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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Mäßigkeit, Ehrlichkeit, christliche Liebe und Verträglichkeit, so findet man darin nur zu gern boshafte Anspielungen. Der Wirth, der Jagdgehülfe, der Krämer und andere Honoratioren mit ihren Gattinnen oder Liebchen fühlen sich leicht getroffen, und zuletzt zieht man gar noch Vergleiche zwischen den Worten und den Thaten des Predigers selbst. Also keine Moral! Nach der „Donauzeitung“ ist das altbairische Volk ohnedem das beste und edelste in der Welt, und es hieße also Eulen nach Athen tragen, wenn man von der Kanzel herunter Tugenden predigen wollte, die es theils nicht braucht, theils schon hat.

Unter den Bogen des Umgangs sieht der aufmerksame Beschauer auf dem Bilde auch zwei tragbare Beichtstühle, die an solchen Tagen, um im Innern der Kirche Raum zu schaffen, in’s Freie gestellt werden, so daß sich die Gläubigen ihrer Sünden in der kühlen Morgenluft, im Angesicht der grünen Alpen poetisch entleeren können. Die Ohrenbeichte soll übrigens für ältere Leute ganz unschädlich sein, was ficht ein altes Mütterchen einen alten Capuziner an! Unter den jungen Leuten ist’s aber nicht immer geheuer. Man sagt manchen jungen Caplänen nach, daß sie den blühenden Mädchen aus ihren reichen Erfahrungen manche anziehende, wenn auch nicht nothwendige Eröffnung machen, so daß die katholischen Mütter sich oft verabreden, ihre Töchter nicht in den Beichtstuhl zu lassen, bis sie verheirathet sind.

Rechts im Hintergrunde erscheint ein weichendes Paar, das erste, das Reißaus nimmt. Es wird ein Landmann und seine Frau sein, welche, im Beichtstuhle eben entsündigt, nun auch einer leiblichen Erfrischung nachgehen. Sie werden nicht weit zu wandern haben, denn das Wirthshaus liegt in erfreulicher Nähe. Es ist ein altes Sprüchwort: „Wo der liebe Gott eine Kirche entstehen läßt, setzt der Teufel ein Wirthshaus daneben“, allein dieser Spruch ist allzusehr pessimistisch und stimmt nicht zu den thatsächlichen Verhältnissen. Eher ließe sich sagen:

„Kirche und Wirthshaus sind innig verwandt,
Es knüpfet sie Beide ein himmlisches Band.“

Denn hätten die Wallfahrer nicht auch die Erquickung, die ihnen nach der Andacht das Wirthshaus bietet, im Auge, so kämen sie nicht so zahlreich zur Kirche, und kämen sie nicht so zahlreich zur Kirche, so fielen sie auch nicht so zahlreich in’s Wirthshaus ein. Dort aber gehen ihnen nach dem morgendlichen Gottesdienste die schönsten Stunden auf. Alle miteinander, die Väter, die Söhne, die Töchter, sie sitzen – ein fröhlicher Anblick – im schönsten Feiertagsgewande und in rosigster Laune beim Humpen und sprechen mit alpenhaftem Appetite den Würsteln, ja, heute sogar den Schweinshaxeln zu, die die gute Wirthin für diesen Tag hat reichlich vorbereiten lassen. Dabei geht ein heiteres Geplauder durch die Halle, und später kommt es wohl auch zu Gesang und Tanz. Da weitaus die Mehrzahl der Wallfahrer in der Nähe zu Hause ist, so zerstreut sich die Menge gegen Abend und wallt in munterem Zuge der Heimath zu, wo sie sich in süßen Erinnerungen schlafen legt, während an den großen Wunderstätten, wie zu Altenötting oder Deggendorf, wo die Wallfahrer aus größeren Fernen kommen und daher über Nacht zu bleiben pflegen, die Gensdarmerie all ihren Witz aufbieten muß, daß der christliche Gnadenort am späten Abende nicht zu einem heidnischen Paphos oder anderen cyprischen Heiligthume werde.




Zur Naturgeschichte des deutschen Komödianten.


5. Theaterdiener und Theaterfriseur.


Im sogenannten technischen Personale der deutschen Schaubühne findet man zuweilen Persönlichkeiten von urkomischer Wirkung, die dem Gedächtniß, hat man sie im Leben nur einmal gesehen, unverwischbar sind. Fast Alle, die zu diesem Genre gehörten und die ich auf meiner langen Bühnenlaufbahn Gelegenheit hatte zu beobachten, deckt längst die gute Mutter Erde. Einige von ihnen verdienen ihrer Originalität wegen der Vergessenheit entrissen zu werden.

Als Knabe ward mir unter des berühmten Ludwig Devrient Zeiten Gelegenheit, bei der königlichen Bühne zu Berlin einen Mann kennen zu lernen, dessen originelles Thun und Treiben in seinem Amte als Theaterdiener mir unvergeßlich ist. Jeder, der dem königlichen Theater irgend wie nahe stand, wird sich des alten würdigen Zeger, vom Damenpersonal der königlichen Bühne kurzweg „Zegerchen“ genannt, wohl noch erinnern. Zu jener Zeit war Zeger schon ein hochbetagter Mann, der eine höchst interessante Vergangenheit hinter sich hatte. Seine subalterne Stellung bei der Bühne wußte er durch eine nicht nachzuahmende Würde und Wichtigthuerei Leuten gegenüber, die mit Gesuchen zum Generalintendanten kamen, zu bemänteln, doch behandelte er Niemanden unhöflich oder gar grob, im Gegentheil, sofort schnallte er diesen gegenüber die Protectionsmiene vor und that so, als ob er allein der Mann sei, der ihre Wünsche erfüllen könne. „Das wollen wir schon’s machen, mein lieber Mann. Ich und der Herr Generalintendant werden uns die Sache überlegen. Kommen Sie man morgen wieder!“

Nie sah man Zeger vor seinem Chef oder sonstigen Vorgesetzten kriechen oder Klatschereien hinterbringen. Der Alte ging seinen geraden Weg, doch lag in seiner Art zu reden eine gewisse Vertraulichkeit, die nicht den mindesten Schein von vorlautem Wesen an sich trug. Mich zeichnete der alte Zeger ganz besonders vor anderen Knaben meines Alters aus; ich war sein kleiner Protégé. Diese seine Vorliebe für mich brachte mich sehr oft mit ihm in Berührung. Durch kleine Dienstleistungen, die ich dem guten Alten herzlich gern that, erwarb ich mir immer mehr und mehr seine Gunst. Wo es etwas Besonderes gab, trieb ich mich im Opern- wie im Schauspielhause umher, und so sammelte sich Manches in meinem Raritätenkästlein, Gedächtniß genannt, von dem ich dann und wann etwas auskrame, um damit Andere zu erfreuen.

Es war mir gestattet mich mitunter im Vorzimmer des Generalintendanten, damals Graf von Röder, blicken zu lassen, um hin und wieder dem alten Zeger, der Vormittags darin Dienst hatte, einen Gang abzunehmen; stets empfing er mich dann mit den Worten: „Na, sackerlotscher Junge, bist Du da? Des is mir lieb, deß Du gekommen bist. Sollst für mich wohin gehen. Kann jetzt hier nich fort. Ich und der Chef müssen immer bei der Hand sind, sonst geht hier alles drunter und drüber. Da nimm die Rolle! Es ist die Lady Macbethen; trage sie zu Frau Krelingern! Sie soll mir den einzigen Gefallen thun und übermorgen die Macbethen spielen, denn wird geändert, nimmt das Gerenne und Gelofe für mich keen Ende;“ und damit schob er mich zur Thüre hinaus, der ich vor Stolz und Freude außer mir war, mit Frau Krelinger sprechen zu können, und mit der Rolle nach der Charlottenstraße Nr. 73 rannte. Wirklich hatte ich das Glück, die berühmte Tragödin persönlich zu sprechen und ihr die Rolle der Lady Macbeth zu übergeben, die sie versprach übermorgen zu spielen. Diese Nachricht überbrachte ich denn sofort triumphirend dem alten Zeger, der schmunzelnd zu mir sagte: „Siehst Du wohl, mein Jüngken, was Keener fertig kriegt, kriege ich fertig. Die Krelingern hat nich spielen wollen, hat es dem Chef rund abgeschlagen – nu spielt sie doch.“ Dabei steckte er mir als Botenlohn ein Galeriebillet zu der Abendvorstellung in die Hand.

Ich hatte die Erlaubniß, mich im Schauspiel wie in der Oper als Pagen oder sonstiges stummes Gesindel verwenden zu lassen, wozu auch die Affen in der Zauberflöte gehörten. Für solche Dienste gab es allabendlich zwei Groschen, die der Inspicient oder Statistengeneral, wie wir Jungens ihn nannten, Herr von Michelis, auszuzahlen hatte. Dieser Herr verdient, daß seiner hier vorübergehend gedacht wird. Herr von Michelis spielte, so lange er der königlichen Bühne angehörte, nur eine Rolle, den Samiel im Freischütz. Die hoffnungsvollen Herren Söhne des Herrn von Michelis, die sich auch, um Statisten zu machen, auf der Bühne umhertrieben, besangen den Herrn Papa folgendermaßen:

„Mein Vater soll auf Erden
Nichts mehr als Teufel werden.“

War im Opern- oder Schauspielhause eine Generalprobe, so sah man den alten Zeger, das schwarze Sammetkäppchen schief auf dem beschneiten Haupte, im ersten Coulissenflügel stehen, den Oberregisseur Stavinsky, der neben dem Souffleurkasten in einem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 306. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_306.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)