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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

und frischgrünen duftigen Waldwiesen bekleidet, das altersgraue Felsenhaupt in die klare, blaue Frühlingsluft emporreckt und stolz herabsieht auf den mit gekrümmtem Rücken zu seinen Füßen kauernden Haderholz mit der zähen, röthlichen Porphyrklippe, auf die Menge der umliegenden niedrigeren Waldberge, stillen, lauschigen Wiesgründe und halbversteckten, lieblichen Dörfer. Trillernd steigen die Lerchen über den Kornfeldern in die Höhe. Schaaren schreiender Schwalben tummeln sich über den braunen Ziegeldächern, und aus den blühenden Obstgärten tönt der melodische Gesang der Grasmücken und der schmetternde Schlag der Finken.

Und doch ist es weniger die schöne Umgebung als die Geschichte Schmalkaldens, die unser Interesse in Anspruch nimmt.

Die Entstehung der Stadt ist, wie die vieler anderen, in undurchdringliches Dunkel gehüllt und mit Sagen umwoben. Eine derselben nennt den Grafen Smalko im achten Jahrhundert, eine andere sogar Julius Cäsar als den Erbauer; aber das schmale Thal mit seinem kalten Wasser bietet eine bessere Erklärung des Namens, und der römische Imperator ist bekanntlich nie in diese Gegend gekommen. Dieselbe gehörte, nach der Zertrümmerung des mächtigen Reiches der Thüringer durch die Sachsen und Franken, zu dem zwischen Rhön und Thüringer Wald gelegenen fränkischen Gau Grabfeld und ist wahrscheinlich, des vortrefflichen Eisensteins wegen, schon lange besiedelt gewesen, ehe sie von Bonifaz, der hier das Bild des Götzen Svantevit zerstört haben soll, zum Christenthume bekehrt wurde. Der Ort besteht wenigstens schon tausend Jahre; denn im Jahre 874 schenkte die reiche Kunhild dem Kloster in Fulda ihre Güter im Grabfelde, und die Schenkungsurkunde erwähnt unter den Ortschaften auch Smalacalta, welches eine Villa (Gut, Hof, Weiler) genannt wird. Nachdem die Gaugrafschaft erblich geworden, kam Schmalkalden als Heirathsgut der Gräfin Gisela an ihren Gemahl, Kaiser Konrad den Zweiten, der es ihrem Vetter Ludwig dem Bärtigen schenkte. Als dessen Nachkomme, Ludwig der Heilige, der Gemahl der heiligen Elisabeth, mit Kaiser Friedrich dem Zweiten in’s gelobte Land ziehen wollte, versammelte er hier seine Familie, seine getreuen Räthe und Freunde. Er übertrug seinem Bruder Heinrich Raspe die Regierung und die Sorge für die Seinigen und nahm einen thränenreichen Abschied von Weib und Kindern. Diese riefen ihm noch weinend nach: „Gute Nacht, lieber Vater! Viel tausend gute Nacht, herzgüldener Vater!“

Zwei Bilder, das eine von Schwind’s Meisterhand, auf der Wartburg, das andere in der Elisabethenkirche zu Marburg, verherrlichen diese rührende Scene. Es war am 24. Juni 1227, als der fromme Fürst mit einem stattlichen Gefolge von zweihundert Rittern und Reisigen „oppido suo Smalcaldin“ (aus seiner Stadt Schmalkalden), wie der alte Chronist sagt, den Zug antrat, von welchem er nicht wiederkehren sollte; in Otranto raffte ihn im Alter von nur achtunddreißig Jahren eine bösartige Seuche weg. Nach dem Tode Heinrich Raspe’s, der sorglos und pflichtvergessen Thüringen an sich gerissen, kam die Stadt noch vor Ende des Thüringer Erbfolgekrieges an Hermann den Zweiten von Henneberg, einen Sohn des Grafen Poppo des Siebenten und der Jutta, der Schwester der letzten thüringischen Landgrafen. Das Henneberger Geschlecht hielt große Stücke auf die neue Besitzung; namentlich begünstigte sie Fürst Berthold der Siebente. Er wählte sie zur Residenz, umgab sie mit Mauern, wirkte ihr reichsstädtische Freiheiten aus und bestimmte in seinem Testamente, daß sein Herz daselbst aufbewahrt werden sollte. Im Jahre 1360 erwarb sie der hessische Landgraf durch Kauf zur Hälfte, und dieses Fürstenhaus besaß sie hinfort mit den Hennebergern gemeinschaftlich bis 1583, wo sie durch das Aussterben der letzteren ganz an Hessen fiel.

Inzwischen war der großartige Kampf für Geistes- und Gewissensfreiheit entbrannt, in welchem deutscher Geist und Muth, deutsche Gelehrsamkeit, Frömmigkeit und sittliche Kraft die tausendjährigen, von herrschsüchtigen Päpsten geschmiedeten Fesseln brachen und die durch willkürliche, starre Dogmen und verknöcherte Formen zum bloßen äußerlichen Cultus herabgesunkene christliche Religion wieder zur innersten Herzensangelegenheit machten. Mit der Reformation tritt der Name des bescheidenen Städtchens in den Vordergrund der Weltgeschichte, und diese seine Glanzperiode verdient eine genauere Betrachtung.

Wie die aufgehende Sonne mit ihren Strahlen die grauen Nebel zertheilt und lichtscheue Eulen in ihre dunkeln Schlupfwinkel scheucht, so zerriß Luther’s Lehre und Bibelübersetzung das große Spinnengewebe, mit welchem Päpste und Concilien das reine Evangelium umhüllt und bis zur Unkenntlichkeit entstellt hatten, und verbreitete Schrecken unter der unwissenden und lasterhaften Geistlichkeit. Es war Licht geworden, und massenhaft war der Abfall von der „alleinseligmachenden Kirche“. Mochte das Wormser Edict den „Ketzer“ Luther mit all seinen Anhängern und Beschützern in die Reichsacht erklären und seine Schriften streng verbieten; mochte der Kaiser, dem ersten Speier’schen Reichstag zum Trotz, geheime Instructionen zur Ausrottung der neuen Lehre ergehen lassen; mochten die katholischen Fürsten zu diesem Zwecke einen Bund schließen; mochte der Reichstag zu Augsburg die evangelische „Secte“ mit dem Interdict und der weltlichen Macht bedrohen, wenn sie nicht binnen sechs Monaten in den Schoß der katholischen Kirche zurückkehrte: es schreckte weder den kühnen Reformator, noch die protestantischen Fürsten und das Volk. Täglich wuchs die Zahl der Evangelischen. Aber Vorsicht war der drohenden Haltung der katholischen Mächte gegenüber geboten; darum beriefen die Häupter der Protestanten ihre Glaubensgenossen nach Schmalkalden zum Abschluß eines Bündnisses, das im März 1531 auch zu Stande kam. Von 1529 bis 1543 sind dort überhaupt neun Versammlungen gehalten worden; die wichtigste war die im Jahre 1537.

In den ersten Tagen des Februar jenes Jahres belebten sich die nach Schmalkalden führenden Straßen mit glänzenden Zügen von Fußvolk, Reitern und Wagen, mit klingendem Spiel und fliegenden Fahnen und Standarten. Fünfundzwanzig evangelische Fürsten und Herren, zunächst die Häupter des Bundes, der biedere Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen und der ritterliche Landgraf von Hessen Philipp der Großmüthige, dann die Herzöge von Braunschweig-Lüneburg, die Fürsten Wolfgang, Georg und Joachim von Anhalt, die Grafen Albrecht und Gebhard von Mansfeld, die Herzöge Philipp von Pommern, Ulrich von Würtemberg und Philipp von Braunschweig-Grubenhagen, die Grafen Heinrich von Schwarzburg, Wolfgang und Georg von Henneberg, vier Grafen von Nassau, die Markgrafen Johann und Georg von Brandenburg, die Herzöge Ruprecht von Zweibrücken, Friedrich von Liegnitz und Heinrich von Mecklenburg, jeder mit einem zahlreichen Geleite edler Vasallen und handfester Krieger, zogen unter dem Geläute aller Glocken und den Klängen kriegerischer Musik, von den begeisterten Jubel- und Hochrufen einer zahllosen Menschenmenge begrüßt, in die festlich geschmückte Stadt ein. Ihnen hatten sich die Gesandten des Königs von Dänemark und der Städte Ulm, Augsburg, Straßburg, Kempten, Constanz, Eßlingen, Memmingen, Lindau, Schwäbisch-Hall, Magdeburg, Braunschweig, Hamburg, Bremen, Soest, Minden, Nordhausen, Vacha, Salzungen etc. angeschlossen. Im Gefolge der Fürsten waren ferner zweiundvierzig der hervorragendsten Gottesgelehrten, darunter vor allen Luther, der Gegenstand allgemeinster Begeisterung und Verehrung, dann Melanchthon Bugenhagen, Spalatin, Jonas, Agricola, Amsdorf, Menius, Mykonius, Buzer, Melander, Fontius, Kraft, Schnabel, Corvinus, Draconites, Noviomagus und andere.

Von katholischer Seite waren erschienen der alte Graf Wilhelm von Henneberg, der angeblich gegen die Versammlung protestirt hatte, und der kaiserliche Vicekanzler Held mit mehreren Räthen, wozu später noch der päpstliche Legat Peter Forst, Bischof von Acqui, kam.

Die Bundesfürsten nahmen ihre Wohnung auf dem Schlosse Wallrab, an dessen Stelle jetzt die Wilhelmsburg steht; das Gefolge war in den herrschaftlichen Häusern, die Abgeordneten und Theologen waren in Gasthäusern und Privatwohnungen untergebracht.

Am 7. Februar, einem Donnerstage, wurden nach einem feierlichen Gottesdienste in der Hauptkirche die Verhandlungen auf dem Rathhause eröffnet. Der kaiserliche Gesandte trug der Versammlung vor, daß der Papst auf Verwendung des Kaisers ein allgemeines Concil nach Mantua ausgeschrieben habe, und lud zum Besuche desselben ein. Man erwiderte, mit dem Papste, der offen Partei gegen die Evangelischen ergriffen habe, könne man sich nicht einlassen; jetzt gebühre es dem Kaiser, wie einst Constantin gethan, ein Concil anzuordnen; eine italienische Stadt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 232. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_232.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)