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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

„Gottesdienst im Freien“, „Auf dem Hofballe“ (Tanzpause), „Abfahrt König Wilhelm’s zur Armee 19. Juli 1870“. Gegenwärtig beschäftigt ihn ein größeres Bild, „Das Innere der Schmiedewerkstätten zu Königshütte mit den Arbeitern in voller Thätigkeit an den gluthsprühenden Oefen“. Schlechthin unabsehbar und unregistrirbar aber ist die Zahl der vollendetsten Aquarell- und Gouachebilder, der Gedenkblätter, der Radirungen, Lithographien in Kreide, Pinsel und Schabeisen, Transparentgemälde; der Tausende von Zeichnungen, Natur-Studien, welche seine Mappen und Schränke füllen, gar nicht zu gedenken.

Er hat seine Zeit, seine Kunstgenossen und sein Volk, die sich lange abweisend gegen ihn verhielten, „durch seine Kraft bezwungen, in seinem Kreise willig festgebannt“, durch die Kraft des Genies gewiß, aber eben so durch die der Wahrheit und des Gewissens, die sich in ihm jederzeit auf’s Innigste verbanden. Jedes Stück, das er geschaffen, legt dafür Zeugniß ab.

Viel ist dieser große Realist der deutschen Kunst geworden; viel noch mag sie von ihm erwarten. Er bildet in seiner Werkstatt zwar keine Schüler aus, aber es geht doch von ihm eine wohlthätige Zucht des künstlerischen Geistes aus. Das leuchtende Beispiel der Wahrhaftigkeit, der sittlichen Energie in Kunst und Leben, des heiligen Respectes vor der Natur, der vollen Freiheit von Allem, was Phrase, Lüge, falscher Aufputz, täuschende hohle Virtuosität heißt, der vordringenden Arbeit, des unablässigen, sich nie genügenden Fleißes, wie dieser Mann und Meister es giebt, kann nicht ohne segensreichen Einfluß auch auf die weiteren Kreise der Genossen, auf die Kunstanschauung und Kunstübung der Gegenwart bleiben. – Erscheint er auf dem Hof- oder Opernball zwischen den Höchsten dieser Erde, im Salon zwischen schönen Damen und geistreichen Cavalieren, in der Collegen Werkstatt, im Kreise der Jungen wie der Alten, in der Kneipe oder im gastlichen Haus: – Keiner, wie verschieden auch die Meinungen, Richtungen, Lebensalter und ‑Stellungen sein mögen, der Menzel nicht mit einer gewissen der Ehrfurcht sehr nah verwandten Empfindung entgegenträte. Es ist seine von allem pedantischen, gemachten Wesen freie und in ihrer Natürlichkeit so imposante, künstlerische und sittliche Persönlichkeit, welche durch ihr Thun und Sein jene Empfindung ungesucht und unbeabsichtigt erweckt.

L. P.




Von unsern sächsischen Landsleuten im Osten.


Nr. 2. Auch ein verrathener Bruderstamm.


In den Gedenkbüchern des deutschen Volkes findet sich vom Jahre 1870 ab ein recht unerquickliches Blatt, das wir aus Gründen der Versöhnlichkeit gerne herausreißen und vergessen möchten, wenn es nicht Winke und Lehren gäbe, die uns nöthig sind. Das Blatt erzählt von neidvoller Bosheit und gehässiger Schmähung, deren verschiedene Völkerschaften des Auslandes wider den deutsche Namen sich befleißigten, von heimlichen Genickstößen und offenen Beschimpfungen und Mißhandlungen, welche die als friedliche Mitbürger unter diesen Völkerschaften lebenden Deutschen erdulden mußten, weil ihr Vaterland es gewagt hatte, einen feindseligen Bedroher ihrer Existenz niederzuwerfen und wider den Willen desselben zu Eintracht und Macht sich aufzuringen. Die Liste der betreffenden Thatsachen ist groß, und überblickte man sie noch vor Kurzem, so zeigte sie eine so vielseitige Blumenlese des unverständigen Uebelwollens, der Schnödigkeit und Ungerechtigkeit, daß man wirklich glauben durfte, es sei genug des vermessenen Spiels und wir könnten durch Neues aus diesen Windrichtungen eines frevelhaften Nationalhasses nicht mehr überrascht werden. Dennoch befinden wir uns heute in diesem Falle.

Kaum jemals hat Deutschland von bedrängten Volksgenossen des Auslandes einen so tief begründeten, so machtlos aus den Herzen quellenden, so erschütternd in die Seelen greifenden Angst- und Verzweiflungsschrei gehört, wie denjenigen, der soeben aus den fernen Grenzlanden Ungarns in den bewegendsten Tönen unserer Muttersprache zu uns herüberdringt. Und was diesen Nothruf aus weiter Ferne für uns noch ergreifender macht, das ist der Umstand, daß er in schonungsvoller Berücksichtigung unseres eigenen Werdekampfes nicht speciell an uns sich wendet, sondern ein Appell unterdrückter Deutscher an die öffentliche Meinung des gesammten Europas und an das Sittengesetz der richtenden Geschichte ist.

Ungarn ist nach seiner Geschichte und nach der Art seiner Bevölkerung kein Magyarenland. Wenn die Magyaren auch einen großen und hervorragenden Haupt- und Kernstamm der ungarischen Bevölkerung bilden, so besteht die Gesammtmasse dieses Volkes doch aus verschiedenen, zusammen an Seelenzahl den Magyaren überlegenen Nationalitäten, unter denen sich auch beinahe zwei Millionen Deutsch-Ungarn befinden, die notorisch das eigentliche Culturvolk sind. Daß sie das sind, zeigt sich in vielen dortigen Erscheinungen, besonders aber in dem Vorherrschen der deutschen Sprache. Immer mehr und mehr ist sie in Ungarn die Sprache der Bildung, des Handels und Völkerverkehrs geworden, und es lesen und schreiben dort viel mehr Menschen deutsch als ungarisch. Ganz ohne innere Reibungen freilich ist es zwischen den verschiedenen Nationalitäten im Laufe der Zeit nicht immer abgegangen, im Ganzen aber war das Verhältniß ein friedliches; die Völkerschaften lebten ruhig beieinander, weil jede unberührt blieb in ihrer nationalen Sprache, Tracht und Sitte, und sie dabei fast sämmtlich dem gemeinsamen Vaterlande eine treue Anhänglichkeit und Liebe bewahrten. So war es bis zu den preußischen Siegen im Jahre 1866, welche Ungarn unerwartet zu jener selbstständigen Stellung verhalfen, für die es in der Revolution von 1848 unter der warmen Theilnahme der europäischen Völker so mannhaft geblutet, welche in den folgenden Zeiten der Niederwerfung und des Reactionsdruckes das Ziel seines Ringens und seiner heißesten Wünsche geblieben war. Nun war das Ziel erreicht und eine neue Aera des Aufschwunges heraufgezogen, die Früchte aber kamen nicht allen Bewohnern des Landes zu Gute, sondern fielen ausschließlich den Magyaren in den Schooß. In ihre Hände legte der Ausgleich mit Oesterreich die volle Herrschaft über Ungarn. Niemand mißgönnte ihnen das im Anfange; es war auch in der That eine andere Stellung des Verhältnisses kaum denkbar, und das Arrangement enthielt nichts, was nicht zum Segen für das neugebildete Staatswesen hätte führen können, wenn nur die Magyaren neben ihren vielen vortrefflichen Eigenschaften, neben ihrer Energie und ihrem politischen Talent auch jene weise Mäßigung besäßen, jener mitfühlenden Rücksicht auf die Rechte Anderer fähig wären, jener großmüthigen und edlen Gesinnung, welche die Völker oft schon in der Schule des Unglücks für die Tage aufsteigenden Glanzes erworben haben.

Davon aber zeigte das Verhalten der Magyaren während ihrer nunmehr siebenjährigen Staatsführung keine irgend merkbare Spur. Indem sie die Zügel der Regierung ergriffen, ließen sie ihrer selbstsüchtigen Nationaleitelkeit, ihrem bis zur Ueberspanntheit leidenschaftlichen, bis zur Krankhaftigkeit reizbaren Nationalstolze den zügellosesten Lauf. Nicht die wahre Förderung des Landeswohls durch Lösung großer Culturaufgaben, denen vor Allem ihre Aufmerksamkeit sich hätte zuwenden sollen, sondern die Magyarisirung des Landes, die bis zur Exaltation gesteigerte Sucht, Anderen gewaltsam das eigene Volksthum aufzupfropfen, wurde die Richtschnur ihrer inneren Politik und all ihres Planens und Denkens. Und je weniger dieses Unternehmen ein leichtes war, je mehr es rings umher und weit und breit im Umkreise namentlich das überlegene Deutschthum, die deutsche Cultur und Bildung als ein schweres Hinderniß auf seinem Wege fand, um so mehr wuchs die eigenartige und wilde Hartnäckigkeit, vor Allem diesen so stark sich ausprägenden Gegensatz mit nachdrücklicher Kraft hinwegzufegen. Alles, was bisher deutsch gewesen, sollte nun im Sturme magyarisch werden, die Gesetzbücher und Gerichte, die höheren und mittleren Schulen, selbst die Amtssprache der Gemeinden. Ueberall wurden die deutschen Professoren und Beamten vertrieben, überallhin Magyaren oder ihre Lakaien geschickt, gleichviel, ob sie für die Aufgabe befähigt waren oder nicht. Was diesem Treiben widerstand, wurde verdächtigt, verfolgt, untergraben. Das brennende

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 274. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_274.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)