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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

und fremd, in einer Art von eisiger Unnahbarkeit – in diesem Moment bedurfte er des stützenden Stockes nicht; die Spannung hielt ihn aufrecht.

„Mit Vergnügen, lieber Onkel. Ich sage kurz und bündig: Gabriel wird nicht Mönch, nicht Missionär“ – er hielt inne und trat rasch auf die Beschließerin zu; diese robuste, vierschrötige Gestalt wankte und taumelte plötzlich, als erliege sie einem Schlaganfall. Liane hatte bereits ihren Arm stützend um sie gelegt und führte sie zu einem Stuhl.

„Ist Ihnen übel, Frau Löhn?“ fragte Mainau, sich besorgt über sie beugend.

„I Gott bewahre, gnädiger Herr – in meinem ganzen, langen Leben ist mir nicht so wohl gewesen,“ mumelte sie halb lachend, halb weinend. „Es flimmerte mir nur so vor den Augen, und ich dachte in meinem dummen Kopfe, der Himmel müßte einfallen. … O du mein Herr und Vater droben!“ seufzte sie aus tiefster Brust und bedeckte das dunkelroth gewordene Gesicht mit der Schürze.

Der Hofmarschall warf ihr einen stechenden Blick zu. Bei aller Aufregung, die in ihm tobte, verwand er es nicht, daß diese Untergebene in seiner Gegenwart saß, und nach ihrer Erklärung, daß ihr wohl sei, nicht sofort wieder aufstand.

„Also Gabriel wird nicht Mönch, nicht Missionär?“ fragte er höhnisch, indem er den Kopf wegwandte, um die Tactlosigkeit der Beschließerin nicht mehr zu sehen. „Darf man fragen, welche hohe Bestimmung Du für dieses kostbare Menschenexemplar im Auge hast?“

„Onkel, der Ton verfängt nicht mehr bei mir. Ich bin so lange so schwach gewesen, diesen ‚guten Ton‘ zu fürchten – ich habe mich auf den herzlosen Spötter gespielt, um nur ja nicht als ‚Gefühlsmensch‘ dem Fluch der Lächerlichkeit zu verfallen. Aber ich zerschneide das Tischtuch zwischen mir und denjenigen meiner Standesgenossen, unter denen dieser Ton fortlebt. … Ich bin fest davon überzeugt, daß Gabriel mein Vetter ist. Willst Du als erster Erbe seines Vaters nicht einen Theil der unermeßlichen Hinterlassenschaft herausgeben – wohl, es kann Dich Niemand zwingen, denn Gabriel ist kein legitimes Kind … Ich aber halte mich hier nicht an den ‚klaren Wegweiser‘ der weltlichen Gerechtigkeit, sondern an den meines Rechtsgefühles und werde dem Knaben den Namen seines Vaters und die Mittel zu einer standesgemäßen Stellung geben, indem ich ihn adoptire.“

Der Riß war geschehen, auch hier das Tischtuch zerschnitten. Aber der gewiegte Höfling, der bei bedrohlichen Disputen sehr bissig werden konnte, um das Heft in die Hand zu bekommen, er hatte gelernt, einer vollendeten Thatsache äußerlich völlig gefaßt gegenüberzustehen.

„Hier lassen sich nur zwei Momente denken,“ sagte er kalt und schneidend. „Entweder Du bist krank,“ – er griff mit einer beleidigenden Geberde nach der Stirne, – „oder Du bist, was ich längst geahnt, rettungslos in die Schlingen der rothen Flechten dort gefallen; ich glaube das Letztere – zu Deinem Unheil. Wehe Dir, Raoul! Ich kenne diese Frauengattung auch – gottlob, sie ist selten! Von dem brennenden Haar und der weißen Haut geht ein Phosphorlicht aus, wie von den Nixenleibern; sie fachen mit kühlem Athem Flammen an, ohne sie je zu löschen … Geist, aber keine Inbrunst der Seele – blendende Floskeln auf den Lippen, aber nie den holden Wahnsinn der Liebe, die leidenschaftliche Hingebung des Weibes im Herzen! Du wirst schon auf Erden im Fegefeuer brennen – denke an mich! … Sieh, wie Du blaß wirst –“

„Das glaube ich – das Blut stockt mir vor Bestürzung über Deine Sprache! Mein Ohr ist allerdings nicht allzu difficile – leider – aber hier trifft mich jedes Deiner Worte wie ein Schlag in das Gesicht … Muß ich Dich an Dein weißes Haar erinnern? –“

„Bemühe Dich nicht – ich weiß sehr wohl, was ich thue und sage. – Ich habe Dich gewarnt vor der Stiefmutter meines Enkels. Und nun nimm sie an Dein Herz, das nie Verständniß für mein inbrünstig frommes, mein inbrünstig liebendes Kind, meine Valerie, gehabt hat! … Bezüglich Deines neuen Protégé, – ich meine den Burschen im indischen Hause – verliere ich kein Wort – das ist Sache der Kirche. Leib und Seele des Knaben sind ihr specielles Eigenthum – sie wird Dir zu antworten wissen, wenn Du es wagen solltest, ihn zu reclamiren. Preis und Ehre dem Herrn, dem sie dient! Mit seiner Hülfe hat sie noch stets die Widerspenstigen zu ihren Füßen niedergezwungen, die Einzelnen sowohl, wie die Nationen – Du verlierst das Spiel, wie Alle, die sie jetzt anfeinden und ihre Diener zu Märtyrern machen – schließlich bleiben wir oben.“

Er wandte Mainau den Rücken, um zu gehen, aber den Krückstock auf den Boden stampfend, blieb er schon nach dem ersten Schritt stehen.

„Na, Löhn, haben Sie sich noch immer nicht genugsam ausgeruht? Es sitzt sich wohl recht schön auf den seidenbezogenen Stühlen der Herrschaft?“ schalt er.

Die Beschließerin, die in unbeschreiblicher Spannung und völliger Selbstvergessenheit dem Verlaufe der heftigen Scene gefolgt war, sprang tödtlich erschrocken auf.

„Ordnen Sie mir mein Frühstück auf einer Platte,“ befahl er, mit dem Kopf nach dem Tische hinübernickend, „und tragen Sie es mir nach in mein Arbeitszimmer – ich will allein sein.“

Er ging hinaus. Der Stock stampfte das Parquet, und der Schlüsselbund der Beschließerin und das Geschirr auf dem Silberteller, den sie trug, klirrten heftig dazu. In der Seele des Vorangehenden tobte der Ingrimm, und die Frau, die ihm pflichtschuldigst, mit schweigendem Munde folgte, zitterte vor innerem Jubel, aber auch vor „Gift und Galle“ – am liebsten hätte sie ihm seine Chocolade vor die Füße geworfen, „dem gelben Gerippe im Fracke, weil er von dem lieben, reinen Engel da drin so ganz niederträchtige Dinge gesagt hatte.“

In dem Augenblicke, wo die Thür hinter den Hinausgehenden schallend in’s Schloß fiel, kam Liane aus der fernen Fensterecke, wohin sie sich vorhin geflüchtet, auf Mainau zugeflogen – sie ergriff seine Rechte und zog sie an ihre Lippen.

„Was thust Du, Liane?“ rief er, in jäher Ueberraschung die Hand wegziehend. „Du mir?“ – Dann aber ging es wie eine Verklärung über sein Gesicht, und er breitete die Arme aus – die junge Frau schmiegte sich zum ersten Male freiwillig an seine Brust.

Leo stand, die Hände auf dem Rücken verschränkt, ganz blaß vor Ueberraschung; aber so ungenirt er sonst seine Meinung herauspolterte, diesem ungewohnten Anblicke gegenüber blieb er sprachlos. Lächelnd zog ihn die junge Frau zu sich herüber, und er legte, halb in Eifersucht trotzend, halb schmeichelnd die kleinen Arme um ihre Hüfte. Diese drei schönen Menschen bildeten eine Gruppe, wie man sie zur Verkörperung des häuslichen Glückes, der süßesten Eintracht nicht anmuthiger zusammenstellen konnte.

„Ich werde mich doch morgen von Euch Beiden trennen müssen,“ sagte Mainau im Tone der Entmuthigung. „Nach dem Auftritte mit dem Onkel darfst Du nicht hier bleiben, Liane. Ich aber kann Schönwerth nicht verlassen, bevor die offenen Fragen erledigt, die ausgebrochenen Kämpfe geschlichtet sind.“

„Ich bleibe bei Dir, Mainau,“ sagte sie entschieden. Sie wußte ja, daß ihm noch niederschmetternde Enthüllungen unvermeidlich bevorstanden – in diesen schweren Momenten gehörte sie an seine Seite. „Du sprichst von Kämpfen, und ich sollte Dich allein lassen? … Ich kann mich hier genau so isoliren wie in Wolkershausen – dem Hofmarschall brauche ich nie mehr zu begegnen –“

„Einmal noch wirst Du es müssen,“ unterbrach er sie, indem er ihr zärtlich das schwere, wuchtige Haar aus der Stirn strich, „Du hast gehört, er wird heute zu Hofe gehen, und müßte er sich ‚auf allen Vieren hinschleppen‘. Ich gehe aber auch – es ist das letzte Mal, Liane – wirst Du Dich überwinden können, mich zu begleiten, wenn ich Dich herzlich darum bitte?“

„Ich gehe mit Dir, wohin Du willst.“ – Sie sagte das muthig, wenn auch die Flamme eines lebhaften Erschreckens über ihr zartes Gesicht hinflog. Das Herz klopfte ihr doch bang und angstvoll bei dem Gedanken, daß sie noch einmal vor die Frau hintreten sollte, die ihre ergrimmte Feindin war, die Himmel und Erde in Bewegung setzen wollte, um sie aus ihrer Stellung zu verdrängen, ihr das Herz zu entreißen, das sich ihr gestern unter den heiligsten Betheuerungen für immer zu eigen gegeben.




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 269. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_269.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)