Seite:Die Gartenlaube (1874) 238.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

hinreißen gegen den bewährten treuen Freund unseres Hauses! O Gott – Liebster, bester Hofprediger, führen Sie mich fort – schnell – in mein Schlafzimmer! Mir ist sehr unwohl,“ hörte die junge Frau den Hofmarschall angstvoll und gellend aufschreien, als die Thür hinter ihr zugefallen war.

In der That, da war ein Komödiant des anderen würdig! Dieses fingirte Unwohlsein war die Flagge, unter welcher der Herr Hofmarschall seinen Freund, seinen Vertrauten vor einem Zusammenstoß mit dem aufgeregten Neffen in sein Schlafzimmer rettete.




21.


Bitter lächelnd und die emporquellenden Thränen gewaltsam niederkämpfend, stieg die junge Frau die Treppe hinab. Die Drei, die sie da oben zurückließ, blieben vielleicht einige Tage lang auf gespanntem Fuße, dann aber nivellirten Zeit und Etiquette die aufgerüttelten feindlichen Elemente, und über dem Opfer, das bei der Katastrophe in die aufgerissene Kluft stürzen mußte, schloß sich der Boden – wer dachte dann noch an die geschiedene Frau? – In der vornehmen Welt wächst das Gras unglaublich schnell über unliebsame Vorfälle.

Vor dem großen Spiegel im Ankleidezimmer brannten die Lampen – Hanna hatte jedenfalls vorausgesetzt, ihre Dame werde noch vor dem Thee die leichte Sommertoilette mit einem warmen Hauskleid vertauschen – es war ja abscheulich feucht und kalt geworden. Der weiße Porcellanofen, der ausnahmsweise in dieser Jahreszeit geheizt worden war, strömte behagliche Wärme aus und ließ durch die Oeffnung der blanken Messingthür den rothglühenden Schein des Kohlenfeuers über den Fußteppich spielen. Und in dieses behagliche Heim, das sie still und traulich umfing, trat die junge Frau mit fieberisch kreisendem Blut und umflorten Blicken zum letzten Mal, um sich zum Weggehen zu rüsten. … Sie schickte die Kammerjungfer zum Abendbrod in das Domestikenzimmer und verschloß hinter ihr die Thür, die nach dem Säulengange führte.

Vor allen Fenstern lagen bereits die Läden, nur im blauen Boudoir standen noch beide Fensterflügel weit offen – Liane schloß sie stets selbst, aus Besorgniß, ihre schönen Azaleenbäume könnten durch fremde, ungeschickte Hände beschädigt werden. … Wie das draußen unermüdlich rauschte und niederschoß vom dämmernden Himmel! Und wie feuchtschwer die Luft hereinschlug und mit triefendem Athem die gleißenden Atlaswände behauchte! In längeren Pausen stöhnte der Sturm noch immer grollend auf – dann trommelte und schüttete es mit doppelter Vehemenz auf den schwimmenden Kies nieder; in den Windharfen wurden die Accorde lebendig und zogen, halb getragen vom Sturm, halb erstickt durch die stürzenden Wassermassen, ersterbend über die Gärten hin.

Liane stand einen Augenblick am offenen Fenster – sie schüttelte sich unwillkürlich – in dieses Unwetter, in die einbrechende Nacht mußte sie hinaus, und zwar – wandernd. Sie wollte Schönwerth so still und geräuschlos verlassen, daß Niemand sagen konnte, wann sie gegangen. … Unter dem Dache Dessen, der sie der Hinneigung zur Treulosigkeit beschuldigt, der sie für unrettbar verloren erklärt hatte, durfte sie auch nicht eine Nacht mehr bleiben – man hatte so viel ehrverletzende Anklagen auf ihr Haupt gehäuft, und durch die perfide Handlungsweise des Hofpredigers war sie so vollkommen aller Beweismittel beraubt worden, daß sich nur eine in eigenen Ränken und Hinterlisten geübte Frauenseele der Situation gewachsen zeigen konnte – ihr, der durch ihre Seelenreinheit Hülflosen, blieb eben nur der Ausweg, zu den Geschwistern zu flüchten und in deren Hände ihre Vertheidigung zu legen.

Sie schloß das Fenster und ließ das Rouleau nieder – da kamen plötzlich rasche Schritte durch das anstoßende Vorzimmer, und eine ungestüme Hand ergriff das Thürschloß, aber das blaue Boudoir war verschlossen. … Liane preßte beide Hände auf ihr wild schlagendes Herz – Mainau stand draußen und begehrte Einlaß. … Nein, um keinen Preis wollte sie ihm noch einmal gegenüberstehen. – Er hatte all’ und jedes Entgegenkommen ihrerseits verwirkt.

Mit hartem Finger klopfte er an die Thür. – „Juliane, öffne!“ rief er gebieterisch.

Sie stand wie zu Stein erstarrt – auch nicht der leiseste Athemzug säuselte von den Lippen, nur die Augen glitten angstvoll am Kleide nieder, daß auch nicht das schwächste Rauschen einer Falte ihre Anwesenheit verrathe.

Zweimal wiederholte er seinen Anruf, wobei er heftig an der Thür rüttelte; dann hörte sie ihn zurückschreiten und die große Ausgangsthür nach dem Säulengang öffnen – sie bemerkte, daß der Flügel nicht wieder geschlossen wurde; Mainau war offenbar in heftiger, zorniger Aufregung fortgestürmt.

Tiefaufseufzend ging sie nach dem Ankleidezimmer zurück – warum weinte sie? – Sie schämte sich dieser Thränen. Giebt es auf Gottes weiter Erde etwas Inconsequenteres, Räthselvolleres, als das Frauenherz? Drohte es nicht in diesem Augenblicke zu brechen in stummer Qual? … Sie verbarg das Gesicht in den Händen, als könne ein höhnender Blick in die Wandelung ihrer Seele eindringen – mit dem Selbstbelügen war es vorbei. Wäre er jetzt eingetreten, sie wäre wohl schwach genug gewesen, ihm zu sagen: „Ich gehe zwar, aber ich weiß, daß ich Dich nie vergessen werde.“ … Welcher Triumph für diesen dämonischen Charakter! Ihm widerstand also wirklich kein Weib. Selbst die Gemißhandelte, die er, in beleidigend reservirter Haltung und sich ernstlich gegen jede Annäherung ihrerseits verwahrend, dennoch neben sich gerissen, um seine Rache an einer anderen, immer noch Heißgeliebten zu kühlen – diese Frau, der er wohl seinen Namen, in Wirklichkeit aber nur die Stellung einer Gouvernante in seinem Hause zugestanden, selbst sie warf die Waffen des Stolzes, der mädchenhaften Würde von sich, um ihm zuzurufen: „Ich werde Dich nie vergessen.“ … Nein – Gott sei Dank, er war fort. Er sah diesen Sieg nicht. – er erfuhr ihn nie. Ein harter, fremder Zug grub sich um ihre Lippen. Sie sah im Geiste die Apfelschimmel vor dem Portale des herzoglichen Schlosses halten; sie sah den kühnen Lenker im dunkeln Mantel am Schlage stehen, und die höchstgestellte, stolzeste Frau des Landes, von seinem Arme gehalten, den Wagen verlassen – vielleicht war diese Heimfahrt entscheidend für Beide gewesen – die junge Frau war jetzt verbittert und mißtrauisch genug, um zu vermuthen, Mainau habe sie droben absichtlich und gegen seine Ueberzeugung der Treulosigkeit beschuldigt, um – die Trennung zu beschleunigen. … Ach Gott, wozu denn dieses schmerzliche Grübeln! – Liebe war es ja noch lange nicht, was sie empfand, ganz gewiß nicht – davor bewahrte sie denn doch – ihr Trachenbergischer Familienstolz – sie konnte sich nur des seltsam warmen Wunsches, seine Freundschaft zu besitzen, augenblicklich nicht erwehren; aber, war sie nur erst wieder daheim, da lernte sie rasch überwinden. …

Sie schloß den Schmuckkoffer auf und verglich noch einmal seinen Inhalt mit dem Verzeichnisse; ebenso überzählte sie die Geldrollen im Schreibtische – sie hatte nie eine derselben berührt. Sodann versiegelte sie die beiden Schlüssel in einem Couverte, das sie an Mainau adressirte und auf dem Schreibtische liegen ließ. Die Gegenstände, die sie nicht von fremden Händen betastet wissen mochte, packte sie in einen kleinen Koffer; alles Andere überließ sie zur Nachsendung der Kammerjungfer.

Während dieser Vorbereitungen waren nahezu zwei Stunden verstrichen. Sie hob das Rouleau im blauen Boudoir; es war sehr dunkel draußen geworden; der Schein der hinter ihr stehenden Lampe streckte sich über den Kiesplatz hin und zeigte große, trübe Wasserlachen in jener tummelnden Bewegung, wie sie leichtniederplätschernde Tropfen erregen – der Regen hatte nachgelassen, aber der Sturm kam eben wieder um die Ecke, so wild und johlend, als habe er sich in all’ den Höfen und Höfchen und offenen Säulengängen des ungeheuren Schlosses verirrt und brause nun, neu ausathmend und befreit, über die weiten Gärten hin.

Jetzt war es Zeit, zu gehen. Liane vertauschte ihr helles Kleid mit einer dunkeln Robe, warf einen schwarzen Sammetmantel um und zog die Kapuze über den Kopf. Schmerzlich aufweinend trat sie in Leo’s Schlafzimmer und legte die Wange auf das Kissen, neben welchem sie bisher jeden Abend wachend und behütend gesessen, bis dem tief und behaglich hingeschmiegten wilden Lieblinge die glänzenden Augen im süßen Schlummer zugefallen waren. Er saß jetzt oben beim Großpapa und ahnte nicht, daß ihre Thränen auf sein Schlummerkissen fielen, daß sie, an der sein ganzes unbändiges Knabenherz vergötternd hing, in stürmischer Nacht das Schloß verlasse, um nie zurückzukehren.


(Fortsetzung folgt.)


Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 238. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_238.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)