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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

und Liebenswürdigkeit; dennoch wissen sie den jungen Mädchen zu gefallen, wahrscheinlich dadurch, daß sie meist alle begabt sind mit großem Scharfsinn, natürlicher Heiterkeit und blühender Gesundheit. Das Bild zeigt uns den Tanz Horowod in einem Dorfe einer Fabrikgegend; man erkennt dies sofort an den Anzügen und an den Dächern der Häuser, welche in der Ferne zu sehen sind. Das russische National-Costüm ist im höchsten Grade eigenthümlich, malerisch, reich bis zum Märchenhaften und dem harten Klima ganz angepaßt. Mitunter wird mit dem Costüm großer Luxus getrieben. So kaufte auf der Messe in Nishni-Nowgorod ein schmutziger, ärmlich gekleideter Bauer zur Mitgift für seine Tochter für sechstausend Rubel echte Perlen. Wenn man nun noch in Betracht zieht, daß die Kopfbedeckung aus Sammet, mit Perlen bestickt, und einem seidenen Tuch, welches mit Gold und Silber ausgenäht ist, besteht, daß Mieder und Rock aus seidenem Stoff gemacht, mit Gold- und Silberblumen durchwirkt sind und dreißig bis vierzig silberdurchbrochene Knöpfe von der Größe einer Nuß tragen, so kann man die Kostbarkeit eines solchen Anzuges annähernd ermessen.

Solche Costüme werden freilich nur an Sonn- und Festtagen angezogen und in den meisten Fällen auf Kind und Kindeskind vererbt. Die Hauptrolle spielt bei einem russischen Frauencostüm ein langes Kleid, unten sehr weit und oben sehr eng zugeschnitten; ganz ohne Aermel, wird es nur durch Achselbänder gehalten; dieses Kleid heißt auf Russisch „Sarafan“. Es wird aus selbstgewebtem Zeuge genäht, oder auch aus Kattun oder sogar aus jenem oben erwähnten golddurchwirkten Stoff, je nachdem es der Zweck erfordert und die Mittel dazu da sind; auf diesen „Sarafan“ wird eine Schürze gebunden. Auf unserem Bilde tragen die im Kreise stehenden Mädchen, die das Tuch dem jungen Manne überwerfen, und zwei rechts zuletztstehende Frauenfiguren ein solches Kleid; die übrigen Frauen haben entweder Mieder über ihren Sarafan oder Letzteres zu einem europäischen Kleide zugeschnitten, welches sie dem Einflusse der Fabriken und der Städte verdanken. Die Kopfbedeckung, ausgenommen die der Nationaltracht, besteht aus Kopftüchern. Die jungen Mädchen binden sie so, wie es in dem Kreise zu sehen ist, und die Frauen so, wie die drei vorletzten rechtsstehenden Figuren es zeigen. Von den Männern ist nur Einer – er sitzt auf den umgehauenen Baumstämmen – im altrussischen Costüm. Er trägt einen hohen Hut. Die Füße sind mit Lappen umwickelt und mit Kordeln umbunden, ähnlich wie bei den Italienern; die Schuhe sind aus Bast geflochten. Auch Mützen und hohe Stiefeln kommen vor, wie unser Bild zeigt.

Der Zeichner des Bildes sieht sich veranlaßt, schließlich noch hinzuzufügen, daß russische Zeichnungen und Motive bisher immer nur von Fremden nach Beschreibungen und Erzählungen, nicht aber von einem sachkundigen russischen Künstler angefertigt wurden; daher mangelte ihnen immer der echt russische, charakteristische und nationale Typus, worin doch eigentlich das Interessante besteht. Die von uns dargebrachte Zeichnung ist von einem russischen Genremaler gezeichnet und von ihm durch die obigen Mittheilungen erklärt, derselbe hat viele Studienreisen in Rußland gemacht und ist daher im Besitze von reichen Materialien und Motiven aus dem russischen Nationalleben.




Der Abstimmungstelegraph. Von der bekannten Firma Siemens und Halske in Berlin ist, wie auch die Tagesblätter bereits gemeldet haben, dem preußischen Abgeordnetenhaus ein Abstimmungstelegraph vorgeschlagen. Ueber die sinnreiche Erfindung danken wir der Liebenswürdigkeit der genannten Firma folgendes Nähere. Der Zweck des Apparats ist ein doppelter: Einmal soll er auf drei Zählerwerken die Gesammtzahl der Abstimmenden, die Zahl der mit „Ja“ und diejenige der mit „Nein“ Stimmenden unzweifelhaft angeben. Die Controle der Richtigkeit dieser Angaben besteht darin, daß die Summe der Ja- und Nein-Stimmen mit den Angaben des Summenzählers übereinstimmen muß. Das andere Mal soll der Apparat auf einem Papierbande, welches mit den Namen sämmtlicher Abgeordneten bedruckt ist, neben dem Namen eines jeden, der seine Stimme abgegeben hat, mit Oelfarbe deutlich vermerken, ob derselbe mit Ja oder Nein gestimmt hat. Die Ausführung geschieht dadurch, daß auf die Aufforderung des Präsidenten jeder Abgeordnete sich auf seinen Platz begiebt und seinen Abstimmungshebel nach rechts oder links dreht, je nachdem er mit Ja oder Nein stimmen will. Um dies nur dem betreffenden Abgeordneten und keinem anderen möglich zu machen, kann diese Drehung des Abstimmungshebels einzig durch einen Schlüssel bewirkt werden, welcher nur zu dem betreffenden Platze paßt und der dem Inhaber desselben übergeben wird. Hat der Präsident die Ueberzeugung gewonnen, daß alle Abstimmenden ihren Hebel eingestellt haben, so läßt er durch einen Diener die Kurbel des Magnetinductors so lange herumdrehen, bis sie fest steht. Hierdurch wird eine Reihe wechselnder Ströme erzeugt und gleichzeitig ein Contacthebel gedreht, der nacheinander alle Abstimmungshebel in den Stromkreis einschaltet. Alle mit Ja bezeichneten Contacte auf den Plätzen stehen mit den Umwindungen eines Elektromagneten, alle Nein-Contacte mit denen eines anderen Elektromagneten in Verbindung und der Stromlauf ist so geordnet, daß, je nachdem der Hebel auf Ja oder Nein gestellt ist, bei vorerwähnter Drehung der Kurbel der Anker des einen oder anderen Elektromagneten zum Anzug gebracht wird. An jedem Anker ist ein Schreibrädchen nach Art unserer Morsefarbschreiber befestigt; es entsteht also auf dem entsprechend fortbewegten Papierstreifen bei jedem Ankerabzug ein farbiger Punkt, und da die Schreibrädchen der beiden Elektromagnete nebeneinander liegen, ist aus der Stellung des Punktes auf dem Papierstreifen die Stellung des betreffenden Abstimmungshebels zu erkennen. Außerdem sind die Anker dieser beiden Elektromagneten so wie der eines dritten, in den gemeinschaftlichen Rückleitungsdraht eingeschalteten Elektromagneten noch mit Sperrfedern versehen, womit sie auf drei kleinere Zählerwerke mechanisch einwirken und so die Zählung der Abstimmenden in der vorerwähnten Weise ermöglichen.

Wir bemerken übrigens noch, daß die Herren Siemens und Halske bereits im Jahre 1859 dem Abgeordnetenhaus die Anlage eines solchen Abstimmungstelegraphen empfohlen hatten. Damals wurde der Vorschlag aber bis zur Fertigstellung des neuen Parlamentsgebäudes verschoben. Seitdem ist in Nord-Amerika (1869) ein ähnlicher Apparat zur Anwendung gekommen, der sich aber nach erhaltenen Mittheilungen darauf beschränken soll, daß jeder Abgeordnete durch Drücken eines Ja- oder Neinknopfes ein bleibendes Signal giebt, welches dem Präsidenten die Möglichkeit gewährt, die Stimmen nachträglich zu zählen. Durch den obenbeschriebenen Siemens und Halske’schen Apparat wird die Zeit einer namentlichen Abstimmung, die jetzt mindestens eine halbe Stunde in Anspruch nimmt, auf eine halbe Minute reducirt und gleichzeitig ein unzweifelhaftes Document der Abstimmung erworben, welches sich leicht und schnell direct vervielfältigen läßt, so daß jedem Abgeordneten und jedem Berichterstatter noch vor Schluß der Sitzung ein Exemplar ausgehändigt werden kann. Wir sind der Ueberzeugung, daß der Siemens und Halske’sche Abstimmungstelegraph bald den Weg in alle anderen Parlamente finden wird.




Ein Verein und sein Jahrbuch. Ein stattlicher Band, wie er in unserer Zeit der zierlichen Formate nur selten die Neugier des Bücherfreundes erregt, über 34 Bogen, 538 hohe, breite, elegant gedruckte Seiten, auf denen sich in bunter Mischung eine Fülle der Gaben findet: Verse, Erzählungen, literarische und wissenschaftliche Abhandlungen von nicht weniger als vierundsechzig Autoren. Und nun gar erst die Zahl der Herausgeber! Als solche werden uns 35,227 Personen bezeichnet. Mögen unsere Leser nicht ungläubig lächeln, die Sache hat ihre Richtigkeit. Aus 35,227 Mitgliedern besteht jetzt der erste allgemeine Beamten-Verein der österreichisch-ungarischen Monarchie, ein Institut wirksamer Selbsthülfe einzig in seiner Art; wir wüßten nicht, daß irgend ein anderes Land ein ähnliches aufzuweisen hat. Mehr als jede andere Bevölkerungsclasse ist der meistens so unbarmherzig karg gehaltene Beamtenstand darauf hingewiesen, sich durch Vereinigung selber zu helfen und sein Leben freundlicher, seine Zukunft sorgenloser zu gestalten. Wie sehr hier auch die einzelnen Zweige und Berufsarten auseinander liegen mögen, gleiche Lagen und Interessen bieten doch der Hauptmasse der besoldeten Menschen einen lebendigen Mittelpunkt der Einigung. Es ist erstaunlich, daß die aller Orten mit Recht klagenden Beamten nicht überall schon darauf gekommen sind; in Oesterreich haben sie es erkannt. Wir können nicht sagen, wo und in welchem Kreise dort zuerst der glückliche Gedanke entstanden ist, der Beamten-Verein steht aber als eine Thatsache da und erfreut sich eines blühenden und segensreichen Gedeihens.

Sein Zweck ist Nahrung und Forderung der materiellen, geistigen und socialen Interessen des Beamtenstandes nach den Grundsätzen der Gegenseitigkeit und Selbsthülfe. Zu diesem Zwecke bietet er seinen Angehörigen Versicherung von Krankengeldern und ärztlicher Pflege, von Capitalien und Renten auf den Lebens- und Todesfall, auch von Invalidenpensionen. Damit aber ist sein Wirken noch nicht erschöpft. Es erstreckt sich auch auf Spar- und Vorschußgeschäfte, auf Beschaffung von Dienst-Cautionen und Vermittelung von Dienststellen, Stipendienvertheilung für Töchter und Waisen mittelloser Beamten, Unterstützung von Unglück betroffener Standesgenossen, sowie auch Vertretung des gesammten Beamtenstandes in seinen bürgerlichen und dienstlichen Interessen. Zur Mitgliedschaft ist nicht blos diese oder jene Beamtenkategorie berechtigt. Sämmtliche Staats-, Landes-, Gemeinde-, Industrie-, Verkehrs- und Herrschaftsbeamten der Monarchie, auch die Officiere, Geistlichen, Advocaten, Lehrer, Notare und Aerzte können beitreten. Alle Functionen sind Ehrenämter und werden unentgeltlich verrichtet. Der Sitz des Vereins ist in Wien, wo er ein großes Vereinshaus besitzt, dessen Werth auf siebenhunderttausend Gulden veranschlagt wird. In seinem Dienste wirken 1719 Vereinsärzte, Bevollmächtigte und Agenten; die Summe seiner in Kraft stehenden Versicherungen belief sich Ende 1873 auf neunzehn Millionen Gulden. Ferner rechnet er zu den Ergebnissen seiner Thätigkeit die Erwirkung einer neuen Rang- und Gehaltsregulirung der österreichischen Staatsbeamten, die Herausgabe einer Zeitschrift zur Vertretung der Beamten-Interessen, sowie jenes „Literarischen Jahrbuchs“, dessen dritter Jahrgang hier in so stattlicher Erscheinung vor uns liegt.

Das im Selbstverlage des Vereins erschienene Buch führt den Titel „Die Dioskuren“, und es soll der Reinertrag den mannigfachen Segnungen, welche die Genossenschaft ihren Mitgliedern bietet, eine neue hinzufügen: die Errichtung einer höheren Töchterschule. Führen wir das an, so wollen wir damit keineswegs sagen, daß das Buch zu seiner Empfehlung eines Hinweises auf seinen wohlthätigen Zweck bedarf. Es hat in der That an sich selber einen ganz eigenthümlichen Reiz und Werth. Daß unter einer so großen Zahl von Producten auch Mittelmäßiges sich findet, ist nun einmal das unvermeidliche Schicksal aller solcher aus „Liebesgaben“ errichteten Sammelwerke. Wir glauben, die Prüfungs- und Sichtungsarbeit der Redaction ist ohnedies eine sehr große und schwierige gewesen. Rechnet man aber jene minder bedeutenden Beiträge ab, so bleibt doch eine überwiegende Menge von herrlichen Blüthen aus dem Bereiche der Dichtung wie des reflectirenden Gedankens. Die Gaben sind aus den verschiedenen Theilen der Monarchie geflossen, und darin liegt für uns in Deutschland die Anziehungskraft des Ganzen. Sein Grundcharakter ist deutsch wie die Sprache aller einzelnen Artikel. Aber aus dem unterhaltenden Wechsel ihrer vielfach so ganz verwandtschaftlich uns anheimelnden Reihenfolge tönt und duftet uns doch auch jene besondere Art deutsch-österreichischen Geistes entgegen, der in dauernder Berührung mit slavischen und orientalischen Einflüssen eine eigenthümlich reizvolle Färbung erhält und diese in der Sphäre deutscher Bildung zu läutern weiß. Das ist nicht blos pikant und genußreich, es hat auch für die ernstere Betrachtung ein cultur- und völkergeschichtliches Interesse. Auf Einzelnes einzugehen kann hier nicht unsere Aufgabe sein. Hervorheben wollen wir nur, daß neben vielen anderen namhaften Autoren auch Anastasius Grün eine größere Dichtung „Im Veldes“ geliefert hat, die an die frischeste Jugendzeit des verehrten Dichters erinnert.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 266. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_266.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)