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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

vor einem vollblühenden Orangenbaume und zupfte hastig an den Blüthen, als gönne sie diesen schönbelaubten Zweigen nicht, auch nur eine einzige Frucht zu tragen. … Sie war still geworden; kein Laut kam von ihren Lippen, in dem nervösen Spiele der Hände aber lag etwas wie unterdrückte Verzweiflung, und da kam ihm doch eine Regung von Bedauern.

„Ich möchte, ich könnte alle Tollheiten meines Lebens ungeschehen machen,“ sagte er weiter; „es ist da so Vieles, dessen ich mich schämen muß, weil es gegen Edelmuth und Rittersinn verstößt. … Meine innerste Natur werde ich freilich nicht ändern. Ich hasse, die mich hassen, und ‚die Milch der frommen Denkungsart‘ wird mir nie die Pulse sänftigen, aber deswegen bereue ich doch, wo ich zu wild in der Rache gewesen bin. … Hoheit, ich wünsche lebhaft, daß auch da Ruhe und Glück einziehen möchten, wo ich einst Fluch und Unheil herabzubeschwören gesucht habe.“

Die Herzogin fuhr mit einem total veränderten Gesicht herum. „Ei, wer sagt Ihnen denn, mein Herr von Mainau, daß ich nicht glücklich bin?“ fragte sie den Baron mit höhnischer, kalter Stimme. Sie reckte ihre üppige Gestalt empor und sah plötzlich aus, als stehe sie vor dem Thronsessel und ertheile einem Untergebenen Audienz. Die Herrscherhaltung gelang, nicht aber der Herrscherblick; aus den schwarzen Augen brach das furienhaft wilde Feuer des tiefgereizten Weibes. „Glücklich? Ich bin es! Ich darf meinen Fuß auf den Nacken Derer setzen, die ich glühend hasse, denn ich habe die Macht. Ich kann vernichtend da eingreifen, wo man den Traum von Glück und Seligkeit träumt, denn ich habe die Macht.Mächtig sein, heißt glücklich sein für den stolzen, ehrgeizigen Frauengeist. Merken Sie sich das, Freiherr von Mainau! Ihr frommer Wunsch war vollkommen überflüssig, wie Sie sich sagen werden.“

Sie schritt nach dem Ausgange; aber an der Schwelle blieb sie stehen, und durch die lange Reihe der offenen Thüren zeigend, wandte sie den Kopf über die Schulter zurück. „Da kommt sie, mild und bleich wie eine kühle Mondnacht,“ sagte sie, und ihre kleinen, weißen Zähne blitzten unter der im diabolischen Lächeln hoch emporgezogenen Oberlippe. „Wahrhaftig, Baron Mainau, Sie sind zu beneiden. … Aber Eines möchte ich Ihnen rathen: Gehen Sie nicht nach Franken! Sicilien ohngefähr möchte die Temperatur haben, in der sich das Anfrösteln von so viel strenger Tugend und selbstbewußter Weiblichkeit ertragen läßt.“

Liane kam an der Seite eines Kammerherrn, mit welchem sie die Polonaise getanzt, langsam wandelnd daher. Die Herzogin verließ den Wintergarten, während Mainau auf die Schwelle desselben trat, um seine Frau zu erwarten. An der gegenüberliegenden Thür blieb das näherkommende Paar stehen, um die rasch, mit hochgehobenem Kopfe und stolzem Nacken heranschreitende Herzogin vorüber zu lassen; aber dicht vor der jungen Frau blieb sie stehen.

„Liebe Frau von Mainau,“ sagte sie mit etwas belegter, aber vollkommen fester Stimme, „man wird Sie uns entführen. … Sie sind in der That berufen, Mann und Haus mit ‚linden und doch starken Armen‘ zu umfassen. Halten Sie fest, damit Ihnen das Phantom nicht dennoch entschlüpft in dem Augenblicke, wo Sie es am sichersten zu umschließen wähnen! Der Schmetterling muß fliegen – es ist seine Lebensbedingung. … Und nun Glück auf den Weg, schöne Braut!“ Mit leichter Grazie hob sie ihre weißen Arme, und die krampfhaft geballten Hände öffnend, ließ sie einen Regen zerdrückter, fast unkenntlich gewordener Orangenblüthen über Schultern und Arme der jungen Frau niederrieseln.

Sie nahm den Fächer wieder auf. „Herr von Lieven, ich wünsche den nächsten Galopp mit dem Grafen Brandau zu tanzen,“ wandte sie sich mit lauter, voller Stimme an den Kammerherrn.

Er flog davon, um den schönen, schlanken Lieutenant zum Tanz mit Ihrer Hoheit „zu befehlen“. Leicht mit dem Fächer grüßend, rauschte die fürstliche Dame an der sich verneigenden jungen Frau vorüber und begab sich in den Concertsaal zurück.

„Der Schmetterling fliegt nicht mehr – sei ruhig!“ sagte Mainau heiter lächelnd, indem er Liane über die Schwelle des Wintergartens an sich heranzog und sie mit leidenschaftlicher Zärtlichkeit an seine Brust drückte. „Er ist überhaupt nie Schmetterling aus wirklicher Neigung gewesen, und hätte er seine Liane gleich gefunden, so brauchte er jetzt nicht so viel tolle, verzweifelte Streiche zu bereuen.“

Sie wand sich scheu und schweigend aus seinen Armen und deutete nach dem anstoßenden Salon zurück; sie hatte die beiden Herren in der Ecke sitzen sehen; jetzt hörte sie, wie sie aufstanden und der Herzogin in den Saal folgten.

„Ach, da sind Sie ja – wo haben Sie denn gesteckt, Herr Hofmarschall?“ fragte die stolze Fürstin; Graf Brandau stand vor ihr und beugte seine hohe Gestalt fast bis zur Erde, während der Hofmarschall sichtlich beklommen in ihre Nähe trat. „Man hört ja wunderliche Dinge. Baron Mainau will nach Franken übersiedeln; werden Sie mitgehen?“

Der Hofmarschall prallte vor Entsetzen zurück. „Ich, Hoheit?“ rief er mit alterirter Stimme. „Eher in die Gruft! Eher will ich von Haus zu Haus betteln gehen, als auch nur noch einen Tag im Zusammenleben mit meinem – entarteten Neffen verbringen! … Ich bleibe in meinem Schönwerth, und wenn Euer Hoheit dann und wann einen Sonnenstrahl der Huld und Gnade in das einsame Leben eines alten, treuen Dieners werfen wollen, indem Sie Schönwerth nach wie vor als Ziel der Spazierritte wählen –“

„Herr von Mainau,“ unterbrach sie ihn frostig mit harter Stimme, wobei sie ihre Hand auf den Arm des Grafen Brandau legte, „ich höre, der Sturm hat heute Nacht Ihre prächtige Musa umgebrochen – sie war es ja hauptsächlich, wie Sie sich erinnern werden, die mich immer wieder in das Thal von Kaschmir gezogen hat – vorüber, vorüber! … Zudem muß ich Ihnen gestehen, daß ich bis zu dieser Stunde das Grauen nicht los werde in der Erinnerung an die gräßliche Pulvergeschichte, durch welche der Erbprinz und sein Bruder um ein Haar auf Ihrem Grund und Boden verunglückt wären. Sie werden begreifen, daß Jahre vergehen müssen, ehe ein Mutterherz solche Schrecknisse überwindet.“

Von der Tribüne erbrauste ein feuriger Galopp, und die schöne Herzogin flog, nach einem hochmüthigen Kopfneigen gegen den vernichteten Höfling, im Arm ihres Tänzers dahin – „seltsam wild und aufgeregt“, wie sich einige alte, scandalsüchtige Damen in das Ohr zischelten. Der Hofmarschall aber sah ihr mit aschbleichem Gesichte und schlotternden Knieen einen Augenblick wie versteinert nach. Unfaßlich, unerhört! … Erhoben sich nicht die stolzen Vorfahren in der Ahnengruft und stießen mit den Händen nach ihm? That sich nicht die Erde auf, um ihn, den Unseligen, den Gebrandmarkten, zu verschlingen? Er war in Ungnade gefallen, er, der Leib und Seele dem Bösen verschrieben hätte, um nur nie ein solches Unglück zu erleben! Und da war es, ohne sein Verschulden, und hing wie eine schwarze Wetterwolke über seinem Haupte! Und nach zehn Minuten kreiste „die köstliche, die unbezahlbare Neuigkeit“ auf den Lippen der Neider und Mißgünstigen, und hundert Augen und Finger richteten sich schadenfroh auf den gestürzten Hofmarschall; er verschwand aus dem Saale.

Bald nach dem Glaswagen des Hofmarschalls fuhr auch die Equipage mit den Apfelschimmeln am Portale des herzoglichen Schlosses vor.

„Meine Mission ist erfüllt – nun darf ich die Braut heimführen,“ flüsterte Mainau Liane zu, indem er sie in den Wagen hob.




26.


Er saß wieder droben und lenkte das Gespann, und sie lehnte in der Wagenecke; aber nicht, wie damals, als unscheinbare, graue Nonne mit der Kälte und Resignation im Herzen – über die weißen Atlaspolster breitete sich das kostbare, einst verschmähte Brautkleid; aus dem Haare zuckte der grünfunkelnde Strahl der Smaragden, und die schönen, klugen Augen der jungen Frau verfolgten aufglänzend jede Bewegung der prächtigen Männergestalt, der gegenüber sie den Widerstand des verletzten Stolzes, der kalten, strengen, trotzigen Zurückhaltung nun so vollständig aufgegeben.

Es war eine warme, lautlose Mondnacht, durch die sie fuhren. Das bleiche Nachtgestirn schwebte droben, eine über das dunkle Blau hingerollte Silberkugel; aber zwischen Himmel und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 301. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_301.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)