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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

zweiter Linie berücksichtigen, indem sie sich sagen, daß das Behüten der heiligen Herdflamme, das Zusammenhalten ‚des Hauses‘ mit weichen, linden, und doch starken Armen ihre Hauptlebensaufgabe sei.“

„Mein bester Baron Mainau, vielleicht findet sich ein großer Künstler, der Ihnen eine solche Frau – malt,“ rief die Hofdame, in ein spöttisches Kichern ausbrechend, während sich die Herzogin mit einer ungestümen Geberde erhob.

Liane hatte in dem Moment, wo Mainau und der Hofprediger so hart und ingrimmig aneinander geriethen, die Arme um Leo’s Schultern gelegt und war mit ihm in die entfernteste Fensternische getreten. Die Wetterwolken draußen entluden sich in einem prasselnden Regen, der breitströmend an den Scheiben niederklatschte. In einem dicken, grauen Dampf gleichsam versunken, bogen und neigten sich schattenhaft, wie Gespenster, die, an Ort und Stelle gebannt, zu fliehen versuchen, drüben die Baumwipfel unter dem zerzausenden Sturm, und auf den Rasenflächen standen bleifarbene Teiche. Durch die niederstürzenden, erlösenden Wassermassen zuckte längst kein Blitz mehr; aber dort am Tische, dem die junge Frau den Rücken kehrte, war es beängstigend gewitterhaft – lehnte sich doch plötzlich der seltsame Mann unerwartet gegen die leise, aber fest gehandhabte Bevormundung auf, die er bisher stillschweigend ignorirt, weil er – in seinem Lebensgenuß nicht gestört sein wollte – ja, er ging noch weiter, er verwarf frühere Ansichten; war das dieselbe Caprice, in Folge deren er die Verheirathung mit der protestantischen, vermögenslosen Frau durchgesetzt hatte, oder ein wirklicher innerer Umschwung?

Die junge Frau wandte sich nicht um – auch nicht, als sie die Stühle heftig rücken und den Hofprediger mit seinen festen, majestätischen Schritten nach der Glasthür zu gehen hörte – gleich darauf trat Mainau an den Schreibtisch und stieß hörbar den Kasten zu. Fast in demselben Moment rauschte eine Schleppe; ein süßer Jonquillenduft – das Lieblingsparfüm der Herzogin – flog in die Nische, und plötzlich legte sich ein Arm um die weiche Taille der jungen Frau. „Sie haben eine verführerische Gestalt, schöne Frau,“ zischelte ihr die Herzogin in das Ohr; „aber bemühen Sie sich nicht – ich nehme es mit diesen weichen, linden und doch starken Armen auf – Sie müssen unterliegen – Sie scheitern an der unerbittlich festgehaltenen Reise.“

Die Lippen, die das aussprachen, waren weiß wie Schnee und zogen sich krampfhaft nach innen – ein furchterweckendes Medusengesicht, das die erschrockene junge Frau in der That förmlich versteinerte.

„Lasse meine Mama gehen – Du thust ihr ja weh,“ rief Leo, indem er sich zwischen die beiden Damen drängte; aber schon trat die Herzogin zurück.

„Ei behüte, mein kleiner Mann, wie könnte ich das wohl über das Herz bringen!“ scherzte sie heiter auflachend und trat vor den Spiegel im Hintergrunde des Saales, um sich den Hut tiefer in die Stirn zu rücken und die in der hereinströmenden schweren Regenluft sich auflösenden Locken höher zu stecken; die Hofdame eilte herbei, ihr zu helfen.

Währenddem verließ Liane die Fensternische und kam in Mainau’s Nähe – noch schlugen ihre Pulse heftig in Folge des Schreckens. „Lasse Dich nie wieder von der Frau berühren – ich will es nicht haben,“ gebot er finster mit unterdrückter Stimme, so daß nur sie es hören konnte und unwillkürlich stehen blieb.

„Himmel, was für ein Wetter! – Wie fatal! Mein Arminius wird in Schönwerth übernachten müssen,“ rief die Herzogin in demselben Moment – sie stand zwar mit dem Rücken nach dem Saale, aber ihre großen Augen funkelten aus dem Spiegel herüber. „Wollen Sie die große Güte haben, mich heimfahren zu lassen, Baron Mainau? – Ich muß zurück – es ist schon fast zu spät.“

Mainau erbot sich, sie selbst zu fahren, da er die unbändigen Apfelschimmel anderen Händen nicht überlassen dürfe, und ging hinaus, um Befehl zu geben und im Vorbeigehen dem angekommenen Hofmeister einige begrüßende Worte zu sagen.

Als sei nichts vorgefallen, setzte sich die Herzogin noch einmal neben den Hofmarschall, der sich in ein grimmiges Schweigen gehüllt hatte, und plauderte, auch den Hofprediger in das Gespräch ziehend, unbefangen über alltägliche Dinge, bis Mainau im Regenmantel zurückkehrte, die Apfelschimmel schnaubend drunten an der Freitreppe hielten, und zwei Lakaien mit aufgespannten Schirmen sich draußen vor der Glasthür postirten.

„Wollen Sie mitkommen?“ fragte sie den Hofprediger.

Er entschuldigte sich mit einer Schachpartie, die er dem Hofmarschall für die späten Abendstunden zugesagt habe, und wich ruhig zurück, als Mainau neben ihm unsanft und klirrend die Glasthür aufriß.

Die schöne Fürstin schwebte verbindlich grüßend an Mainau’s Arme hinaus, und ächzend kehrte der Hofmarschall an seinen Stuhl zurück. „Bitte, schließen Sie die Thür, Herr Hofprediger!“ sagte er mürrisch und sank in die Polster. „Sie hätten sie vorhin nicht aufmachen sollen, liebster Freund – ich wagte nicht zu protestiren, weil es auch Ihre Hoheit zu wünschen schien – aber diese miserable Luft schlug mir wie Blei in die Beine; morgen bin ich todtkrank – dazu der furchtbare Aerger, der Grimm, der mir die Kehle noch zuschnürt. … Bitte, fahren Sie mich in mein warmes Schlafzimmer; dort will ich mich sammeln und warten, bis hier der Kamin geheizt ist – es ist bitter kalt geworden. … Allons, Leo, Du gehst mit mir!“ rief er dem Knaben zu, der sich an die junge Frau schmiegte.

„Ich möchte gern bei der Mama bleiben – sie ist so allein, Großpapa,“ sagte das Kind.

Die Mama ist nie allein – sie empfängt ‚die Naturgeister‘ und braucht uns nicht,“ versetzte der alte Herr malitiös. „Komm nur hierher!“ Er griff nach der widerstrebenden Hand des Knaben und zog ihn mit sich, während der Hofprediger den Rollstuhl zur Thür hinausschob.




20.


Die junge Frau trat wieder in das Fenster. Eben verbrauste das letzte Rollen des fortfahrenden Wagens – jetzt fuhr sie, in die weißen Atlaskissen geschmiegt, mit den Apfelschimmeln durch den Wald – die Frau mit dem schönen Medusengesichte, die ihn liebte mit verzehrender Gluth, die ihre fürstliche Hoheit vergaß, ihren berüchtigten Hochmuth abwarf, und in seiner Nähe nichts war, als das leidenschaftlich anbetende Weib voll glühender Eifersucht. … Warum hatte er das junge Mädchen aus Rudisdorf an seine Seite geholt? Warum hatte er nicht am Fürstenhofe gefreit? Er wäre mit offenen Armen empfangen worden und hätte glücklich werden können mit ihr, die ihm ja durchaus nicht gleichgültig war – die Begegnung im Walde am Hochzeitstage tauchte in grellen Farben vor der jungen Frau auf – da lag ein Geheimniß. „Sie scheitern an der unerbittlich festgehaltenen Reise,“ hatte ihr die Herzogin zugeflüstert – noch fühlte sie den heißen Athem der Frau an Hals und Ohr – welche Bemühung sollte denn scheitern? Sie hatte Alles aufgeboten, ihre Pflichten zu erfüllen, aber – Gott sei Dank – ihr Stolz war ihr treu geblieben; sie hatte nie auch nur einen Finger gerührt, um Mainau’s Liebe zu erringen – darin irrte sich die Frau Herzogin; aber sie hatte Recht mit ihrer Behauptung, daß die Reise das lose geknüpfte Band vollständig lösen werde, selbst wenn Liane ihren Entschluß fortzugehen nicht mehr ausführen wollte. … Es war doch niederschlagend! Wenn er nach Jahr und Tag zurückkehrte, dann wußte Niemand mehr, daß einmal eine Gräfin Trachenberg nach Schönwerth geschleppt worden war, um dort eine Reihe unglücklicher Tage voll Prüfung und Anfechtungen zu verleben; er selbst hatte draußen die unerquickliche Erinnerung abgeschüttelt und kam, um endlich die schöne Hand zu ergreifen, die sich ihm in gebührender Sehnsucht entgegenstreckte.

Unwillkürlich fuhr die junge Frau mit der krampfhaft geballten Hand nach dem Herzen – was quälte sie plötzlich für ein unerklärliches Weh? War es denn so schrecklich, verstoßen zu werden um einer Anderen willen? … Sie dachte an den Moment, wo er ihr verboten hatte, sich von der Herzogin berühren zu lassen – was war da sein Motiv gewesen? Doch nur die Eifersucht – er gönnte ihr, seiner Frau, diese Gunstbezeigung nicht. … Sie vergrub das Gesicht in den Händen – was für eine erbärmliche Schwäche überkam sie! …

Langsam verließ sie das Fenster, um sich in ihre Zimmer zurückzuziehen. Sie ging an dem Schreibtische vorüber und blieb

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 220. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_220.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)