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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Widerlagsflächen anlegte. Dieses Schiff, von Cockerill in Seraing ausgeführt, wiegt über siebentausend Centner, ist hundertfünfzig Fuß lang, achtzehn Fuß hoch, hat eine größte Breite von dreißig Fuß und einen normalen Tiefgang von vier Fuß. Die Seitenwände desselben sind nicht unten zum Kiel hin geschweift, sondern fallen senkrecht ab, bilden also gleiche Deck- und Bodenflächen. Nach beiden Seiten sich, wie ein Weberschiffchen, verjüngend, kann das Sperrschiff, um durch Tiefersinken den Durchgang des Eises zu verwehren, mittelst Stein- oder Wasserlast, die in’s Innere des Schiffes eingelassen und wieder ausgepreßt werden kann, beschwert werden. Ist der Eisandrang vorüber, so wird das Sperrschiff oder Schwimmthor aus seiner Querlage mittelst Winden und Ketten gedreht, so daß es, vom Wasser stromabwärts getrieben, den Canal öffnet und den noch oberhalb desselben anschwimmenden Eismassen den Durchgang gestattet. Ein in der Nähe der Widerlager hergestellter Hafen giebt dann dem Sperrfahrzeuge Schutz bis zum nächsten Winter.

Solche Siege der Technik unserer Tage, welche zur Verminderung menschlicher Leiden und Gefahren beitragen, verdienen Kränze des Dankes von allen Völkern.




Frankreichs schwarzes Cabinet.


Das Auffangen von Correspondenzen und das Erbrechen von der Post anvertrauten Papieren war eine Ueberlieferung des alten Regimes, die schon unter Ludwig dem Elften bestand. Dieser hatte überhaupt den Grundsatz aufgestellt, daß die königlichen Couriere nur solche Briefe befördern dürften, welche die Behörde vorher durchgelesen hätte, um sich zu überzeugen, daß dieselben nichts enthielten, was der Regierung Nachtheil bringen könne. Von einem Monarchen seines Schlages darf das nicht Wunder nehmen.

Als der Cardinal Richelieu den Postendienst, der bis dahin den Universitätsboten reservirt war, den königlichen Courieren zuwandte, hatte er einen Hintergedanken, welcher den Ausspruch Montesquieu’s erklärt: „Die Conspirationen im Staate sind schwieriger geworden, weil seit der Einrichtung der Posten die Privatgeheimnisse ein öffentliches Geheimniß geworden sind.“ Der fromme Cardinal nannte das Oeffnen der Briefe ganz einfach „Das Aufweichen des Siegellacks“.

Ludwig der Vierzehnte vervollkommnete das Werk Richelieu’s, indem er ein politisches Polizeibureau errichtete, das speciell mit der Ueberwachung der Correspondenzen betraut war. Er nannte dasselbe „das geheime Cabinet der Posten“, woraus sich später die Bezeichnung „schwarzes Cabinet“, „cabinet noir“, bildete, welche Benennung sich seit jener Zeit bis auf unsere Tage erhalten hat. Man versteht darunter das in despotisch regierten Staaten mit der Postverwaltung in Verbindung stehende, zu dem Zwecke errichtete Cabinet, durch Erbrechen und geschickte Wiederverschließung der Briefe der Regierung Einblicke in die Geheimnisse der Privatcorrespondenz zu eröffnen. Ludwig’s des Vierzehnten berüchtigter Minister Louvois war die Seele des geheimen Spionir- und Brieferbrechungssystems. Die verschiedenen Abtheilungen des „geheimen Cabinets der Posten“ gingen erblich auf die Glieder derselben Familie über, welche eigens für dieses saubere Geschäft erzogen wurden. Diese geheimen Beamten waren ebenso verschwiegen, wie geschickt. Sobald eine politische Persönlichkeit ihrer Controle unterworfen war, nahmen sie einen Abdruck ihres Siegels, erbrachen und verschlossen deren Briefe mit einer solchen Gewandtheit, daß der betrügerische Verrath selbst nicht geahnt werden konnte. Mit diesem einfachen Mittel spionirte die bourbonische Monarchie nicht nur Frankreich, sondern auch ganz Europa aus. Sie durchbrach alle Mauern und drang bis unter die Dächer; sie durchforschte die stolzesten Paläste wie die elendesten Hütten. Sie entdeckte Alles, geheime Pläne, Complote und diplomatische Intriguen. Prinzen von Geblüt, die höchsten Würdenträger des Staates, Gesandte, Hohe und Geringe unterlagen der Controle des cabinet noir. Das „Ochsenauge“ im „schwarzen Cabinet“ spähete nach der ganzen Welt aus.

Ludwig der Fünfzehnte amüsirte sich mit dieser ungeheuren Spionage. Unter ihm hatte dasselbe jedoch mehr den Zweck, den Schleier vom Privatleben zu ziehen, und ist nicht mit jener politischen Agentur zu verwechseln, deren Zweck die Enthüllung diplomatischer Mysterien war, und als deren Directoren Prinz Conti und Graf Broglie functionirten. Eine Kammerfrau der Marquise Pompadour, Madame du Hausset, erzählt darüber Folgendes in ihren Memoiren: „Der König ließ dem Herzog von Choiseul das Geheimniß der Post, das heißt, den Auszug aus den geöffneten Briefen mittheilen, eine Gunst, deren der Herzog von Argenson, sein Vorgänger im Ministerium, sich niemals erfreut hatte. Choiseul mißbrauchte aber die Bevorzugung und amüsirte seine Freunde durch die Erzählung von launigen Geschichten und Liebesintriguen, die er auf diesem Wege erfahren. Ein halbes Dutzend Beamte im Hôtel der Post nahmen von den Briefen, deren Eröffnung ihnen anbefohlen war, einen Abdruck des Petschafts mit einer Quecksilberkugel, legten das Siegel über einen Becher mit warmem Wasser, bis das Wachs schmolz, öffneten den Brief dann, machten den Auszug und schlossen ihn wieder. Mit den Auszügen kam der Intendant alle Sonntage zum Immediat-Vortrage, ganz wie ein wirklicher Minister.“ Madame du Hausset hat hier Wahres mit Falschem gemengt; der Wasserdampf kann nicht Harz, sondern höchstens Oblaten auflösen, und was das Quecksilber anlangt, so ist eine Mischung aus Quecksilber und Silber gemeint, die sehr geschmeidig ist, schnell hart wird und einen Druck so klar wiedergiebt, daß sie ganz gut als Petschaft gebraucht werden kann. Seither hat die Entdeckung neuer Metalle diesem letzteren Theile des Geschäfts eine große Ausbildung gegeben, und Chemiker ersten Ranges haben es unter der Restauration, wo überhaupt das „schwarze Cabinet“ in der höchsten Blüthe stand, nicht verschmäht, die Kunst der „Siegelerweichung“ zu einer so hohen Vollendung zu bringen, daß dadurch auch der Mißtrauischste getäuscht werden kann.

Ludwig der Sechszehnte wollte in seiner Ehrenhaftigkeit dem Scandale, der den beliebtesten Zeitvertreib seines Vorgängers gebildet hatte, ein Ende machen und erklärte in einem Decrete vom 18. August 1775 „die geheime Correspondenz der Bürger für ein Heiligthum, das sich den Blicken der Gerichte wie der Privatpersonen entziehen müsse“.

Allein man wußte den schwachen König sehr bald zu überreden, daß die Staatsklugheit die Wahrung des Briefgeheimnisses nicht gestatte, und bald war das schwarze Cabinet wieder so thätig wie zuvor. In den Cahiers, welche die Wähler ihren Repräsentanten für die Generalstände 1789 mitgaben, spielte das stürmische Verlangen nach Beseitigung der Beschwerden über Verletzung des Briefgeheimnisses und nach strenger Bestrafung jedes Postbeamten, der sich dazu hergebe, Briefe zu öffnen, eine Hauptrolle. Allein schon in der Sitzung vom 25. Juli 1789 hatte Robespierre, der bekanntlich seine Ansicht wechselte, wie es ihm paßte, Mirabeau entgegnet: „Gewiß sind die Briefe unverletzlich; aber wenn eine ganze Nation in Gefahr schwebt, wenn man sich gegen ihre Freiheit verschwört, dann wird, was sonst ein Verbrechen ist, zur lobenswerthen Handlung. Schonung der Verschwörer ist Verrath am Volke.“

Am 8. Juli 1790 strich die Nationalversammlung auf Biron’s Bericht die Fonds für die Spionirdienste des schwarzen Cabinets, und am 22. August ward beschlossen, daß die Administratoren und Beamten der Post in die Hände der Richter den feierlichen Eid abzulegen hätten, für die gesammte Correspondenz des Königreichs die dem Briefgeheimnisse schuldige Achtung zu bewahren und durch alle in ihrer Macht befindlichen Mittel zur Geltung zu bringen. Trotzdem wurden fast um dieselbe Zeit, in welcher die Emigranten allseitig gegen die Nation conspirirten, die Depeschen des Grafen von Artois an Herrn von Castelnau, den französischen Minister zu Genf, confiscirt. Ein Deputirter der Constituante verlangte, daß alle seit dem Beginne der Unruhen in Paris aufgefangenen Briefe in einem sichern Depot zu verwahren seien, um der Nationalversammlung vorgelegt zu werden, wenn diese es passend finden werde; aber Mirabeau erhob sich gegen den Antrag.

„Paßt es für ein Volk, das frei werden will,“ ruft er in die Nationalversammlung hinein, „Maximen und Proceduren

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 288. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_288.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)