Seite:Die Gartenlaube (1874) 252.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Zungen über mich herfallen? Mögen sie es doch. … Mein Gott, welche Bedeutung hat denn meine Person für die Welt? Ich bin nicht eitel genug, um vorauszusetzen, sie werde sich andauernd mit mir beschäftigen – sie könnte es auch beim besten Willen nicht, denn ich verschwinde vom Schauplatze. … Und nun bitte ich Dich, gieb mir den Weg frei! Lebewohl sage ich Dir nicht noch einmal – wir sind Beide nicht sentimental.“

„Nein – nur ich armer Gesell habe so ein dummes, störrisches Etwas in der Brust, das aufschreit.“ … Er trat einen Schritt von der Thür weg. „Der Weg ist frei, Juliane – das heißt: er ist frei für uns Beide. Du wirst doch nicht denken, daß ich Dich allein vor den Richter treten lasse, der noch dazu Partei nimmt für die Klägerin? Du willst die Auseinandersetzung mit mir in die Hände Deiner Geschwister legen – gut – ich will aber auch dabei sein. … Ich werde den Wagen bestellen, denn ich begleite Dich – Ulrike, die Verständige, die Weise, soll entscheiden.“

„Mainau, das wolltest Du wagen?“ rief sie erschreckt – bei der heftigen Bewegung, mit der sie emporfuhr, glitt der Capuchon von ihrem Kopfe; das halbgelöste Haar quoll wogend, in schweren, glänzenden Ringeln auf den schwarzen Sammet – der Regenschirm fiel zu Boden. – Sie verschränkte die Hände und drückte sie gegen die Brust. „Es ist mir viel Weh zugefügt worden in Deinem Hause, und dennoch möchte ich Dich nie und nimmer vor Ulrikens streng richtenden Blicken stehen sehen, ich – ertrüge es nicht. … Was willst Du antworten, wenn sie Dich fragt, aus welchem Grunde Du die Hand ihrer Schwester verlangt hast? Du wirst sagen müssen: ‚Aus Rache gegen eine Andere – ich habe die Verlobung mit der Gräfin Trachenberg einzig deshalb in Scene gesetzt, um angesichts des ganzen Hofes der Herzogin einen Dolch in die Brust zu stoßen.‘“

Er stand vor ihr mit aschbleichem Gesichte – langsam, mechanisch hob er die Rechte, um sie auf der Brust in den halb zugeknöpften Rock zu stecken – sein Schweigen und diese Haltung gaben ihm das Aussehen eines Mannes, der sehr gut weiß, daß er verloren ist, und mit gemachter Ruhe den Verlauf erwartet. – „Und wie dann weiter, Mainau?“ fragte sie unerbittlich. „Du wirst fortfahren müssen: ‚Darauf habe ich die unglückliche Statistin, die sich anstandshalber nicht so rasch wieder abschütteln ließ, mit Schmuck und kostbaren Stoffen beladen, in mein Haus geführt und ihr ein Verhaltungsprogramm aufgestellt, so ungefähr, wie man eine Uhr aufzieht, und von ihr verlangt, daß sie auf der vorgeschriebenen Zeitbahn ihr einförmiges Ticktack pflichtschuldigst abarbeite. … Ich habe gewußt, daß die Seele meines Hauses ein alter, kranker, verbitterter Mann ist; ich habe gewußt, daß gerade ihm gegenüber das Festhalten an meiner Vorschrift eine Riesenaufgabe sein mußte, daß dazu eine beispiellose Selbstverleugnung, ein völliger Mangel an empfindlichen Nerven, an stolzaufwallendem Blut nöthig sei – o, das verstand sich von selber bei der Puppe, die meinen Namen trug, an meinem Tische aß und das Dach meines Schlosses über dem Haupte hatte.‘“ – Sie verstummte – athemlos, die Lippen geöffnet, warf sie den Kopf in den Nacken, wie befreit von einer unglaublichen Last, wie erlöst von dem heißen Schmerz, der ihr viele Wochen lang die Kehle zugeschnürt, das Herz zusammengekrampft hatte.

„Bist Du zu Ende, Juliane? Und willst Du mir vergönnen, Ulriken zu antworten?“ fragte er tonlos, mit einer unbeschreiblichen Sanftheit in der Stimme, jener Stimme, vor welcher bisher die Damen „wie die Lämmer gezittert“.

„Noch nicht,“ sagte die junge Frau hart – jetzt hatte sie genippt an der Rache; sie fühlte zum ersten Male, daß es süß sei, Wiedervergeltung zu üben, Kälte gegen Kälte, Verachtung gegen Mißachtung zu setzen – es riß sie hin, das berauschende Gift weiterzuschlürfen; sie ahnte nicht, daß gerade dieses heiße Rachegefühl auf eine andere tiefe, hoffnungslose Leidenschaft schließen ließ. – „Dieser arme Automat mit den ewig stickenden Händen und den Vocabeln auf den Lippen beging bei allem guten Willen dennoch eine Tactlosigkeit – er kürzte sein Debüt im Hause Mainau nicht rasch genug ab,“ fuhr sie bitter fort. „Er verpaßte den richtigen Moment, wo er sich mit Anstand zurückziehen konnte, und da mußte er es sich gefallen lassen, daß man zu dem raschesten Mittel, zu ehrverletzenden Anklagen griff, um – rasch mit ihm fertig zu werden.“

„Juliane!“ – Er bog sich über ihr Gesicht und sah in die weit geöffneten Augen, die ihm in der unheimlichen Starrheit höchster Nervenaufregung begegneten. „Wie traurig, daß sich Dein reiner Sinn in den Abgrund eines so häßlichen Mißtrauens verirren konnte! Aber ich bin schuld – ich ließ Dich zu lange allein, und wenn ich Alles vor Ulriken verantworten will, das kann ich nicht … Juliane, sieh mich nicht so starr an!“ bat er, ihre Hände gegen sich ziehend; „diese furchtbare Aufregung muß Dich krank machen –“

„Darum lasse mich allein – Du kannst keinen kranken Menschen sehen.“ Sie entzog ihm ihre Hände – ihre Lippen zuckten in trotzigem Weh.

Er wandte sich entmuthigt ab. Wohin er sich auch wenden mochte, sie hielt ihm grausam einen Spiegel vor, aus welchem ihm sein Charakterbild in häßlichen, unheimlich genauen Strichen entgegentrat; sie hatte jeden seiner herzlosen Aussprüche sorgsam notirt. Er konnte so glänzend Conversation machen; – für ihn gab es keine Klippe, keine Kluft in der Gesellschaft – er schlug über Alles die leichte Brücke des geißelnden Spottes, des funkelnden Witzes – und hier, im Conflict mit einer ehrlichen, aber durch sein Verschulden herb gewordenen weiblichen Natur, litt er kläglich Schiffbruch, der brillante, weltgewandte Cavalier. Schweigend wollte er die Hand nach dem Klingelzug ausstrecken, um zu schellen, aber die junge Frau wußte es durch eine rasche Bewegung zu verhindern. „Thue das nicht, Mainau! Ich fahre nicht mit Dir,“ erklärte sie entschieden, mit finsterem Ernst. „Wozu den häßlichen Streit nach Rudisdorf tragen? Das dürfte ich schon meinem lieben, scheuen Magnus nicht anthun – er würde unter dem rauhen, lauten Conflict schwer leiden. Und die Mama? … Mit ihr habe ich einen harten Kampf zu bestehen, wenn ich zurückkehre – das verhehle ich mir nicht; aber ich will ihn doch tausendmal lieber allein auf mich nehmen, als Dich dabei sehen. Sie wird sich sofort auf Deine Seite stellen – in ihren Augen werde ich bis in alle Ewigkeit die Schuldige sein; Du bist der gefeierte, vielbeneidete Cavalier, der Herr von Schönwerth, Wolkershausen etc. und ich bin das verarmte Mädchen, das kaum Anspruch an eine Stiftspfründe hat – was liegt da näher, als daß ich nicht verstanden habe, mich in die Verhältnisse zu schicken und meine beneidenswerthe Stellung würdig einzunehmen?“ – welch ein bitteres, herzzerreißendes Lächeln flog um ihre Lippen! – „Aber aus eben diesen Gründen wird Mama auch Alles aufbieten, die völlige Trennung zu verhindern, und dagegen verwahren wir uns doch Beide –“

„In der That, Juliane?“ – Er lachte zornig auf. – „Widerstrebte es mir nicht, da rauh und gebieterisch zu nehmen, wo man mir durchaus nicht geben will, da könnte ich allerdings nichts Besseres thun, als die Entscheidung in die Hände der Mama zu legen – so aber muß und soll Ulrike die höchste Instanz bleiben. … Ich werde nicht ein Jota von meiner großen Schuld leugnen. Ich werde ihr erzählen, wie die fürstliche Coquette mit mir gespielt, wie sie mich durch ihren Treubruch zu Dem gemacht hat, was ich geworden bin – zum frivolen Spötter, zum gewissenlosen Frauenverächter, zu einem zerfahrenen, ruhelosen Flüchtling, den die ungesühnte tiefe Demüthigung seines Mannesstolzes in den Taumel unwürdiger Genüsse gehetzt hat. Ulrike soll wissen, daß ich, wenn auch längst keinen Funken von Neigung mehr für die Treulose hegend, dennoch unausgesetzt nach einer eclatanten Genugthuung gelechzt habe – vielleicht vermag sie besser als Du sich in die Seele eines tiefgereizten und gekränkten Mannes zu versenken. … Ich werde ihr sagen: ‚Es ist wahr, Ulrike, ich habe Deine Schwester in der That heimgeführt, um die Herzogin zu züchtigen und meine Rache zu kühlen, aber auch, um der wahnsinnigen Leidenschaft dieser Frau für mich, die mich anwiderte, Schranken zu setzen.‘“

Er schwieg für einige Secunden, als hoffe er auf ein ermuthigendes Wort, aber die Lippen der jungen Frau bewegten sich nicht – sah es doch fast aus, als erstarre sie gegenüber diesen Enthüllungen.

„‚Das junge Mädchen, das ich beim ersten Begegnen kaum mit einem halben Blicke angesehen, war mir gleichgültig,‘“ fuhr er mit bewegter Stimme fort. „‚Hätte ich damals den Eindruck der Schönheit, des Geistes empfangen – ich wäre sofort zurückgetreten – ich wollte keine innere Fessel wieder auf mich nehmen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 252. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_252.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)