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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Madame Tallien – welch ein abenteuerliches Leben hat sie geführt! Unter wie vielen Namen ist diese erste Schönheit der Revolution, deren Zauber sich Niemand zu entziehen vermochte, in den Jahrbüchern der Geschichte verzeichnet: Theresa de Cabarrus, Madame de Fontenay, Madame Tallien, Princesse de Chimay – aber wie oft sie den Namen und die Ehe wechselte – sie selbst blieb bis in ihr Alter fast unverändert! Mochte sie im Amazonencostüme der Revolution, in der durchsichtigen Gaze der Merveilleuses als Griechin der Salons und Fee des Luxembourg, mochte sie in dem prinzeßlichen Hofcostüme der Restauration erscheinen – es war immer dasselbe ebenso schöne wie reizende Gesicht mit den tiefen strahlenden Augen, den großen schöngeschwungenen Augenbrauen, der feinen Nase, den üppigen Lippen, dem schalkhaften Lächeln, eines jener Gesichter, die einen unvergeßlichen Eindruck machen, die das Imponirende mit dem Verführerischen, geistige Bedeutung mit entzückender Grazie und dem Ausdrucke des Seelenvollen und Geistreichen wunderbar vereinigen, Züge, die den Meißel des Bildhauers herausfordern.

Madame Tallien war eine französirte Spanierin wie Eugenie Montijo; sie wurde 1775 zu Madrid geboren als Tochter des spanischen Finanzmannes, spätern Ministers, Grafen Cabarrus, welcher mit der Kühnheit und Begabung eines John Law dem Danaidenfasse der spanischen Finanzen einen Boden zu geben suchte. Therese Cabarrus erhielt eine vorzügliche Erziehung, lernte französisch, italienisch, selbst etwas lateinisch sprechen und mußte das Schloß Caravanchel, welches gegenwärtig der Gräfin Montijo gehört, mit Paris vertauschen, der hohen Schule der europäischen Bildung, wo sie bei einem Freunde ihres Vaters, dem Parlamentsrathe de Boisdeloup, auf der Insel Saint-Louis abstieg. Die Schönheit des dreizehnjährigen Mädchens erregte Aufsehen; mit spanischer Lebendigkeit sang sie ihre sevillanischen Lieder und tanzte im Carneval 1788 die Jota, den Castagnettentanz der Heimath, in graziösester Weise. Ihr ganzes Wesen, ihre Art zu sein und zu sprechen, hatte die volle Gluth des Südens.

Hier im Hause Boisdeloup’s machte sie die Bekanntschaft eines älteren Parlamentsraths, Devin, Marquis de Fontenay, eines geistreichen Don Juan in sehr vorgerückten Jahren, der ein Freund der Frauen und des Spieles war, so feierliche Amtsmienen er sich gelegentlich zu geben wußte. Der Marquis gewann durch seine Liebenswürdigkeit und Beredsamkeit das Herz des sechszehnjährigen Mädchens; sie wurde Marquise von Fontenay und glänzende Feste auf Schloß Fontenay, die ganz Paris von sich sprechen machten, folgten der Hochzeit.

Der Parlamentsrath gehörte nicht zu den Männern der alten Schule, welche sich gegen die Bewegung der Zeit feindlich absperrten. Dazu war er zu klug, auch nach seinem ganzen Naturell nicht dafür geschaffen, gegen den Strom zu schwimmen. So empfing Frau von Fontenay nicht blos die Vertreter der alten Aristokratie, die Montmorency und Larochefoucauld, auch die Lafayette und Lameth und später alle hervorragenden Männer der Constituante, Mirabeau und Barnave, selbst Robespierre und Camille Desmoulins in ihren Salons und in ihrem Schlosse. Es war damals die Zeit der Hirtenfeste, und es ist wunderbar, wie diese pastoralen Erheiterungen, denen eine poetische Liebe zur Natur zu Grunde lag, noch in den Sturm und Drang der beginnenden Revolution hineinreichten. Marie Antoinette hatte ihr Trianon und die Marquise von Fontenay eiferte in ihrem Schloßparke dem fürstlichen Beispiele nach. Noch in späteren Lebensjahren erinnerte sie sich gern eines arkadischen Festes, zu welchem selbst der gefeierte Hirtendichter Florian vom Schlosse des Herzogs von Penthièvres herübergekommen war. Der Marquis hatte im Schatten des Parks mehrere Orchester aufgestellt, welche die beliebten Melodien des Devin du village, der Rosière de Salency und andere spielten; junge weißgekleidete Mädchen empfingen am Gitterthore des Parkes mit Blumensträußen die Pariser Gäste; man speiste im Schatten von Kastanienbäumen; man trank auf die Schönheit der Marquise und improvisirte Verse auf ihre spanischen Augen und ihren französischen Geist. Abwechselung in das Fest brachte ein heftiger Windstoß, welcher fast den Tisch umwarf und einige Perrücken entführte. Auch Maximilian Robespierre wurde seiner Perrücke beraubt. Er ahnte damals nicht, daß die reizende Marquise, Notredame de Fontenay, später als Notredame de Thermidor einen Sturm entfesseln sollte, der ihn auch seines Kopfes beraubte.

Nicht lange darauf ließ die Marquise von der berühmten Portraitmalerin Lebrun ihr Bild malen. Es fiel dieser Künstlerin schwer, mit dem Zauber der Natur zu wetteifern, und ein großer Freundeskreis war versammelt, um zu prüfen, in wie weit es ihr gelungen, und einzelne Verbesserungen für ihre künstlerische Leistung vorzuschlagen. Unter den Anwesenden befand sich auch der Publicist Rivarol. Da trat ein junger Corrector in den Saal, ein Manuscript in der Hand; er suchte Rivarol, dessen Handschrift die Setzer und er selbst nicht zu entziffern vermochten. Es war ein schöner Jüngling mit feurigen Augen, von stattlicher Haltung und kühnem Wesen. Frau Lebrun, die mit ihrem Malerauge diese Vorzüge rasch erkannt hatte, rief ihn als Unparteiischen herbei, daß er sein Urtheil über das Bild abgebe. Er verglich es unerschrocken mit dem Originale, dessen tiefe, glühende Blicke ihn trafen. Er rieth, das obere Augenlid etwas mehr herabzuziehen, damit der Glanz der Augen durch den Schatten der Wimpern sich hebe, und dem Munde einen geistreicheren Ausdruck zu geben durch eine leise Hebung der Mundwinkel; er rühmte den Gedanken der Künstlerin, die Marquise mit dem großen beschattenden Hute zu malen, welcher dem Bilde durch das Spiel der Lichter jenen Ton gebe, wie ihn Velasquez liebt. Man war erstaunt über den Kunstsinn des schlichten Jünglings, der sich bald darauf mit dem Manuscripte in der Hand wieder entfernte.

Ein anderes Mal war die Marquise zum Besuch bei ihrer Freundin, der Gattin des gefeierten Deputirten Charles von Lameth. Sie gingen im Garten spazieren, als Abends ein junger Mann, Briefe in der Hand und sehr beschäftigt, zu ihnen trat und sich nach Lameth’s Bruder Alexander erkundigte. Frau von Lameth theilte ihm mit, daß dieser nicht hier anwesend sei, und ersuchte ihn gleichzeitig, einige weiße Rosen von einem benachbarten Rosenstrauch für die Marquise zu pflücken. Er that dies und überreichte der Letzteren die Blumen mit etwas theatralischem Anstand. Dabei fiel eine Rose aus dem Bouquet, welche der junge Mann anstandslos für sich behielt zur Erinnerung an diesen Augenblick. Er hatte die Schönheit wiedererkannt, die er einst unter dem Hut à la Velasquez im Atelier der Frau Lebrun gesehen; denn jener kunstsinnige Corrector und dieser galante Schreiber waren eine und dieselbe Person. Als er sich entfernt hatte, entwarf Frau von Lameth ihrer Freundin ein wenig schmeichelhaftes Bild des jungen Mannes, der ebenso leichtsinnig wie träge sei, trotz seiner geistigen Begabung, und den ihr Schwager sobald wie möglich entlassen werde.

Setzer, Corrector, Advocatenschreiber – und zwei Jahre darauf einer der furchtbaren Gewalthaber der französischen Revolution, vor welchem eine der ersten Städte Frankreichs erzitterte! Welche unglaubliche Wandlung des Geschicks in dieser Zeit des gewaltthätigen Umschwungs! Jener junge Mann trug den Namen Tallien, und damals ahnte die schöne Marquise noch nicht, daß sie selbst einst diesen Namen führen werde.

Tallien gab bald darauf seine subalternen Stellungen auf; er wurde Journalist; sein „Ami des citoyens“ hatte großen Erfolg; sein Name fand ein Echo in Paris. Er wurde in die Commune gewählt und sprach als Vertreter der Pariser Gemeinde, als Vertheidiger ihrer Beschlüsse und des 10. August im Convent. „Die Männer des 10. August,“ sagte er, „verlangen nichts als Gerechtigkeit; sie wollten nur dem Willen des Volkes gehorchen.“ Seine Rede war schwunghaft und unerschrocken; er klagte den Convent an, indem er die Commune vertheidigte. Auf der Tribüne befand sich eine Hörerin, auf welche diese Kühnheit bei so großer Jugend, diese stolze drohende Haltung tiefen Eindruck machte. Sie applaudirte mit den andern; es war die Marquise von Fontenay.

Höher gingen die Wogen der Revolution. Die furchtbaren Metzeleien des 2. Septembers fanden statt, für welche man den Pariser Gemeinderath verantwortlich machte. Auch Tallien, der ihm angehörte, wurde als Septembermörder bezeichnet, so sehr er auch später jede Mitschuld an diesen politischen Morden abzulehnen suchte. Er wurde inzwischen in den Convent gewählt, wo er unter den entschiedensten Männern des Berges Platz nahm. Er donnerte gegen Ludwig den Sechszehnten als einer der Unerbittlichsten. Als der Convent seine Tribunen und Legaten aussandte, um die rebellischen Städte des Landes zu züchtigen, erhielt auch Tallien eine wichtige Mission. Das reiche Bordeaux ergriff die Partei der Girondisten und empörte sich gegen den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 224. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_224.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)