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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

genauen Urtheils über die dritte Ausdehnung begeben hat. Letzterer ist in dem umgekehrten Falle einem Bilde gegenüber, wie der Einäugige in der Körperwelt; es ist bekannt, wie schwer der letztere z. B. einen frei aufgehängten Ring mit einem Stocke zu treffen vermag. Es klingt paradox, daß man mit einem Auge mehr und besser sehen soll, als mit zweien, und doch überzeugt man sich leicht von der Richtigkeit dieser aus der Theorie folgenden Thatsache. Im Grunde erreicht man dabei mehr, als man hoffen durfte, denn eigentlich sollte man mit dem einen Auge nur die Gewißheit ausschließen, daß das Dargestellte flächenhaft in einer bestimmten Entfernung vor uns steht, d. h. bis zur Unentschiedenheit kommen, ob, was wir sehen, gemalt oder körperlich sei. Unsere sodann zur letzteren Ansicht neigende Zuversicht entstammt einestheils den oben erwähnten Uebertreibungen der Schattirung und Lichtabstufung im Bilde und dann dem Umstande, daß wir überzeugt sind, auch mit einem Auge die Körperlichkeit der Dinge erkennen zu können. Vielleicht ist dies in Wirklichkeit nur insofern möglich, als sich das Auge immerfort bewegt und sich dabei überführt, daß die körperlichen Gegenstände dadurch eine geringe Verschiedenheit des Ansehens gewinnen; dies trifft nun beim Bilde nicht zu, wird aber durch das Vorerwähnte aufgehoben, und die Willigkeit des Geistes thut das Uebrige. Die erzielte Wirkung ist also eine mehr negative, die Beförderung einer Illusion durch Ausschluß des Gegenbeweises.

Doch kommen einzelne Nebenumstände derselben zu Hülfe, z. B. das Glänzen spiegelnder Glas- und Wasserflächen, polirter Metall- und Holzgegenstände. Wir haben bekanntlich erst durch neuere Untersuchungen von Dove, Oppel, Helmholtz und anderen Physikern erfahren, daß der Glanz eine von dem zweiäugigen Sehen kaum trennbare psychologische Empfindung ist, die durch eine Art Wettstreit der beiden Netzhautbilder entsteht, wenn gleichartige Stellen derselben hier dunkel und dort hell, oder auch nur verschiedenfarbig erscheinen. Werden glänzende oder spiegelnde Flächen, z, B. das Meer im Abendsonnenlichte, oder Säle mit gebohntem Parquet, blanken Möbeln, Krystallgegenständen etc. für das Stereoskop doppelt aufgenommen, so bemerkt man trotz des blendenden Glanzeffectes, welchen das Bild im Apparate ergiebt, bei Betrachtung jeder der beiden Hälften für sich (mit zwei Augen) nichts davon, wohl aber, daß der Spiegelschein bei jeder der beiden Aufnahmen eine etwas andere Stellung einnimmt, so daß sich dunklere und hellere Partien bei der stereoskopischen Betrachtung decken müssen. Die Maler wissen es sehr gut, daß sich Glanzeffecte eigentlich durch ein einfaches Bild nicht darstellen lassen; sie pflegen daher auch wohl glänzende Gegenstände, z. B. Perlen, Goldschmuck etc. pastös, das heißt körperhaft aufzutragen, wodurch in der That der verlangte Effect erzielt werden kann, weil sich nun die gefirnißte Erhöhung selbst als spiegelnder Körper den beiden Augen gegenüber verhält. Dies ist also eine Uebertreibung, die den übertriebenen Eigenschatten etc. entspricht. Wenn aber der blos flächenhafte Glanzfleck der zweiäugigen Betrachtung gegenüber auch nothwendig stumpf und wirkungslos bleiben muß, so kann er dem einzelnen Auge doch einen vollkommen befriedigenden Effect ergeben, da dieses für sich in Folge seiner Beweglichkeit für die Empfindung von Glanzeffecten nicht ungeeignet ist und durch Ausschließung des andern Auges wie oben des Gegenbeweises überhoben wird. Es wird also alle schroffaufgesetzten Lichter eines Gemäldes, das heißt seine „Glanzstellen“, als solche anerkennen und dadurch die Wirkung des Ganzen entsprechend steigern.

An diese erste Bedingung einäugiger Betrachtung knüpft sich eine zweite, minder wichtige, die Aufsuchung des Punktes, auf welchen das Auge des Malers wie des Betrachters gerichtet angenommen werden, den man den Augenpunkt nennt. Bei Figurenbildern und historischen Compositionen nimmt man in der Regel diesen Punkt als auf der Mitte der Horizontlinie liegend an, und es bedarf dann bei der Betrachtung keiner besonderen Bestimmung. Sorgfältige Maler, welche die physikalischen Gesetze des Sehens näher studirten, haben in diese Richtung die Hauptgruppe ihrer Composition verlegt und sie durch schärfere und eingehendere Detailausführung vor den nebensächlicheren Seitengruppen hervorgehoben, gerade wie wir beim Anblicken einer Sache, die uns interessirt, die Umgebung derselben nur undeutlich wahrnehmen.

Bei weitgeöffneten Landschaften und namentlich bei Architekturbildern pflegt der Maler den Augenpunkt hingegen, um einer gewissen ermüdenden Gleichmäßigkeit der Linienführung zu entgehen, aus dem Centrum auf eine Seite des Bildes zu verlegen, und es ist dann zu einem vollkommenen Genusse des Bildes, namentlich wenn es größere Dimensionen besitzt, sehr nothwendig, dorthin das Auge mit der Hohlhand zu richten. Man findet auf derartigen Bildern diesen Punkt sehr leicht, wenn man sich aus der Lehre von der Linearperspective erinnert, daß in diesem Punkte der Horizontlinie alle Linien der Gebäude, Straßen, Felder etc. zusammenlaufen, und sich schneiden müssen, die gleichsam auf der Bilderfläche senkrecht stehend, also die Tiefe des Bildes bis zum Horizonte ausdrückend, gedacht werden. Die übrigen Bestimmungen über den Standpunkt des Betrachtenden etc. sind weniger wesentlich.

Noch muß ich erwähnen, daß man auch durch künstliche Veranstaltungen dahin gelangen kann, einem gewöhnlichen Bilde stereoskopisches Relief zu verleihen. Das einfachste Mittel ist die Verdoppelung der Bilder mit Hülfe eines rechtwinkligen Glasprismas, welches man vor das eine Auge hält, während das andere wie gewöhnlich das Bild betrachtet. Bei photographischen Bildern in Visitenkartenformat ist es noch viel einfacher, zwei derselben, die aber von demselben Negativ copirt sein müssen, nebeneinander in’s Stereoskop zu schieben. Ich habe noch nirgends auf diesen Weg zur Vermehrung des Eindrucks z. B. von Familienportraits hingewiesen gefunden und glaube, daß mancher meiner Leser mir für den Wink dankbar sein wird. Von einer wirklichen Verkörperung, wie bei echten Stereoskopaufnahmen, kann natürlich keine Rede sein, jedenfalls aber ist diese Betrachtungsweise von kleinen Photographien weit der üblichen Glaslinsenvorrichtung mit einfachem Bilde vorzuziehen. Copien nach berühmten Gemälden können bei dieser Betrachtungsweise eine Wirkung geben, die außerordentlich bedeutend ist und sogar die einäugige Betrachtung erheblich übersteigt, weil hierbei zugleich eine Lichtvermehrung und Vergrößerung des Bildes stattfindet, während von der einäugigen Methode Helligkeitsverminderung und scheinbare Verkleinerung unzertrennlich sind. Denen, welche sich an dem Genusse classischer Meisterwerke der Malerei erfreuen, kann ich nur rathen, je zwei gleiche Visitenkartencopien derselben zu Pseudo-Stereoskopbildern vereinigt zu betrachten; die Landschaften Claude Lorrain’s oder Poussin’s, ja selbst Figurenbilder mit perspectivischen Hintergründen, wie z. B. die Madonna im Grünen zu Florenz von Raphael, geben hierbei einen wunderbaren Anblick. Da man das Stück einer solchen Copie heutzutage für ein Spottgeld (einen Silbergroschen) kauft, so läßt sich in dieser Richtung für geringe Kosten leicht eine Sammlung beschaffen, die als Quelle reichen Genusses dient.

Carus Sterne.




In der Heimath des Lamas.
Von Ernst Moßbach.


Bis zum heutigen Tage ist das Innere der Länder Südamerikas, welche am stillen Ocean liegen, für den Verkehr auf Fahrstraßen und Eisenbahnen noch verschlossen geblieben. Nur auf dem verhältnißmäßig schmalen Küstenstriche westlich von den Cordilleren sind schon länger größere und kleinere Strecken Eisenbahnen im Betriebe, welche aber, mit wenigen Ausnahmen, zu keiner besonderen Bedeutung gelangt sind.

Vor der Inangriffnahme der Centralpacificbahn in Nordamerika hielt man es sogar für unmöglich, die steilaufstrebenden Rücken der südamerikanischen Küstencordilleren mittelst der modernen Verkehrswege zu überschreiten. Jetzt hält man selbst jenen Felsenwall nicht mehr für unüberwindlich durch die Macht des Dampfes. In Peru ist der Eisenbahnbau mit höchster Energie begonnen worden; das Küstengebiet mit seinen Häfen soll mit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 342. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_342.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)