Anschauungsweise des Amerikaners und Irländers einerseits von der des Deutschen andererseits über öffentliche Trinklocale ist. Während der Letztere darin einen Ort sieht, wo sich alle Gesellschaftsclassen in demokratischster Weise dem vertrauten Umgange mit Freunden, der Erholung im Familienkreise nach des Tages Mühen, dem Genusse der Natur und der Musik hingeben und dabei ein mäßiges Quantum eines unschuldigen und billigen Getränkes zu sich nehmen, sehen jene darin (und wohl nicht mit Unrecht) einen von der öffentlichen Moral verfehmten Ort, in dem sich nicht gern Jemand sehen läßt, den man aber doch nicht vermeiden kann, wo man möglichst eilig den Spiritus hinunterschüttet, dessen man bei der aufreibendsten Thätigkeit, geistigen wie körperlichen, nicht entbehren kann, wo man nur so viel spricht wie nöthig, um seinen „drink“ zu erhalten und zu bezahlen, wo sich Niemand zur Unterhaltung niedersetzt, wo Jeder den Andern ignorirt, wo man Giftdünste mit Wollust einathmet und wo nie ein ehrbares Frauenzimmer gesehen oder eine unschuldige Kinderstimme gehört werden darf. Wohl sind in fast allen Städten der Union auch Biergärten errichtet; allein dem Amerikaner, dem das Verständniß der deutschen Anschauung durchaus abgeht, sind sie um nichts besser als seine „bar-rooms“, und es ist unmöglich, daß der Bann, den die Majorität der Bevölkerung gegen diese Gärten ausgesprochen, nicht auf den Charakter derselben, sowie auf den Ton der daselbst sich Versammelnden nachtheilig zurückwirke, da sie ja der Controle entbehren, die ihnen in Deutschland die allgemeine Popularität und die Theilnahme aller Stände und Geschlechter gewährt. Aber die weiblichen Bilderstürmer machen keinen Unterschied, und mit der irisch-amerikanischen Gift- und (gewöhnlich auch) Spielhölle wird auch der deutsche Biergarten in den Vereinigten Staaten sein Ende finden oder doch gleiches Schicksal mit ihr theilen.

New-York, im Februar 1874.

G. O.




Die Hochquellen-Wasserleitung von Wien.


Es unterliegt keinem Zweifel, daß Wien seit dem 24. October des vergangenen Jahres, dem Tage der Eröffnung seiner neuen Wasserleitung, unter allen Großstädten der Welt das beste Trinkwasser besitzt. Wir brauchen die Leser der Gartenlaube wohl nicht erst über die Nützlichkeit dieses unabweisbarsten Lebensbedürfnisses zu unterhalten, namentlich in dem Falle nicht, wo durch die permanente Anhäufung großer Menschenmassen und durch dichtes Beisammenwohnen die atmosphärische Luft verdorben wird. Erkannten doch schon die Culturvölker des Alterthums, wie z. B. die Römer, bei ihren bleibenden Ansiedlungen die Nothwendigkeit des Bezuges von gutem Trink- und Nutzwasser an, wofür die existirenden Ruinen ihrer Aquäducte noch heute ein sprechendes Zeugniß ablegen. Die Gebirgsquellen des Wiener Waldes und zwar auf der Ostseite desselben, auf denselben Terrains, auf denen sich die neue Wasserleitung hinzieht, waren bereits vor zweitausend Jahren zur Feste Vindobona geleitet, wie die in dem Zeitraum von 1859–65 aufgefundenen Reste römischer Wassercanäle beweisen. – Eine Commune von der Bedeutung, wie das jetzige Wien, von einer Einwohnerschaft von beinahe einer Million Seelen, beansprucht für den Hausverbrauch, zum Trinken, Kochen und Reinigen, für industriellen Bedarf und endlich für öffentliche Zwecke gewaltige Quantitäten Wassers, welche, im Hinblick auf die künftige Vermehrung der Bevölkerung, auch im gesteigerten Maße zuführungsfähig sein müssen.

Die ersten Schwierigkeiten, welche sich einem Unternehmen von solchem Umfange entgegenstellen, sind die in der Natur allenthalben vorkommenden Verunreinigungen der freien Gewässer. Es gilt dies sowohl in Bezug auf Bäche und Flüsse, wie auch auf Haus- und öffentliche Brunnen, da die Wasserreinheit der Letzteren in dem Grade gefährdet erscheint, wie sich in deren Umgebung die Unrathscanäle vermehren. – Chemische Untersuchungen, welche in dieser Richtung angestellt worden sind, ergaben bezüglich des Donauwassers bei Wien das überraschende Resultat, daß solches circa fünfmal mehr verunreinigt ist, als das Wasser der nächstgelegenen Alpenquellen.

Diese und ähnliche Untersuchungen führten denn auch zu dem nicht anzuzweifelnden Schlusse, daß Quellwasser im Allgemeinen selbst dem besten Flußwasser vorzuziehen sei, da das Letztere stets organische Substanzen mit sich zu führen pflegt.

Gleichzeitig wurde der Umstand constatirt, daß die Quellen in Wiens näherer und nächster Umgebung sich genau und ununterbrochen in dem Grade vermindern, wie die Baulichkeiten und die damit verbundene Bodenbenutzung überhand nehmen. Den circa 12000 Grundstücken Wiens stand, die Leistungen aller alten und neuen Wasserleitungen zusammengenommen, ein verfügbares Quantum von beiläufig 500000 Eimern pro Tag gegenüber, für den Verbrauch weder qualitativ noch quantitativ befriedigend, da jene Million Bewohner, ausreichend versorgt, einen Tagesbedarf von 1⅔ Million Eimer bedingen, wovon die Straßenbespritzung von 1,500000 Quadratklaftern allein 330000 Eimer täglich in Anspruch nimmt.

Selbstverständlich rief die für eine solche Riesenversorgung ausgeschriebene Concurrenz sehr auseinandergehende Projecte hervor. Zwei derselben wurden, als der Erfüllung der gestellten Aufgabe am meisten entsprechend, den eingehendsten Prüfungen unterzogen. Es war dies einerseits die Zuleitung der Königin der österreichischen Alpenquellen, des „Kaiserbrunnens“, aus dem Höllenthale vom Gebirgsstocke des 6600 Fuß hohen Schneebergs herab sammt den dazu gehörenden Seitenquellen, andererseits die Benutzung des unter dem Steinfelde bei Wiener Neustadt befindlichen unterirdischen Sees. Der Voranschlag für das erstere Project, die Zuleitung jener mächtigen Alpenquellen, welcher auf 16,034000 Gulden sich bezifferte, gewann nach langwierigen Debatten des Wiener Gemeinderaths die Oberhand, wenn schon die zweite Combination für die Heranschaffung größerer Wassermengen vom Steinfelde voraussichtlich um circa 6 Millionen Gulden billiger auszuführen gewesen wäre. Dreierlei Gründe dürften hierbei maßgebend gewesen sein. Zuerst das Gutachten der Gesellschaft der österreichischen Aerzte, welches der idealreinen Quelle des Kaiserbrunnens und Stixensteines in gesundheitlicher

  1. Wenn der Herr Verfasser die Hauptgefahr für die Temperanz-Bewegung der amerikanischen Frauen in der Einmischung selbstsüchtiger Politiker erblickt, so können wir dieser Auffassung unseres bewährten New-Yorker Correspondenten, wie auch einigen anderen Ausführungen des obigen Artikels, nicht überall beistimmen. Wir unsererseits glauben, daß es neben den Politikern namentlich der Clerus ist, der diese sociale Revolution zu seinen Zwecken auszubeuten bestrebt ist, wie denn überhaupt priesterliche Herrschsucht als der Haupthebel der ganzen Bewegung zu betrachten sein dürfte; werden doch die Meetings in den Kirchen gehalten und die Glocken zu den Gebeten und Gesängen der fanatischen Frauen geläutet.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 213. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_213.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)