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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

ließen ungestört die Reiher, Kraniche und Sumpfvögel ihre Nahrung suchen. Weit in der Ferne hob sich wie ein eckiger Fels eine Höhe aus der endlosen Fläche; das war das Dorf, das uns aufnehmen sollte, ein zu entferntes Ziel, als daß wir durch Jagd unsere Reise hätten unterbrechen können. Wir langten nach längerer Wanderung an.

Von allen Seiten war das Dorf mit Wasser umgeben, nur ein Damm führte steil ansteigend hinein. Die Häuser, von Lehm gebaut, wurden von einzelnen hohen Palmen überragt. Taubenhäuser in großer Zahl sahen wohnlicher aus als die Lehmbaracken der Menschen, aus denen der Rauch nicht zum Schornstein heraus – den gab es nicht –, sondern aus allen Oeffnungen drang. Auf einer Seite des Dorfes, jenseits des Wassers, zog sich langgedehnt ein Palmenwald hin, unter dem saftig graues Gras wucherte. Wir machten an dem Damme Halt und schickten einen Führer zum Scheikh mit einem Gruß und der Bitte um Aufnahme. Neugierig waren Männer und Kinder zu uns gelaufen und befühlten erstaunt unsere Flinten, Revolver und Messer. Wir harrten in einiger Spannung der Antwort. Es mußte uns viel daran liegen, im Hause des Scheikhs zu nächtigen. Im Palmenwalde hätten uns andere Räuber als die Spießgesellen Hassan’s, – die Bewohner des Dorfes – bestohlen.

„Scheikh Ali grüßt die Fremdlinge und bittet sie, die Schwelle seines Hauses zu überschreiten,“ so lautete die Antwort, die uns der Bote brachte.

Wir ritten an das Thor, das zum Vorhofe seines Palastes führte, und traten ein. Der „Palast“ war einstöckig, nur von Lehm gebaut. Die buntbemalten Pfosten an Thür und Fenstern und die hübschgedrechselten Muschrabien (Holzgitter, das die Fensterscheiben ersetzt) zeichneten ihn vor den übrigen Häusern aus. Auf einem breiten Sitze von Strohgeflecht saß der Scheikh in seinem Hofe und rauchte seine Narghile, umgeben von den Großen seines Reiches, – schmutzigen braunen Kerls. Er erhob sich zu unserer Begrüßung und lud uns ein, eine Tasse Kaffee zu trinken – das war herzlich wenig!

„Wir sind einflußreiche Leute aus den mächtigsten Ländern des westlichen Europas,“ begann der Spanier das Gespräch. „Der Ruhm Scheikh Ali’s ist zu uns gedrungen, und wir bringen ihm unsere Huldigung dar.“

Das war zum Mindesten höflich und der Scheikh schien nicht unempfindlich; er lächelte gnädig und strich mit seinen dicken braunen Fingern über den grauen Bart. Diener setzten uns Narghiles vor und servirten den Kaffee. Ihre einfache Kleidung bestand aus einem weißen Turbane.

Der Scheikh fragte, ob wir Prussiani wären. Ich war so glücklich, es bejahen zu können; von Spanien hatte er nie ein Wort vernommen.

„Der große preußische Feldherr heißt Bismarck,“ sagte er mit überlegenem Lächeln, und wir beeilten uns, ihm unsere Bewunderung über seine eminenten Kenntnisse auszudrücken. Endlich schien er Gefallen an uns gefunden zu haben; er forderte uns auf, seine Gäste zu bleiben.

Der Sieg war unser; spöttisch blickten wir auf Hassan, der wie ein armer Sünder in einer Ecke des Hofes saß, und wiederholten immer von Neuem dem Scheikh, daß wahre Herrschertugenden Tapferkeit und Höflichkeit gegen Fremde seien; daß er sich ersterer befleißigte, hätten wir schon in Europa vernommen; daß er auch die zweite übte, würde uns jetzt offenbar.

Während die Frauen des Wirthes das Mahl für unsere hungrigen Magen bereiteten, durchstreiften wir das Dorf und den naheliegenden Palmwald. Die Knaben des Ortes folgten uns neugierig, und schmutzige Weiber in langen blauen Hemden blickten verstohlen aus den engen Thüren der Lehmhütten. Zahllose Adler und Geier hielten sich in den Kronen der Palmen auf und kehrten sich wenig oder gar nicht an unsere Schüsse. Die Eingeborenen geben sich nicht die Mühe, sie zu schießen; sie jagen edleres Wild – den nachbarlichen Beduinen.

Die Sonne ging blutroth nieder, wie am verflossenen Abende. Aus der strahlenden Wasserfläche hob sich dunkel das palmenüberragte Dorf. Arbeiter kehrten aus den Baumwollenfeldern heim, Esel vor sich den Damm hinauftreibend. Ein Araber sang, an einen Stamm gelehnt, ein eigenthümlich klagendes Lied. Die friedliche Stimmung des Bildes führte die Gedanken dem fernen heimathlichen Dorfe zu.

Ein Abgesandter des Scheikhs forderte uns auf, das Mahl einzunehmen, und mit Vergnügen folgten wir der Einladung. In einem großen Gemache, zu dem eine hölzerne wacklige Treppe hinaufführte, war das Essen aufgetragen. Ein kleiner Tisch in der Höhe eines Stuhles stand in der Mitte. Wir kreuzten die Beine und ließen uns mit Scheikh Ali davor nieder, der erst nach vielen Complimenten dazu zu bewegen war. Ob die „Christenhunde“ oder das vornehme Gebahren seiner Gäste daran schuld war, weiß ich nicht zu beurtheilen.

Deutsche Hausfrauen! Zum leuchtenden Vorbilde sei Euch die Schilderung des Mahles geweiht! Porcellan in Tellerform war als überflüssig erkannt worden und einfache Holzbrettchen ersetzten den Mangel. Messer und Gabel suchte man vergebens; diesen Luxus kennt nur der verweichlichte Europäer. Ein Holzlöffel allein fand sich vor, und der lange Stiel erleichterte das Schöpfen aus der gemeinsamen Suppenschüssel. Der Scheikh sah mit Wohlbehagen auf den Tisch; er griff zu einer Citrone, die neben seinem Brettchen lag, und riß dieselbe auseinander. Ich fand diese Art, sich die Finger zu reinigen, nicht hübsch, die Operation jedoch nothwendig. Leider beruhte meine Ansicht auf Täuschung; der Saft sollte die Hammelbrühe würzen. Die Suppe schmeckte nicht schlecht – sehr aromatisch. Ein Sclave trug das Gemüse auf: Reis mit Tomaten und Pfeffer. Wir häuften auf unsere Brettchen davon und verfolgten die Bewegungen des Scheikhs, um essen zu lernen.

Die rechte Hand ruhte in der Oeffnung des Hemdes auf der Brust, mit dem Daumen, zweiten und dritten Finger der Linken wurde die Speise zum Munde geführt. Die Rechte vertritt ausschließlich das Taschentuch, die Linke das Besteck. Auch der Reis schmeckte nicht schlecht, wenn auch der Pfeffer die Thränen in die Augen trieb.

Die Unterhaltung wurde lebhaft geführt. Der Scheikh entwickelte in großen Zügen seine politischen Ansichten. Er ging davon aus, daß der Sultan Weltherrscher, der Khedive sein erster und Scheikh Ali sein zweiter Vasall sei. Die Scharmützel zwischen Frankreich und Deutschland machten dem Sultan mehr Spaß als Sorge. Er für seine Person sei davon durchdrungen, daß das große Feldherrntalent Bismarck’s niemals den Sultan in seinen Rechten schädigen könnte. Großes Interesse erregte meine Schilderung von Bismarck’s Kriegsgewand. Die weiße, mit Silber gestickte Uniform erregte seinen Neid. Er wurde nachdenkend und trägt gewiß heute ein weißes Hemd statt des bunten.

Unterdessen war der Braten aufgetragen worden – eine herrliche Hammelkeule. Der Scheikh ergriff dieselbe und erhob sie wie einen Tomahawk zum Schlage. Er riß das Fleisch in langen Fasern von dem Knochen los und häufte es vor sich auf sein Brett, die unvermeidliche Citrone wurde in den fettigen Fingern darüber ausgepreßt und mit liebenswürdigem Lächeln thürmte er die besten Stücke auf unser Brettchen. Trotz mächtigen Hungers begann sich in mir etwas zu regen, was man ungefähr mit Uebelkeit bezeichnen könnte; die Kniee fingen an, mir empfindlich weh zu thun, und ich veränderte, mich räuspernd, meine Stellung. Der Spanier griff frisch zu, und auch bei mir wich der Ekel allmählich dem Hunger. Gierig schlang ich große Stücke hinunter. So recht von Herzen gierig kann nur der hungrige Jagdhund sein und der Mensch, wenn er mit den Fingern ißt. In Fett geröstete Bananen bildeten den würdigen Abschluß des reichen Mahles. Sclaven brachten die Schale, den Wasserkrug und das Handtuch zum Reinigen der Finger, und mit Behagen nahmen wir auf dem breiten Divan Platz, wo uns Kaffee und Narghile gespendet wurde.

Während des Mahles schon traten nacheinander wohl zwanzig eigenthümliche Gestalten in das Gemach. Sie verbeugten sich schweigend bis zur Erde, nahmen schweigend nebeneinander an dem Fußboden Platz, rauchten schweigend ihre Pfeifen, und die Etiquette verbot uns hochstehenden Scheikhs, Notiz von ihnen zu nehmen. Meine Blicke wurden mehr als einmal durch das Abenteuerliche der Erscheinungen gefesselt. Da war ein alter, fast schwarzer Beduine mit langem, weißem Barte, in tadellos weißer Kleidung; die lebhaften Augen und der aufrechte, sichere Gang sprachen von der ungeschwächten Kraft des Alten.

Ein junger Mann, dem eben erst der Bart die Oberlippe deckte, fiel mir seines regelmäßig schönen Gesichtes und der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 249. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_249.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)