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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

auf die Statue des Comthur. Zur Beantwortung ihrer Inschrift, darin es heißt:

Für erlittnen Schimpf und Spott
Harrt ein Edler hier auf Rache.
Den Verräther strafe Gott!

lädt er den steinernen Gast zum Abendessen ein. Das Steinbild hält Wort. Der todtblasse Diener forscht es aus über die Geheimnisse des Jenseits. Der unerschrockene Don Juan verspricht ihm, morgen in die Capelle zum Nachtmahl zu kommen. Als er, den überkommenen Schauer durch Spott besiegend, der abgehenden Statue leuchten will, ruft diese ihm zu:

„Laß das! Mich erleuchtet Gott.“

Don Juan soll inzwischen auf Befehl des Königs mit der verlassenen Isabella verheirathet werden. Er willigt darein, will aber cavaliermäßig, dem Flehen seines Dieners zum Trotze, erst der Statue das gegebene Wort einlösen. Das Gastmahl in der Capelle beginnt. Unsichtbare Chöre intoniren den Gesang des dies irae; Scorpionen und Schlangen werden als Speise aufgetragen; essigsaure Galle dient als Wein; der Galgenhumor der Gäste liefert die Würze. Nach aufgehobener Tafel tritt der steinerne Gastgeber zu Don Juan, streckt die eisige Rechte aus und ruft: „Jetzt reiche mir die Hand!“

„Weh, ich brenne!“ schreit Don Juan, „Gluth und Flammen verzehren mich.“

„Noch kein Vergleich mit Deinen künftigen Qualen,“ replicirt die Statue.

Im Muthe der Verzweiflung greift Don Juan sie mit dem Dolche an und muß sehen, daß die Waffe ihr nichts anhat, daß er in Luft und Hauch hinein stößt. Da ruft er gebrochen nach einem Beichtiger.

„Allzu spät ist dieses Verlangen,“ spricht der Bewohner des Jenseits und versinkt mit ihm in die flammende Tiefe. Die Capelle brennt; Catalinon, der Diener, aber kriecht, wie es im Texte des Stückes heißt, auf allen Vieren nach vorn. Der Verfasser des Mozart’schen Don Juan-Textes hat dem großen Sünder die letzte kleine Schwäche erspart. Ohne Beichtruf, ohne Reue bis zuletzt verharrend in energischem Trotze wider den Himmel und seine Gnade stolz ablehnend, läßt er ihn den Mächten der Unterwelt verfallen.

Nach dieser erschütternden Katastrophe geht das Molina’sche Stück noch wie ein Lustspiel aus, indem alle durch Don Juan’s Eingriffe in Frage gestellten Liebesbündnisse sich von Neuem schließen, so daß wir am Vorabend von nicht weniger als vier Hochzeiten stehen. Nach dem Texte der Mozart’schen Oper treten zum Schlusse auch Octavio und Genossen wieder auf, um die himmlische Gerechtigkeit zu preisen, welche an ihrer Statt das Vergeltungsamt vollzogen hat. Um jedoch den großartigen Eindruck der Katastrophe nicht zu zerstören, wird bei der Aufführung dieser matte Schluß gewöhnlich gestrichen.

So haben wir also hier bereits die Figuren der Mozartschen Oper bis auf Donna Elvira. Auch die Charaktere sind wesentlich beibehalten, namentlich besteht auch schon der wirksame Contrast zwischen dem thatkräftigen Don Juan, der rücksichtslos den Eingebungen seines sinnlichen Dranges folgt, und dem empfindsamen und nie zur That sich aufraffenden Octavio, nur hat der Charakter der Donna Anna bei Mozart weit mächtigere Dimensionen angenommen, wie denn auch das Stück mit der Ermordung des Comthurs eröffnet wurde, also zur Entwickelung des Charakters ein weiterer Spielraum bleibt. Indeß ist auch die Mozart’sche Elvira keine Originalfigur. Ihr Schöpfer ist Molière. Das spanische Stück wanderte nämlich zunächst nach Italien und wurde dort in einer Umarbeitung aufgeführt. Diese Umarbeitung ist knapper, bühnengerechter, namentlich nach dem Schlusse zu, wo die Höllenfahrt Don Juan’s den Ausgang des Stücks bildet. Durch die Hereinziehung der dort typischen Figuren des Arlequino und Pantalon wurde dem komischen Elemente viel Raum gegeben und lassen sich auf diese italienische Taufe die Hauptnuancen der Leporellofigur zurückdatiren, namentlich auch das berühmte Register. Arlequino-Leporello warf, nachdem er die viele Ellen lange Rolle theilweis abgelesen, sie mit dem einen Ende noch in’s Parterre und rief dem Publicum zu: „Bitte, meine Herren, sehen Sie zu, ob nicht vielleicht der Name Ihrer Frau, Schwester oder Braut sich darauf verzeichnet findet.“ Italienische Wandertruppen brachten sodann das Schauspiel nach Paris. Dort erregte es die Aufmerksamkeit des bereits berühmt gewordenen französischen Lustspieldichters und er arbeitete danach sein Drama „Don Juan oder das Gastmahl des Don Pedro“.

Hier erscheint Don Juan als Ehemann. Er hat Elvira aus dem Kloster entführt und geheirathet. Das eheliche Leben ist aber nicht nach seinem Geschmacke. Er bekommt es bald satt; er verläßt Elvira, um einer Schöneren nachzuziehen. Jene reist ihm nach und sucht nun während des ganzen Stückes den Treulosen sich und der Tugend wiederzuerobern. Ihr Herz ist dabei ebenso zwischen Haß und Liebe getheilt wie später bei Mozart. Dieser Molière’sche Don Juan ist nicht blos, wie sein Diener Spanarella ihn wiederholt bezeichnet, ein Allerweltsheirather, er ist Philosoph, als solcher Epicuräer und Atheist. Er verficht seine Philosophie durch die Dialektik der Rede, auf welche der alte Don Juan sich gar nicht einläßt. Letzterer ist ein guter Katholik. Er verneint nicht den Glauben; er weiß recht gut, daß ihn einst das göttliche Strafgericht treffen wird. „Pah,“ meint er aber, „das hat noch lange Zeit.“ Er pocht auf die Kraft seiner Jugend und hält sich an den Genuß des Augenblicks. Jener hingegen ist ein Bild der platten, herzlosen Wüstlinge der damaligen französischen Aristokratie, jener frivolen Marquis, deren Schicksal sich nicht am Grabmale des Comthurs, sondern auf dem Grêveplatze zu Paris erfüllte. Auch das bei Mozart angewandte Motiv des Kleiderwechsels ist hier zuerst gebraucht.

In einer späteren italienischen Bearbeitung von Goldoni wird die Strafe des beleidigten Himmels an Don Juan nicht durch die Verstoßung in die Hölle, sondern durch einen Blitzstrahl vollzogen.

Nachdem der Stoff dann weiter zur Unterlage eines Ballets mit Gluck’scher Musik gedient, nachdem er bereits auch schon als Oper durch einen Italiener Righini bearbeitet worden, wurde die Geschichte unseres Helden endlich im Jahre 1787 von dem Abte Lorenzo da Ponte für Mozart als Operntext bearbeitet und ihm eine geradezu weltgeschichtliche Bedeutung gesichert, Damit war aber sein Lebenslauf noch keineswegs abgeschlossen, vielmehr begannen nun erst die Don Juane an allen Orten und Enden, in den Literaturen fast aller Länder hervorzusprießen, freilich, folgend den Gesetzen der Zuchtwahl, in oft sehr starker Abweichung von ihrem gemeinsamen Stammvater.

Man unterschied bereits in Spanien neben dem Don Juan de Tenorio noch einen Don Juan de Meranna. Beide geben sich in Bezug auf die Zügellosigkeit ihres Lebenswandels nichts nach. Um so verschiedener aber ist ihr Ende. Der von Meranna wird in Folge einer Vision, die er kurz vor dem Momente der Entführung einer Nonne hat, einer Vision, welche ihm den Act seiner eigenen Bestattung vorgaukelt, zum reuevoll Bekehrten. Er wird Mönch. So maßlos wie sein Leben, so maßlos ist nun seine Reue. Er steigert die Selbstpein namentlich nach einem Rückfalle, auf’s Höchste. Seinen Leib befiehlt er unter den Fußboden der Kathedrale zu begraben, damit Alle ihn mit Füßen treten. Im Gegensatze zu seinem wilden und wildgebliebenen Namensvetter könnte man diesen den zahmen oder zahmgewordenen Don Juan nennen. Ihm ist das geistige Ursprungszeugniß noch deutlicher auf die Stirn geschrieben. Eine ausführliche Beschreibung seines Lebens und Sterbens giebt uns Prosper Merimée in seiner Erzählung „Die Seelen des Fegefeuers oder die beiden Don Juane“.

Aber auch außerdem ist die Zahl der Verehrer dieses zahmen Don Juan eine sehr große und hat seinen wilden Vorgänger fast ganz verdrängt. Er ist nicht blos allein nach dem Geschmacke der Gräfin Hahn-Hahn bei der Vorführung ihrer weiblichen Don Juane. Läßt doch selbst Goethe, dessen eigene Leporelloliste von Gretchen bis zur Minna Herzlieb eine recht anständige Summe von Namen aufweist, seinen Faust während seiner Don-Juan-Periode auch in einer etwas kläglichen Armensünderverfassung auftreten, und auch die Weislingen und Consorten leiden stark an sanften Wallungen und Gewissensbissen, während Lenau gar seinen Don Juan, nachdem derselbe seine zahlreiche Nachkommenschaft testamentarisch vorher gut versorgte, an melancholischem Lebensüberdrusse, an philiströser Langeweile zu Grunde gehen heißt, wogegen Lord Byron sich begnügt, ihn als verführerischen Liebhaber von Sieg zu Sieg zu schleppen, ohne sich dabei um sein Ende weiter zu kümmern. Das Volks-

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 324. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_324.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)