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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

höre. Im December vorigen Jahres legte plötzlich das Ministerium in Pest dem ungarischen Reichstage den Entwurf eines Gesetzes vor, durch welches eine neue Eintheilung und Abrundung der Bezirke und Kreise herbeigeführt werden soll. Das Gesetz ist angeblich im Interesse des Landes und der Verwaltung beantragt und zeigt dem Unkundigen kaum etwas Verfängliches. Sieht man es aber mit einiger Kenntniß der Verhältnisse an, so ist auf den ersten Blick zu erkennen, daß es in der Form einer als nothwendig und nützlich bezeichneten Administrationsmaßregel nichts Geringeres als einen Völkermord bezwecken, gegen die nichtmagyarischen Nationalitäten Ungarns und namentlich gegen das sächsische Gemeinwesen in Siebenbürgen den längst beabsichtigten Todesstreich unter dem Scheine der Gesetzlichkeit vollführen will.

Nachdem man ihnen Jahre hindurch schon einen Mangel an Wohlwollen gezeigt, ihnen quälerisch zugesetzt, allen ihren Klagen und Bitten verletzenden Hohn entgegengesetzt hat, ohne ihre Gesinnung ändern und ihren Willen brechen zu können, will man jetzt durch einfache Zerstückelung ihres Gebietes ihre Gemeinschaft auseinanderreißen und die losgetrennten Theile mit den Bruchstücken ganz ungleichartiger Bezirke in einer Weise zusammenkoppeln, daß die einzelnen Volksfetzen entweder in magyarischen Volksmehrheiten verschwinden, oder in der Zusammengebundenheit mit anderen Nationalitäten allmählich aufgerieben werden. Daß das Gesetz diesen Sinn und keinen andern hat, wird kein irgend ehrlicher magyarischer Politiker zu leugnen wagen. Sollte aber Jemand noch einen Zweifel hegen können, so würde er eines Besseren durch den unscheinbar unter alle anderen Bestimmungen gemischten § 97 des sogenannten Arrondirungsgesetzes belehrt werden, der in trockener Gelassenheit das große Wort spricht: „Ueber das unter Aufsicht und Verwaltung der Siebenbürger Sachsen-Universität stehende gemeinschaftliche Vermögen wird ein besonderes Gesetz verfügen.“ Wir haben oben bereits von diesem Vermögen gesprochen, das bisher ein sorgsam gehütetes, von Geschlecht zu Geschlecht überpflanztes, niemals von einer Regierung angetastetes Kleinod des sächsischen Stammes, sein wohlerworbenes Privateigenthum gewesen und von ihm nur zu den höchsten und edelsten Zwecken verwendet worden ist. Seit wann verfügen Gesetze über die längst als rechtmäßig anerkannten Besitztümer von Personen oder Corporationen? Indem der Magyarismus sich hier das Recht einer etwaigen Confiscation zuspricht, setzt er seiner gewaltthätigen Anmaßung die Krone auf. Was man damit will, liegt ja auf der Hand. Sind diese so beharrlichen Deutschen auseinandergesprengt, da- und dorthin verstreut, und hat man ihnen obendrein auch ihr Geld genommen, so mögen sie zusehen, wie sie ihr Deutschthum und ihre überlegene Cultur ferner aus eigener Kraft erhalten und auf ihre Nachkommen verpflanzen wollen!

Als die erste Nachricht dieser schnell hereingebrochenen Gefahr mit Windeseile nach Siebenbürgen drang, bemächtigte sich ein unbeschreiblicher Schmerz, eine heiße Angst und bittere Entrüstung der in ihren geliebtesten und heiligsten Gütern bedrohten Sachsen. In früheren Schilderungen amerikanischer Sclavenmärkte hat man mit Entsetzen von der fühllosen Grausamkeit gelesen, mit der hier die Familienglieder der unglücklichen Opfer von einander gerissen und ihrer herzzerreißenden Proteste nicht geachtet wurde. Was aber die Magyaren gegenwärtig dem ihnen verhaßten Sachsenvolke anthun wollen, das steht moralisch mit jener Handlungsweise brutaler Seelenverkäufer auf gleicher Stufe. Ihr Angriff ist ein Angriff auf die ersten Natur- und Menschenrechte eines durch Bande des Blutes, der Lebensinteressen und Sitte vereinigten, durch Verdienst und Herkommen geheiligten Familienwesens, das bisher dem Staate niemals einen Anlaß zu Beschwerde, wohl aber an hingebender und aufopfernder Pflichterfüllung stets dem Kaiser gegeben hat, was des Kaisers ist.

Auf jahrelange Kämpfe, auf endlose Nörgeleien und Störungen von Pest aus waren die Sachsen allerdings gefaßt, aber einen so plötzlich herniederfahrenden, so listig ausgesonnenen, gegen ihre Zusammengehörigkeit und auf die völlige Zernichtung ihrer gemeinsamen Culturwerke gerichteten Schlag hatten sie nicht erwartet. Sollten sie fügsam der tödtlichen Gefährdung den Nacken beugen und schweigend das Unerhörteste und Unerträglichste über sich ergehen lassen? Kann denn jede übermüthige Herrscherlaune des Starken ohne Weiteres das unwidersprechlich klare Recht des Schwachen zu einem bloßen Spielball seiner abenteuerlichen Wünsche machen? O nein, das kann er ohne ein Umwerfen der gesetzlich entgegenstehenden Hindernisse gegen die Sachsen in Siebenbürgen nicht. Ihr Recht auf Erhaltung ihrer Nationalität ist ihnen nicht blos durch vollgültige Verträge gewährleistet, seit einem halben Jahrtausend besitzen sie auch in der bereits oben erwähnten sogenannten „Nations-Universität“ einen erwählten Vertretungskörper, eine Art Provincial- oder Communallandtag, der stets bei wichtigen politischen Differenzen sein ehrwürdiges und altbewährtes Ansehen in die Wagschale geworfen und der Stimme der Gemeinden den gesetzlichen Ausdruck gegeben hat.

Wenn jemals, so war jetzt für die vierunddreißig Mitglieder dieses Bezirksparlaments der Augenblick gekommen, wo sie handeln mußten. In einem energischen, aber bescheiden und maßvoll gehaltenen Schreiben an den Minister des Innern, Graf Julius Szapary, erhoben sie am 19. December 1873 mit Gründen belegten Einspruch gegen die beabsichtigte Vergewaltigung. Der Minister erwiderte erst nach einigen Wochen, aber seine Worte waren schneidend und voll kalten und abweisenden Hohnes. In derbem Tone kanzelte er die an ihn ergangene Vorstellung als eine ungehörige herunter, nahm einen verschollenen Wiener Hofukas aus der Zeit der tiefsten Erniedrigung des Magyarenthums in die Hand und sprach der Vertretung der sächsischen Nation unter Berufung auf jene einstmalige Maßregel der Reactionsperiode geradezu das Recht zur Besprechung öffentlicher Angelegenheiten ab, indem er den von der Regierung ernannten Vorsitzenden dafür verantwortlich machte, daß die Nations-Universität durch Verhandlungen „solcher Art“ ihren Wirkungskreis nicht wieder überschreite.

Und nun spielte sich am 16. Februar 1874 im altehrwürdigen Berathungssaale des sächsischen Nationshauses zu Hermannstadt eine erschütternde Scene ab, die als einzig in ihrer Art bezeichnet wurde, seitdem ein Sachsenstamm in diesem Lande besteht. Die Mitglieder der Landesvertretung hatten, der ministeriellen Warnung nicht achtend, von ihrem niemals angetasteten Rechte Gebrauch gemacht und versammelten sich, um ihrer Pflicht gemäß eine Angelegenheit zu berathen, bei der es sich um Leben oder Untergang der von ihnen vertretenen Gemeinschaft handelt. Was konnte ihnen näher liegen und sie tiefer bewegen? Bevor sie aber die Besprechung eröffnen konnten, wurde ihnen jede Verhandlung des Gegenstandes im Namen des Ministers untersagt. Mit geknebeltem Munde mußten sie von dannen ziehen, ihre Versammlung wurde geschlossen, vielleicht auf Nimmerwiedersehen, falls Alles sich nach den Wünschen der magyarischen Deutschenfresser gestalten sollte. Eine Bestürzung und ein Wehklagen ohne Gleichen ging durch die Gemeinden der Sachsen ob solchen unverdienten Fußtrittes der Gewaltigen. Selbst das verfassungsmäßige Recht der Petition und Beschwerde, dieses Grundrecht jeder Dorfgemeinde und jeder einzelnen Person, hatte man ihnen also entzogen, ihnen eigenmächtig das Organ genommen, das bisher ihre Sachen in allen Wirrnissen der Geschichte geführt und vertheidigt hatte. Wahrlich, aus dieser Handlungsweise spricht noch etwas Anderes als eine rücksichtslose, von Haß und Hochmuth eingegebene Politik, es spricht aus ihr die widerwärtige Feigheit eines bösen Gewissens.

Die Abgeordneten der mundtodt gemachten Nations-Universität sind jedoch nicht auseinander gegangen, ohne eine „Verwahrung“ zu erlassen, die ihren Weg in unsere Zeitungen gefunden und bei uns bereits Aufregung hervorgerufen und die Aufmerksamkeit vieler denkenden Patrioten auf den bittern Ernst des außerordentlichen Vorganges gelenkt hat. Um jedoch über jenes Schriftstück und andere über diese Sache verbreitete Mittheilungen eine volle Klarheit zu erlangen, muß man eine ausführliche Darlegung gelesen haben, die unter dem Eindrucke der furchtbaren Verfolgung, aus der Mitte des Sachsenstammes hervorgegangen ist. Es ist dies jener Verzweiflungsschrei, der gegen die heraufdrohende Gewaltthat an die öffentliche Meinung Europas sich wendet und von dem wir am Eingange unseres Artikels gesprochen haben. Unter dem Titel: „Das Erwürgen der deutschen Nationalität in Ungarn“ ist das gewaltige, von Franz von Löher warm bevorwortete Denkschriftchen (in München bei Ackermann) erschienen, und es wäre traurig, wenn es in Deutschland nicht die ihm gebührende Beachtung fände.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 276. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_276.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)