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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

dieselbe Rolle, welche Robespierre bei dem Feste des höchsten Wesens spielte. Er vereinigte alle Parteien bei einem großen Festmahl; sie drohten übereinander herzufallen. Da war es wiederum die Königin des Festes, Notredame de Thermidor, welche das Glas erhob und einen Toast ausbrachte darauf, daß alle Irrthümer vergessen, alle Beleidigungen vergeben sein sollten. Man umarmte sich und trank auf das Wohl der schönen Sprecherin.

Es kam die Zeit des Directoriums, die Zeit des „Rococo“ der Revolution, die sich selbst auf einmal auszulachen schien. Die Moden wurden Carricatur; den blutigen Römern folgten burleske Athener, und schöne Griechinnen in leicht verschleierter olympischer Herrlichkeit bevölkerten die Salons. Tallien war kein Mitglied des Directoriums; seine Rolle war ausgespielt. Er hatte revolutionäre Gluth und parlamentarische Gewandtheit; er war der Mann der großen Krisen, und die Tribünen mochten ihm zujubeln, so lange er im Convent erschien. Doch als die Entwickelung Frankreichs in ruhigere Bahnen einlenkte, da wurde er bei Seite geschoben; denn er war ein politischer Autodidakt, ihm fehlte jede tiefere staatsmännische Bildung. Und die Zeit ging über die Vertreter der Schreckensepoche zur Tagesordnung über. Seltsame Ironie – seine Frau wurde sein Schicksal; sie half die Reaction heraufbeschwören, die ihren Gatten gänzlich in den Schatten stellte. Es wird erzählt, daß Madame Tallien den Muth hatte, in Begleitung von Freron und Merlin de Thionville die Thür des Jacobinerlocals abzuschließen. Pitt sagte damals: „diese Frau wäre fähig, die Pforten der Hölle abzuschließen.“ Sie wollte damit ihren Gatten rächen, den die letzten grollenden Anhänger Robespierre’s aus dem Club gestoßen hatten; aber sie ahnte nicht, daß sie damit auch Tallien’s Zukunft abschloß. Denn dieser war ein Jacobiner von Haus aus und mit dem Club, dem Herd des revolutionären Feuers, erlosch auch der Glanz seiner eigenen Bedeutung.

Doch – le roi est mort, vive la reine! Madame Tallien war die gefeiertste Schönheit, die Modedame des Directoriums, und mit Recht nannte sie ein Geschichtschreiber desselben „die Pompadour, die so vielen Lykurgen auf dem Fuße folgte“. Sie gründete ein Versailles um sich; sie lehrte Frankreich, sich der Todesschauer zu entwöhnen und wieder an das Leben zu glauben. Musik, Tanz, jede Art von Luxus kam wieder auf die Tagesordnung; die unverwüstliche Galanterie der Franzosen trat in ihre alten Rechte. Frankreich hatte wieder seinen Hof – und dieser Hof war der Salon der Madame Tallien.

Versetzen wir uns einmal in diesen Salon; die Zeichnungen eines Charles Vernet und Debucourt werden unserer Phantasie zu Hülfe kommen. Da bilden die Statisten die Vertreter der „goldenen Jugend“ Freron’s, welche in Straßenschlägereien mit den Jacobinern die Revolution zu Tode geprügelt hatte und zur Erinnerung daran die vergoldeten Knotenstöcke trug. Welche wunderbaren Zöpfe, welche Berloques und Lorgnons, welche unwahrscheinlichen Röcke – und diese flatternden riesigen Halstücher, diese cravates de guillotinés, die Nankinghosen mit Bändern, diese weißen, rosaschimmernden Westen und grünen Handschuhe, die gestreiften Strümpfe, die romantischen Stiefeln – alle diese Republikaner, die den Fächer tragen, und diese Sansculotten, die mit den Lorgnons spielen – aus welcher Schachtel sind diese wunderbaren Zappelmänner gekrochen, diese „Merveilleux“ und „Impossibles“? Und daneben der Damenflor! Welche Fluth von Bändern, welche Wolken von Gaze umschweben leicht die schönen Gestalten! Da frisirt man sich au repentir; man läßt die Haare von einer Seite auf die Schultern herabfallen, oder das Gelock bedeckt die Stirn und kräuselt sich über die Augen herab, deren Glanz dadurch gewinnt. Der Shawl à la victime – die Mode war witzig; sie verspottete die Herrschaft des Schreckens – wird um den Hals geschlungen, um die Schönheit des Nackens und der Büste nicht zu beeinträchtigen. Ein Ring von Cameen ziert das schöngeformte Bein, das aus dem Gewande hervortritt; antike Sandalen zeigen den Fuß, dessen Zehen prachtvolle Ringe schmücken. Ueber diesen Blumenflor neigen sich die Vertreter der „goldenen Jugend“, diese seltsamen Schmetterlinge – und ein Geflüster von Liebesabenteuern geht durch den Kreis. Alles lauscht – Frau Tallien schlägt die Harfe. Ihre vollen, schönen Arme, ihre melodische Stimme entzücken die Hörer. Dann singt Garat, jener Orpheus, dem sie, wie so vielen Anderen, das Leben gerettet; Cherubini und Mehul begleiten ihn.

Bald ändert sich die Scene. Die drei Grazien des Directoriums, Madame Tallien, Madame de Beauharnais, jene anmuthige Creolin, welche Tallien ebenfalls aus dem Kerker befreit hatte, und Madame Recamier, die glänzende Nebenbuhlerin, deren Salon eine fast noch größere Berühmtheit erlangt hatte, erschienen, sobald die Violine das Signal gegeben hatte, den Schleier auf dem Arme, um mit großer Anmuth den Schleiertanz auszuführen. Sie drapirten sich damit in wechselnden Stellungen. Bald verbarg sich hinter ihm die Erregtheit der Liebe, bald war es das leichte Gewölk der Willis, bald ein Gürtel, der Gürtel der Venus, den die Hand der Grazie schlang und die Hand der Liebe löste. Der Tanz war eine wandelnde Poesie und die Kunst bestand darin, seine stumme Beredsamkeit zu voller Geltung zu bringen.

Eine strenge Frauengestalt sah ernst sinnend dem verlockenden Schauspiel zu; es war die Tochter Necker’s, Frau von Staël; hier fand sie die Farben für das Bild ihrer Corinna. Neben dem General Barras mit dem stolz wehenden Federbusch und dem rasselnden Säbel, einem Machthaber Frankreichs und Mitglied des Directoriums, der als ein König en miniature sein kleines Privat-Versailles hatte, stand ein unscheinbarer Officier mit kalten, marmornen Zügen. Sein Ruhm war von jungem Datum. Er hatte sich vor Toulon ausgezeichnet und die Royalisten in Paris niederkartätscht. Daß ihm neben Barras die Oberleitung in diesem Kampfe anvertraut wurde, verdankte er dem Einfluß der Frau Tallien. So reichte ihre Hand bis zum Cäsarenthum der Zukunft; denn dieser Officier war der General Bonaparte, für den auch die sanfte Josephine Beauharnais, eine Generalswittwe, lebhafte Neigung hegte. Bonaparte hat, wenn er bei Laune war, in diesen Kreisen oft den Wahrsager gespielt. Ob er schon damals in seinen hochfliegenden Träumen an die Herrschaft in Frankreich dachte und sie mit Madame Tallien theilen wollte? Sophie Gay behauptet es, doch wer las in der Seele des merkwürdigen Mannes? Die schöne Therese blieb ihm eine Gönnerin, aber sie zeigte keine Liebe für ihn; die reizende Josephine wurde seine Gattin.

Und vor dem eisernen Tritte dieses Mannes zerstob der Spuk der Merveilleux und Incroyables; doch auch die Glanzzeit Therese’s ging vorüber. Tallien verkam; er begleitete als Journalist die ägyptische Expedition; er war eine Zeitlang Consul in Alicante. Später lebte er in Dürftigkeit in Paris; er verkaufte seine Bücher auf dem Quai Voltaire, um zu leben, und wies ein Geldanerbieten seiner längst von ihm geschiedenen Frau zurück. Wohl aber nahm er das Asyl an, das sie ihm in der Chaumière in der Allée des Veuves anbot, an jener Stätte, wo Beide einst eine so glänzende Rolle gespielt hatten.

Und Therese? Sie war seit 1805 die Gattin Joseph’s von Caraman, eines frühern Emigranten, welcher nach seiner Rückkehr Prinz von Chimay geworden war. Als Frau eines Grandseigneurs huldigte sie auf ihrem herrlichen Schlosse den Künsten, der schönen Natur, ihrer Familie und ihren Erinnerungen. So lebte sie dreißig Jahre als eine vornehme Dame; aber der niederländische Hof verzieh ihr nicht, daß sie vorher die Gattin eines Königsmörders gewesen war, und es gehörte zu ihren schwersten Kränkungen, daß sie, trotz der hohen Stellung des Gatten, an den Höfen nicht Zutritt fand.

Es war nicht leicht, die schlanke Amazone, die anmuthige Tänzerin des Directoriums wiederzuerkennen in einer Gestalt, welche die volleren Formen eines Rubens angenommen hatte. Und die flamländische Schönheit wurde noch außerdem durch die Moden der Restauration entstellt, durch die Puffärmel und Pyramidenfrisur. Doch die Grazie ihrer Züge und ihrer Seele blieb unverändert. Höchst anziehend waren die Schilderungen ihres Lebens, seiner rührenden Begebenheiten und denkwürdigen Wendungen, mit denen sie die Freundinnen unterhielt. Einer ihrer Söhne, Joseph Fürst von Chimay, ist ein bekannter Diplomat geworden. Eine Schönheit blieb sie bis zu ihrem Tode 1835, und wenn sie mit ihren drei Töchtern in der Loge der Italienischen Oper in Paris erschien, frug man sich, welche der vier Schwestern die schönste sei?

Ein so wechselvolles Leben führte die spanische Banquierstochter, die Siegesgöttin von Bordeaux, die dolchbewehrte Rachegöttin des neunten Thermidor, die Grazie des Directoriums, die niederländische Fürstin!





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