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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

plötzlich wie festgewurzelt stehen – an dem Kasten steckte noch der Schlüssel; Mainau hatte vergessen, ihn abzuziehen, und dem Hofmarschall war es „in seinem furchtbaren Aerger und Grimm“ nicht eingefallen, ihn zurückzufordern. … Das Herz der jungen Frau klopfte heftig – da drin lag das Papier, an welchem Gabriel’s Schicksal hing – nur einmal mochte sie es herausnehmen; sie wußte, daß man solche Documente ganz anders prüfen müsse, als mit dem bloßen Auge. Aber „der Raritätenkasten“ mußte aufgezogen werden; er war fremdes Eigenthum und den Schlüssel hatte man aus Versehen stecken lassen. … War es nicht unehrlich, das Papier herauszunehmen? Nein, sie legte es ja unverletzt wieder an Ort und Stelle, und es zu prüfen, hatte ihr Mainau selbst zur Pflicht gemacht und zu dem Zwecke die Papierrolle dem Hofmarschalle abverlangt. Sie zog rasch entschlossen den Kasten auf – das verhängnißvolle rosenfarbene Billet ihrer Mutter lag vor ihr – wie von einer Viper gestochen, wich ihre Hand zurück, als sie es zufällig berührte – sie griff nach dem obersten, offen daliegenden Blatt – es war das, welches sie suchte.

Athemlos flog sie, das Papier in der Tasche, hinunter in ihre Appartements, und nach wenigen Minuten lag es unter dem Mikroskop, dem treuen Gehülfen bei ihren Studien. … Unwillkürlich prallte sie zurück und schauerte in sich zusammen – da unter dem unerbittlichen Glas lag sonnenklar und erwiesen ein scheußlicher Betrug. Jeder sorgsam ausgeführte Buchstabe war vorher mit Bleistift vorgezeichnet gewesen – was man mit bloßem Auge nicht zu entdecken vermochte, hier trat es als breiter Schatten fast bei allen diesen so ungezwungen scheinenden Zügen neben dem festen Tintenstrich heraus, und da, wo die Tinte selbst dünner aufgetragen war, schimmerte die Linie des Bleistiftes klar durch. … Es war eine mühevolle Arbeit gewesen – der Fälscher hatte die einzelne Buchstaben aus vorhandenen Schriftstücken zusammensuchen müssen, um sie zu den Worten, die er zu schreiben wünschte, zusammenzusetzen. … Wer aber hatte das gethan? Und wozu? Der Zettel war ohne gerichtliche Zeugen geschrieben – man hatte mithin nur gefälscht, um einen moralische Zwang auf eine wichtige Stimme auszuüben, die in der Angelegenheit mitsprechen durfte, und das – war Mainau; er hatte ihr ja selbst gesagt, daß er anfänglich zu Gunsten des Knaben aufgetreten sei. … Handelte es sich hier einzig um Geld und Gut, oder wirkte auch der religiöse Fanatismus mit? … Da stand ja auch: „Die Frau aber soll und muß die heilige Taufe empfangen, zur Rettung ihrer Seele –“

Die junge Frau warf sich auf das Ruhebett – ihre Pulse schlugen heftig, und durch die Glieder lief ein nervöses Zittern – sie mußte erst ruhiger werden – in dieser Aufregung durfte sie Niemand begegnen. … Mainau war doch eine edle Natur – um seinen gerechten Widerspruch zu beugen, mußte man zum Betruge greifen; die Verführung zu einem wirklichen Unrecht durfte es nicht wagen, ohne geschlossenes Visir an ihn heranzutreten. Das Papier mußte vorläufig an seine Stelle zurück – sie konnte mit dieser Enthüllung nur wirken, wenn sie es vor seinen Augen aus dem Schubfach nahm – ihre Mundwinkel zuckten schmerzlich – er hätte jedenfalls weit eher sie, die neu Eingetretene und Mißtrauische verdächtigt, als es für möglich gehalten, daß in seinem Schönwerth, diesem Sitz der Ehrenhaftigkeit und Sittenstrenge, solche Dinge vorgehen könnten. … Erfahren aber mußte er die Thatsache – es galt, Gabriel zu retten.

Leise huschte sie in den Saal zurück. Man hatte unterdessen den Kamin geheizt. Die schweren Damastvorhänge fielen zugezogen an den hohen Fensternischen nieder, und vor der Glasthür lagen festschließende Eichenholzflügel. Nur als schwaches, eintöniges Murmeln drang das unermüdliche Rauschen und Gießen des Regens herein. Der Theetisch war bereits vorgerichtet, und die große Kugellampe unter wohlthätig grünem Schleier brannte inmitten der weißgedeckten Tischplatte – sie erhellte dürftig den weiten Raum – dunkel, in unförmlichen Gruppen, standen die Polstermöbel an den fernen Wänden, in die Ecken aber drangen nicht einmal die ungewissen Ausläufer des smaragdgrünen Lichtes, und nur vor dem Kamin breitete sich behaglich der volle, gelbe Schein der brennenden Scheite über das glänzende Parquet.

Die junge Frau sah sich scheu um – es war Niemand da. Beruhigt trat sie an den Schreibtisch, zog den Kasten auf, und in ihm selbst die Rolle sorgfältig wieder zurechtschiebend und auseinanderfaltend legte sie den Zettel hinein – in diesem Augenblick wurde ihre Hand erfaßt und gleichsam bei der That im Schubfach selbst festgehalten – sie war nicht einmal fähig, aufzuschreien, das Blut trat ihr im entsetzten Schrecken so rasend schnell nach dem Herzen, daß sie zu sterben meinte – halb zusammenbrechend, sah sie mit versagenden Blicken in das Gesicht – des Hofpredigers. Er erfing sie in seinem Arm, und die hülflose Gestalt an seine Brust drückend, zog er wiederholt die Hand, die er noch festhielt, an seine brennenden Lippen.

„Fassen Sie sich, theure Frau! Ich habe es allein gesehen – es ist Niemand außer mir im Salon,“ flüsterte er in weichen, tröstenden Tönen.

Diese Stimme gab ihr sofort die Besinnung zurück. Sie riß sich los und schleuderte seine Hand von sich. „Was haben Sie gesehen?“ fragte sie mit wankender, klangloser Stimme; aber ihre schöne Gestalt reckte sich empor in stolzer Haltung. „Enthalten diese Schubfächer Gold- und Silberwerth? … Habe ich – stehlen wollen?“

„Wie könnte ich hinter dieser königlichen Stirn einen solchen Gedanken vermuthen! – Eher[WS 1] würde ich das Andenken meiner – Mutter mit einem so häßlichen Verdachte beflecken als Ihre himmlisch reine Seele – Glauben Sie mir das! … Sie werden diesen Ausspruch freilich nicht begreifen können, denn eben durch die Kindesliebe getrieben stehen Sie hier. … Gnädige Frau, wer will es Ihnen verargen, wenn Sie den kleinen Brief, mit welchem man Sie peinigt und demüthigt, vernichten wollen?“ – Er nahm das Billet aus dem Kasten. – „Verbrennen wir diesen rosenfarbenen Zeugen der mütterlichen Verirrung gemeinschaftlich!“

Mit einem raschen Griffe entriß sie ihm den Brief und warf ihn an seine vorige Stelle. „Ist das nicht Diebstahl? Ist er an mich gerichtet?“ zürnte sie. „Er bleibt wo er ist. Mit einem Unrechte kann ich den Flecken vom Rufe meiner Mutter nicht wegwischen.“ Sie wich zurück und trat an die andere Ecke des Schreibtisches, als könne der Raum zwischen ihr und diesem Priester, der gewagt hatte, sie zu berühren, nicht weit genug sein. Der grüne Lampenschein fiel auf ihr lieblich edles Profil – es erschien steinern in seinem stolzen Ausdrucke wie eine Camee. … Er hatte aber versucht, ihr eine Schlinge um den Hals zu werfen; bei weniger Energie, ja nur bei einem augenblicklichen Schwanken der Bestürzung, wäre sie ihm rettungslos verfallen gewesen – er mußte erfahren, daß sie ihn durchschaue. „Wie können Sie die Stirn haben, mir die Hand zu einer lichtscheuen That bieten zu wollen?“

„Sie verkennen meine Motive absichtlich und stellen sich mir feindlich gegenüber, wo Sie können,“ sagte er mit schmerzlicher Bitterkeit – der Ton, in welchem er sprach, hatte etwas tief Leidenschaftliches; er war nicht gemacht, das mußte sie selbst zugeben; – „und doch haben Sie keinen treueren Freund auf Erden als mich.“

„Ich habe zwei Freunde – meine Geschwister – eine andere Freundschaft suche ich nicht,“ versetzte sie.

Er schlug bei dieser eisigkalten Zurückweisung die geballten Hände vor die Brust, als habe er einen Schuß empfangen – mit unheimlich glimmenden Augen trat er ihr einen Schritt näher. „Gnädige Frau, hier in Schönwerth sollten Sie nicht eine so stolze, verletzende Sprache führen,“ sagte er mit heiserer Stimme. „Hier, wo Sie wurzellos am Boden hängen, wo Sie der Spielball eines jeden Windhauches sind –“

„Gott sei Dank! vom Standpunkt meiner Grundsätze hat er mich nicht um eine Linie verdrängen können.“

„Was fragt die Welt nach diesem innern Halt, die Welt, die sich über Ihre schiefe Stellung hier im Hause, über das Motiv, in Folge dessen man Sie zur Frau von Mainau gemacht hat, lächelnd die demüthigendsten Dinge zuraunt!“

Sie wurde noch blässer als vorher. „Wozu sagen Sie mir das?“ fragte sie mit ungewisser Stimme. „Uebrigens kenne ich ‚die Motive‘, in Folge deren ich hier bin – ich soll Leo Mutter und dem verwaisten Hause Herrin sein – eine Stellung, die mein Frauengefühl in keiner Weise verletzt,“ fügte sie mit ungebeugter stolzer Haltung und kühler Ruhe hinzu.

Diese Gelassenheit erbitterte ihn sichtlich.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Wort in der Vorlage nicht erkennbar, ergänzt von hier und hier
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 221. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_221.jpg&oldid=- (Version vom 18.10.2021)