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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Die flüchtigen Füße der jungen Frau berührten kaum den Boden. Desto unheimlicher klang das schwere Rauschen des starren Schleppsaumes in die athemlose Nachtstille hinein. … Beim Betreten des dunklen Laubganges, des Lieblingsaufenthaltes der Affen und Papageien, hemmte sie zusammenfahrend ihre Schritte; kein Rauschen der Thiere in den Zweigen, wohl aber das Knirschen des Kieses unter einem starken Fußtritte hatte ihr Ohr berührt.

„Wer ist hier?“ fragte sie, vorsichtig nach dem Ausgange zurückweichend.

„Der Jäger Dammer, gnädige Frau,“ meldete eine hörbar verlegene Stimme.

Sie athmete befreit auf und ging weiter, während der junge Mann eilig vor ihr herschritt und sich, ehrerbietig grüßend, am jenseitigen Ausgange postirte. Ein Blick zur Seite machte ihr draußen sofort klar, was den Jäger hierhergeführt hatte – das purpurrothe Gesicht auf die Brust gesenkt, stand eines der hübschen Hausmädchen da und knixte – es handelte sich um ein Rendezvous zwischen zwei jungen Leuten, welche die Versetzung des Burschen für längere Zeit getrennt hatte. War es doch, als sei Liane ein Alp von der Brust genommen durch die Gewißheit, daß Menschen in der Nähe seien.

Die Thür des indischen Hauses war verschlossen. Hinter den Fenstern hingen die steifen Matten, und die zerbrochenen Glasscheiben der Thür waren einstweilen durch Bretter ersetzt. Auf Lianens leises Klopfen wurde mit vorsichtiger Hand eine der Matten ein wenig seitwärts geschoben. Gleich darauf öffnete sich geräuschlos die Thür.

„Wäre der Schwarze gekommen, er hätte nicht hereingedurft,“ flüsterte Frau Löhn, indem sie den Riegel wieder vorschob.

Ueber die Todte auf dem Ruhebette war ein weißes Leinentuch gebreitet, und in einem Lehnstuhle lag Gabriel erschöpft in tiefem Schlafe. Die Beschließerin hatte eine wärmende Decke über ihn gelegt, dessen abgehärmtes Antlitz sich todtenhaft von dem dunklen Polster abhob. Unruhig flackerte der Lichtschein darüber hin, den ein vielarmiger, mit Wachskerzen besteckter Silberleuchter verbreitete.

„Auch ein Rest aus der alten Zeit, den ich vor dem geizigen alten Manne drüben im Schlosse gerettet habe,“ sagte die Beschließerin, auf den prachtvollen Leuchter zeigend; „das arme Ding da ist mehr als jede Andere Schloßfrau gewesen, und da soll sie nun auch die letzten Ehren haben.“

Mit sanfter Hand schlug sie das Leichentuch zurück. Das Herz der armen Lotosblume schlug nicht mehr, und doch sah es aus, als hebe sich die schöne frische Seerose auf ihrer Brust noch unter gleichmäßigen Athemzügen. Auch über das Kleid und das Kopfkissen der Todten lagen die weißen Wasserblüthen hingestreut.

„Gabriel hat sie gebracht,“ sagte Frau Löhn „es waren ihre liebsten Blumen, und der arme Teufel hat manchen Schlag vom Schloßgärtner gekriegt, wenn sie ihn am Teiche ‚beim Holen‘ erwischt haben.“

Bei diesen Worten hob sie sanft das Köpfchen vom Kissen, während Liane mit bebenden Händen die Kette darüber streifte; ebenso leicht ließ sich das kleine silberne Buch aus den erkalteten Fingern lösen; sie leisteten nicht den geringsten Widerstand mehr. … Die junge Frau legte die Kette um den Nacken und steckte das verhängnißvolle Schmuckstück in den Busen.

„Morgen!“ sagte sie mit halb erstickter Stimme zu Frau Löhn und ging hinaus. Eine namenlose Beklemmung, das unerklärliche Gefühl, als habe sie mit dem kältenden Silber auf der Brust ihren eigenen Untergang auf sich genommen, machte ihr den Herzschlag stocken. … Umsonst ließ sie ihre Blicke von der Veranda aus über das von Rosengebüsch begrenzte Terrain hinschweifen; umsonst lauschte sie mit zurückgehaltenem Athem auf irgend ein Zeichen, daß ein menschliches Wesen in ihrer Nähe sei. Der Jäger und sein Mädchen hatten jedenfalls, durch ihr Erscheinen erschreckt, den Garten verlassen. Sie schauerte in sich zusammen bei dem Versuche, die Verandastufen hinabzusteigen und weiter zu gehen, und dennoch schämte sie sich, die Frau, die hinter ihr die Thür wieder verriegelt hatte, abermals herauszuklopfen und um ihre Begleitung zu bitten. Und zögern durfte sie nicht mehr; jede Secunde Zeit, die den unnatürlichen Kampf verlängerte, welchen Mainau und sein Kind kämpfen mußte, hatte sie zu verantworten.

Sie flog die Stufen hinab durch das Rosengebüsch – da – da stand das Entsetzliche, dessen Nähe sie gefühlt hatte, wie der Vogel die seines Todfeindes – da stand die schwarze Gestalt mit aschbleichen, verwüsteten Zügen, und der geschorene Fleck inmitten der dunkellockigen Haarmassen dämmerte gespenstig, als die unheimliche Erscheinung feierlich grüßend das Haupt neigte.

Im ersten Augenblicke machte der Schrecken der jungen Frau das Blut gerinnen, dann aber wallte ein Gefühl der Erbitterung, des Zürnens in ihr auf, wie sie nie solches vorher empfunden. Und dieses Gefühl siegte; es machte sie hart, schonungslos. … Ihr Kleid mit einer ausdrucksvollen Geberde an sich heranziehend, als dürfte nicht einmal sein Saum den ihren Weg kreuzenden Mann streifen, wich sie aus und wollte weiter gehen, ohne seinen Gruß zu beachten; aber er vertrat ihr auf’s Neue den Weg, er wagte sogar seine Hand auf ihren entblößten Arm zu legen, um sie zurückzuhalten; sie erblich bis in die Lippen bei der Berührung. Die Hand mit einer kraftvollen Bewegung von sich schleudernd, nahm sie stumm den kostbaren Spitzenärmel, der von ihrer Schulter niederhing, und strich mit dem Gewebe wiederholt über die Stelle, die seine Finger berührt hatten.

„Erbarmungslose!“ stieß er hervor. „Sie kommen von einer Sterbenden –“

„Von einer Todten, Herr Hofprediger, von Einer, die im Heidenthume gestorben ist, und deshalb, wie wir Christen sagen, gestorben ist an Leib und Seele. Ob Gott wirklich die Menschenseelen nur annimmt aus der Hand der Priester, mag sie auch fälschen und vor Nichts zurückschrecken, was die Geister als Schemel unter die Füße der Priestermacht zu werfen vermag? Sie müssen es ja wissen. … Gehen Sie mir aus dem Wege, Herr!“ gebot sie stolz und heftig. „Den echten Predigern des Christenthumes unterwerfe ich mich in Ehrfurcht – und, Gott sei Dank, wir haben deren noch! Sie aber haben mich selbst in Ihre verwerflichen Karten sehen lassen; nicht eine Spur von Weihe liegt auf Ihrer Stirn, und deßhalb wundere ich mich auch nicht über Theaterphrasen, wie ich sie eben gehört, aus Ihrem geistlichen Munde. Lassen Sie mich vorüber!“

„Wozu diese Eile?“ fragte er hohnvoll, aber doch im Tone heftiger innerer Bewegung. „Sie kommen noch rechtzeitig genug, um zu sehen, wie sich der unheilbare Bruch zwischen Onkel und Neffen vollzieht, wie der interessante Herr von Mainau alle alten Bande und Beziehungen von sich wirft, um – ausschließlich Ihnen zu gehören!“ – Er hatte also wieder draußen unter den Säulen vor der Glasthüre gestanden und dem Streite gelauscht; er war ihr dann gefolgt, wie in jener ersten Nacht. In diesem Augenblicke gelang es ihr, an ihm vorüberzukommen – sie betrat nothgedrungen den Uferrasen des Teiches, weil er auch jetzt schon wieder neben ihr herging. „Ja, Ihnen ausschließlich, gnädige Frau!“ wiederholte er beißend. „Ihre gestrige Drohung, zu gehen, hat ihn ohne Zweifel zu Ihren Füßen geführt – wie und wann? – ich gäbe ein Glied meines Körpers d’rum, wenn ich das wüßte. … Aber ich sah heute Abend im Concertsaale diesen Triumph auf Ihrem schönen Gesichte glänzen – Sie sind stolz darauf – wie lange? … ‚Der Schmetterling muß fliegen!‘ sagte die Herzogin – er muß fliegen, der strahlende Falter, damit die Welt das schillernde Farbenspiel seines originellen Wesens bewundern kann, sage auch ich. Ein Jahr des geträumten, stolzen Glückes gebe ich Ihnen – nicht einen Tag länger.“

„Nun gut“, versetzte sie mit aufstrahlenden Augen den Kopf zurückwerfend – im unwillkürlichen, fortgesetzten Ausweichen vor der andrängenden Gestalt des Geistlichen war sie allmählich dicht an den Rand des Ufers getreten – da blieb sie stehen, die Hände inbrünstig über der Brust verschränkt, und auf dem mondbeglänzten, lieblichen Antlitze lag ein Ausdruck von Verzückung. „Ein einzig Jahr denn! Aber ein Jahr von unaussprechlichen Glückes! Ich liebe ihn, ich liebe ihn bis in alle Ewigkeit, und nehme dieses eine Jahr der Gegenliebe dankbar aus seinen Händen.“

Ein halbunterdrückter Schrei, wie ihn nur Wuth und Verzweiflung ausstoßen können, rang sich aus der Brust des Mannes.

„Sie belügen sich selbst,“ stieß er hervor, „um das Gefühl des gesättigten Trachenberg’schen Stolzes darüber zu beschönigen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 316. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_316.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)