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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

der Mama als Morgengruß in das Gesicht geworfen wurden. Mit seinen beiden kräftigen Händchen ihre Rechte umklammernd, zog er sie lachend tiefer in den Saal herein.

„Recht so, mein Junge!“ lachte auch der Hofmarschall heiter auf. „Führe die Mama zum Frühstückstische und bitte für den Großpapa um eine Tasse Chocolade. Er nimmt sie ja doch am liebsten aus ihren Händen, und sollten auch diese schönen Hände einen leichten Duft von – verbranntem Papiere ausströmen. … Na, Löhn,“ wandte er sich rasch an die Beschließerin, als wolle er jede Replik auf den Lippen der gemarterten jungen Frau verhindern – „ist’s wahr? Der Sturm soll ja in dieser Nacht das Dach des indischen Hauses zertrümmert haben.“

„Ja, gnädiger Herr – wie es geht und steht, hat er’s weggefegt.“

„Auch der Plafond ist beschädigt?“

„Voller Löcher – ein Regen darf nicht kommen.“

„Sehr fatal! … Aber erneuert oder ausgebessert wird im indischen Garten absolut nichts – je früher diese Spielerei zerfällt, desto besser! … Sorgen Sie dafür, daß die Kranke in den kleinen, runden Pavillon gebracht wird –“

Liane sah bei diesem Befehle nach der Beschließerin – die Leute hatten Recht, „das derbe Weib“ sah aus wie ein Gespenst. Dem feinen Ohre der jungen Frau entging es nicht, daß sie die Antworten nur so kurz und rauh herauspolterte, um ein Brechen der Stimme zu verhindern.

„Ist nicht vonnöthen, gnädiger Herr – die Frau geht von selber,“ antwortete sie auf den Befehl hin, mit einer eigenthümlichen Starrheit im Blicke.

„Wie – was! Sind Sie toll?“ fuhr der Hofmarschall herum – zum ersten Male sah Liane dieses greisenhafte Gesicht in tiefer, dunkler Röthe aufflammen. „Dummheit! Wollen Sie mir weismachen, daß sie sich je wieder erheben, oder gar – ihre gelähmte Zunge zu gebrauchen im Stande sein würde?“

„Nein, gnädiger Herr, was todt ist, das ist und bleibt todt, und – das Uebrige, das löscht heute auch noch aus, ehe die Sonne untergeht.“ Die Frau sagte das eintönig, und doch klang es erschütternd, herzzerschneidend.

Der Hofmarschall wandte den Kopf weg und sah in die Kaminflammen. „So – ist’s so weit?“ warf er mit gepreßter Stimme hin.


(Fortsetzung folgt.)




Von unsern sächsischen Landsleuten im Osten.


1. Der Dorfrichter in Amtsthätigkeit.


Es giebt Landstriche, welche, obgleich fast mitten in Europa gelegen, doch selbst für das wissensfrohe deutsche Publicum in weiteren Kreisen weniger bekannt sind, als manches weitentlegene Gebiet fremder Erdtheile. Zu ihnen gehört Siebenbürgen, das nur gelegentlich die Aufmerksamkeit deutscher Reisender angezogen und noch keinen veranlaßt hat, seinen Eigenthümlichkeiten in Natur, Cultur und Geschichte mehr zu widmen als etwa einige Feuilletonartikel oder einen Vortrag in einer geschlossenen Gesellschaft. Während der Franzose de Gerando und die Engländer Paget und vorzüglich Charles Bones ihren Landsleuten in eingehenden Werken die Erfahrungen und Eindrücke mitgetheilt haben, welche sie in jenem Lande empfangen, begnügt sich Deutschland noch bis zum Augenblicke mit Uebersetzungen dieser fremden Darstellungen, die doch vielfach gerade das nicht bieten, was dem Deutschen nach seiner Art das Bemerkenswertheste sein müßte, tiefere Einblicke in die Aeußerungen des bunten Volkslebens,*[1] das hier, an der Berührungslinie des Orientes und des Occidentes, seit alten Zeiten sich entfaltet hat.

Die Wiener Weltausstellung hat in dem siebenbürgisch-sächsischen und dem szekler Bauernhause, sowie in den Zusammenstellungen der sächsischen, szekler und walachischen Hausindustrie, endlich in den mit dem höchsten Preise ausgezeichneten photographischen Genrebildern des akademischen Malers und früheren Zeichenlehrers am evangelisch sächsischen Gymnasium in Bistritz Carl Koller weitesten Kreisen Gelegenheit geboten, ihr Augenmerk auch der imposanten Naturfeste der Ostkarpaten zuzuwenden. Das Bild, zu welchem diese Zeilen geschrieben wurden, führt eine Scene aus dem Leben desjenigen Theiles der Bevölkerung Siebenbürgens vor, der durch Abstammung und Sitte, sowie durch seine in einem vielhundertjährigen Martyrium nicht gebrochene Treue zum Deutschthum der Beachtung unserer Leser vorzüglich werth ist.

„Ein siebenbürgisch-sächsischer Dorfrichter in Amtsthätigkeit“, so hat der Künstler sein Bild selbst bezeichnet, und da es, um psychologisch verstanden zu werden, keiner Erklärung bedarf, so wollen diese Begleitworte mehr den culturgeschichtlichen Hintergrund zeichnen, von welchem das naturgetreue Bild selbst sich lebendig und kräftig abhebt.

Die älteste germanische Wanderung nach Siebenbürgen ist in den Fluthen der Völkerwanderung fast spurlos vorübergerauscht. Durch die vom ungarischen König Geisa dem Zweiten veranlaßte Einwanderung wurde die Zahl der deutschen Bewohner Siebenbürgens ungemein gesteigert. Zweck ihrer Ansiedlung war Sicherung des vom Mittelpunkte des Reiches weitentlegenen Gebietes gegen feindliche Nachbarvölker, nicht blos den kaum gegründeten eignen Herd zu schützen, sondern auch dem Reiche zu dienen. Die neuen Colonisten waren Bauern und Kriegsleute zugleich.

Nicht nur der Kampf um das leibliche Dasein ist den flandrischen, sächsischen und niederrheinischen Colonisten in Siebenbürgen nicht erspart geblieben; nicht nur hatten sie sich von Anfang an der Angriffe der auf ihre besondere politische und kirchliche Stellung neidischen königlichen Beamten und geistlichen Würdenträger zu erwehren – auch der Streit im Innern entbrannte schon früh zwischen den reicher und mächtiger gewordenen „Geschlechtern“, die an dem magyarischen Adel bald Sippen und Freunde fanden, und den Gemeinfreien. Mehr als zwei Jahrhunderte hat dieser Streit hier gedauert, bis er sich im Reformationszeitalter zu Gunsten der Letzteren entschied, so daß es auf Sachsenboden einen bevorrechteten Adel nicht geben durfte, und so schroff schlossen zeitweilig die Gegensätze sich aus, daß in manchen Gemeinden ein Adeliger geradezu für unfähig zu einem Amte erklärt wurde.

Aus solchem äußeren und inneren Kampfe und der harten Arbeit des Lebens, worin das deutsche Volk von den mitwohnenden Stämmen selten Freundschaft erfuhr und seinen Schutz fast ausschließlich nur bei sich selbst und der wechselnden und in der Regel theuer erkauften Gunst der Könige fand, erwuchs die harte, herbe, ernste, abgeschlossene Bauernnatur dieses Volkes, die dem Fremden leicht unliebenswürdig und egoistisch erscheint, auf der aber der Fortbestand seiner Nationalität wesentlich mit beruht. Wer so viele Jahrhunderte lang ununterbrochen auf Vorposten gestanden für persönliche Freiheit, für das Recht des Eigenthums und die politische und kirchliche Gleichberechtigung, Der verliert die Anmuth der Erscheinung, die nur im Sonnenstrahle des Behagens gedeiht, und wird leicht mißtrauisch auch da, wo der Begegnende auf Vertrauen Anspruch zu haben meint. Als der jetzt regierende Kaiser und König sich zum ersten Male in Siebenbürgen befand, wurde er in einer sächsischen Dorfgemeinde von dem Dorfrichter mit den treuherzigen, einfachen Worten begrüßt:

„Willkommen, Herr Kaiser, in unserem Lande!“

Der Fürst – es war damals in der Blüthezeit des Absolutismus – erwiderte: „Ich denke, das Land ist mein Land.“

Der Bauer, schnell gefaßt, antwortete darauf: „Um Vergebung, Herr Kaiser, dieses Land hat der König Geisa unseren Vorfahren verliehen.“

Und als Jemand aus der Suite darauf, allerdings dem Sachsen gegenüber unpassend genug, einwandte: „Aber wir haben’s erobert,“ da spielte Jener den Trumpf aus:

„Ich weiß es; mein Sohn war auch dabei.“

Es liegt ein gewisses starres Rechtsbewußtsein in der Natur

  1. * Diesem Volksleben droht im gegenwärtigen Augenblicke eine schwere Gefahr, über welche unsere Leser in einer unserer nächsten Nummern eingehendere Mittheilungen erhalten werden.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 256. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_256.jpg&oldid=- (Version vom 6.8.2018)