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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

No. 15.   1874.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Die zweite Frau.
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.
Von E. Marlitt.


(Fortsetzung.)


„Es ist wahr – der Psycholog hat Recht, wenn er die kälteste Grausamkeit in diejenigen Frauenköpfe verlegt, die den blonden Glorienschein über der Stirn tragen.“ Das kam fast zischend von seinen Lippen. – „Sie sind klug, gnädige Frau, und hochmüthig, wie selten eine aristokratisch Geborene, die Fürstenblut in ihren Adern weiß – mit einer einzigen Wendung Ihres schönen Hauptes meinen Sie sich über ‚das Gesindel‘ zu stellen, das in den Staub gehört. Mag es Ihnen bei Anderen gelingen – bei mir nicht. Ich folge Ihnen Schritt um Schritt; ich hänge mich an Ihre Fersen – nicht um eine Linie ziehe ich die Hand zurück, die ich einmal nach Ihnen ausgestreckt habe, und sollte ich sie dabei verlieren! Schlagen Sie nach mir, treten Sie mich mit Füßen – ich werde Alles dulden, schweigend, ohne Gegenwehr; aber abschütteln werden Sie mich nicht. … Meine Kirche verlangt von ihrem Priester, daß er wache und faste, daß er in rastloser Thätigkeit hier wie ein Maulwurf den Boden unterminire und dort eine Brücke durch die Lüfte schlage – wie ganz anders noch wird mich diese fanatische Hingebung an das Ziel beseelen, bis – Sie mein sind!“ –

Ungekannte Schauer überliefen sie. Jetzt wußte sie, daß er nicht um ihre Seele für seine Kirche ringe – der eidbrüchige Priester liebte das Weib in ihr. Diese Entdeckung machte ihr fast das Blut gerinnen – sie schüttelte sich vor Entsetzen, und doch, wie die Sünde berückend sein kann, so wirkte diese energische Beredsamkeit, die in erschütternden Lauten alle Kampfe, Stürme und Leiden der Seele bloßlegte, halb abstoßend, halb magnetisch auf die junge Frau – sie hatte ja noch nie die unverstellte Sprache tiefer, Alles vergessender Leidenschaft von Männerlippen gehört. … Las er dieses Gemisch von Grauen und augenblicklichem, halb unbewußtem Hinlauschen in dem verstörten Ausdrucke, mit welchem sie das liebliche, tieferblaßte Antlitz ihm zuwandte? Er trat plötzlich unter einem leidenschaftlichen Zurückwerfen des Kopfes auf sie zu und breitete niedersinkend beide Arme aus, um die Kniee der jungen Frau flehend zu umfassen – das grüne Lampenlicht floß grell über das marmorartige Oval seines Gesichts, über den leblos weißen Fleck inmitten der dunkellockigen Haarmassen – ihr war, als zeige ein unsichtbarer Finger auf diesen Fleck als auf ein Kainszeichen – sie floh, während ihre schönen Hände wild nach dem knieenden Manne stießen. „Fälscher!“ stieß sie heiser und tonlos aus. „Eher will ich drüben im See ertrinken, als daß ich auch nur mein Kleid von Ihren Fingerspitzen berühren lasse.“ – Die Hände angstvoll auf die Brust drückend, zog sie die schmiegsamen Schultern eng zusammen, wie ein Kind, das eine entsetzliche Berührung fürchtet und sich doch nicht von der Stelle traut. Sie durfte nicht gehen, so lange sie das Document in seinen Händen wußte – sie hatte unverantwortlich kopflos ihre Mitwissenschaft verrathen.

Der Hofprediger erhob sich langsam. In die plötzlich eintretende athembeklemmende Stille klang heranbrausendes Rädergeroll, und gleich darauf knirschte drunten der Kies unter den Hufen der Apfelschimmel; Mainau kam schon zurück – er mußte wie toll gefahren sein. Bei diesem Geräusche stampfte der Hofprediger mit dem Fuße auf und wandte in sprachlosem Grimme den Kopf nach den verhüllten Fenstern – man sah, er hätte am liebsten den ersten besten schweren Gegenstand ergreifen und zermalmend auf die Equipage und ihren Insassen hinabschleudern mögen.

Die junge Frau schöpfte tief Athem – es war kein Augenblick zu verlieren. „Ich muß Sie bitten, Hochwürden, das Papier wieder an seinen Platz zu legen,“ sagte sie, vergeblich bemüht, ihrer Stimme Klang und Festigkeit zu geben.

„Trauen Sie mir das wirklich zu, gnädige Frau? Eine so – stupide Gutmüthigkeit?“ rief er heiser auflachend. „Sie meinen, ihr todwundes Opfer habe nicht die Kraft mehr, sich zu wehren? O, ich kann noch denken. Ich will Ihnen sagen, wie Sie rechnen. Sie sind hier heraufgekommen, um sich des wichtigen Geheimnisses zu bemächtigen – mit dem Mikroskope in der Hand werden Sie Ihrem Gemahle und dem Hofmarschalle beweisen, daß im Hause Mainau ein abscheulicher Betrug, respective eine Erbschleicherei verübt worden ist. Man läßt Sie selbstverständlich mit diesem Geheimnisse nicht nach Rudisdorf zurückkehren und bittet Sie, zu bleiben. … Was aber erringen Sie damit? Baron Mainau liebt Sie nicht, wird Sie nie lieben, schöne Frau – sein Herz gehört trotz alledem und alledem der Herzogin. Jetzt sind Sie ihm noch vollkommen gleichgültig – nach der Entdeckung aber wird er Sie hassen, und – sehen Sie, wie selbstlos meine Liebe ist – das will ich verhindern. “

Ehe sie sich dessen versah, hatte er auch den rosenfarbenen Brief der Gräfin Trachenberg ergriffen und stand mittelst weniger Sätze am Kaminfeuer. Es half ihr nichts, daß sie aufschreiend nachflog und ihre Hände um den Arm des Mannes, der sie nie berühren sollte, selbstvergessend klammerte – Document und Brief lagen inmitten eines Flammenmeeres und sanken eben zu Aschenstäubchen in sich zusammen.

„So, nun klagen Sie mich an, gnädige Frau! Wer nach

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 235. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_235.jpg&oldid=- (Version vom 30.5.2018)