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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Ich frug sie, wohin sie denn noch so spät am Abend gehen wollte.

„In’s Theater,“ war die Antwort.

„Habt Ihr denn ein Theater im Orte?“

„Versteht sich, und ein recht schönes dazu.“

„Da sind wohl Schauspieler aus Innsbruck heruntergekommen?“

„Warum nicht gar! Das können wir selber besorgen.“

„So! da spielst Du am Ende gar die erste Liebhaberin?“

„Wer denn sonst! Sehe ich nicht hübsch genug dafür aus?“ Dabei wiegte sie sich keck auf den schlanken Hüften und machte den vergeblichen Versuch, einen selbstgefälligen Blick in den alten Spiegel zu werfen, der viel zu hoch für den zierlichen Wuchs des hübschen Mädchens an der Wand hing.

„Da spielt Ihr wohl eine heilige Geschichte?“ frug ich weiter.

„So fromm sind wir heute nicht; für diesmal giebt’s ein Lustspiel.“

„Ein Lustspiel!“ rief ich verdutzt und muß dabei ein ziemlich einfältiges Gesicht gemacht haben, weil das muthwillige Mädchen in ein glockenhelles Lachen ausbrach.

„Von wem ist denn Euer Lustspiel?“ fuhr ich fort zu fragen.

„Von unserem Roßknecht.“

Jetzt war die Reihe des Lachens an mir, damit kam ich aber bei der zungenfertigen Tirolerin übel an, denn sie meinte schnippisch:

„Wenn der Herr lachen will, so komm’ er nur in unser Lustspiel – da giebt’s mehr zum Lachen als hier.“

„Das werde ich gewiß nicht unterlassen, mein kleines Mariechen, und hoffe heute noch recht nach Herzenslust lachen zu können. Wie heißt denn das Lustspiel Eures Roßknechtes?“

„Der Müller und sein Schatz.“

„Dann machst Du wohl den Schatz des Müllers?“

„Und wie!“ rief die leichtfüßige Dirne und sprang mit einem Jodler die Treppe hinab.

„So sehen wir uns einmal das Lustspiel an, das im Kopfe eines Tiroler Roßknechts gewachsen! Zu lachen wird es da wohl mancherlei geben, wenn auch in anderem Sinne, als meine lustige Wirthin meint,“ dachte ich bei mir selber, während ich in meine getrockneten Kleider schlüpfte.

Mittlerweile war es im Garten unten lebendig geworden. Zahlreiche dunkle Gestalten huschten eilfertig dem Kastaniengehölze zu, in dessen Schatten sie verschwanden. Ich eilte hinab und schloß mich dem allgemeinen Zuge an. Hinter dem Kastanienhaine stand ein langes Gebäude, dessen vorgeschobene Langseite auf kurzen massigen Steinpfeilern ruhte. Es sah aus, wie die große Stallung eines alten wohlhabenden Bauerngutes. Zwischen den Pfeilern waren plumpe Tische aufgestellt, auf denen trübrothe Oellampen flackerten. Vereinzelte Gäste saßen noch herum vor halbgeleerten Bierkrügen, die Mehrzahl aber drängte nach einer großen Thür, hinter der eine altersmorsche Treppe zu den oberen Räumlichkeiten des Gebäudes hinaufführte. Ein struppiger Bursche stand unter ihr und erhob das Eintrittsgeld in das Theater, zwanzig Kreuzer für den ersten, zehn für den zweiten und letzten Platz. Das Theater selbst wurde durch einen großen, von qualmenden Oellampen spärlich erleuchteten, von Rauch und Ruß geschwärzten Saal vorgestellt, in dem eine lange Reihe von plumpen Holzbänken hintereinander aufgestellt war; diese bildeten den „ersten Platz“; sie waren durch eine Stange vom zweiten geschieden, wo es keinerlei Vorrichtung zum Sitzen gab. Die nur mäßig erhöhte Bühne war durch einen plump, aber nicht ohne sinnige Auffassung gemalten Vorhang verhüllt. Zwischen ihr und dem ersten Platze saßen auf einer Schranne drei Musikanten, die auf Geige, Cither und Flöte einen Ländler spielten.

Die Gesellschaft der sehr zahlreichen Zuschauer war eine in des Wortes ureigentlichster Bedeutung gemischte zu nennen. Im Hintergrunde des Saales, auf dem zweiten Platze, standen eng zusammengedrängt ausschließlich Männer, zumeist Tiroler Bauernbursche, schlanke, schöne Gestalten mit sonnverbrannten Gesichtern und offenen, kühn geschnittenen Zügen, den Hut mit der herausfordernden Spielhahnfeder trutzig in die kurzgeschnittenen dunkeln Kraushaare gedrückt, zwischen ihnen vereinzelte Baiern, leicht kenntlich am kürzeren vierschrötigen Wuchse und den tückisch schielenden Augen.

Manche von ihnen hielten schwere Holzäxte in breiter, schwieliger Hand, alle aber rauchten aus großen Pfeifen mit kurzen Röhren, so daß der ganze Raum mit dichten Tabakswolken erfüllt war, durch welche die ohnedies trüben Flämmchen der qualmenden Oellampen kaum durchzudringen vermochten. Auf dem ersten Platze saßen Mädchen und Frauen aus dem untern Innthale; ihre freundlichen Gesichter, von braunen neugierigen Augen belebt, waren halbverdeckt von den breiten Rändern ihrer schwarzen Strohhüte. Unter die Kinder des Innthales hatten sich dicke bairische Bauernweiber gemischt mit großen Mützen aus Fischotterpelz auf den unförmlichen Köpfen. Zwischen den Bewohnern der Berge aber waren in bunter Abwechslung zahlreiche fremdartige Gestalten zerstreut, in gewählten, ja zum Theil reichen und prunkhaften Gewändern, was der Versammlung einen eigenthümlichen phantastischen Anstrich gab; neben der grauen Lodenjoppe des Tiroler Wildschützen wogten weiße oder rosenrothe Atlasmieder unter dem widerspenstigen Drucke eines eingezwängten jugendlichen Busens; braungoldige Sammetjacken schimmerten dazwischen und an der kurzen verschossenen Lederhose des Gemsjägers rieb sich das schillernde Seidenkleid der Wiener Baronin. Spielhahnfedern, Adler- und Straußenflaume schwankten und flatterten, vom Windzuge bewegt, durch einander und zwischen Edelweiß und Almenrosen prangten lackglänzende Camelien und farbenprächtige Pariser Blumen in modisch aufgedonnerten Haaren.

Auch manches wohlbekannte Gesicht entdeckte mein suchendes Auge in dem bunten Gedränge; da war, mir zunächst, eine ganze Bank mit Münchener Malern angefüllt, zum Theil alten lieben Freunden; neben dem sinnigen Kurzbauer saßen Laupheimer[WS 1], der den besten deutschen Nachtwächter gemalt, und der jugendliche Zügel, einer der genialsten Thiermaler Deutschlands; aus dem Winkel dahinter winkten die spaßhaften Augen meines Landsmannes Gustav Mayer hervor, der beim Judenwirth in Brixlegg die volksthümlichen Gestalten zu seinem „erste Rausche“ gefunden. Vor ihnen, zwischen zwei lieblichen Mädchengestalten mit flachsblonden Haaren und Wangen, frisch und rosig wie Apfelblüthen, die mit ihren Vergißmeinnichtaugen so fromm und lustig zugleich in die Welt hineinschauten, wie die Posaunenenglein auf den Bildern der Renaissancemaler, saß ein stattlicher Mann mit gedankenvoller Stirne und lockigem, schon ergrautem Haupt- und Barthaar, Ludwig Steub, der anziehendste unter den Beschreibern des heiligen Landes Tirol. Das seelenvolle blaue Auge, das mit leuchtenden Blicken aus der Ecke dort drüben herübergrüßt, gehört dem schönen Kopfe einer der anmuthigsten unter den deutschen Schauspielerinnen, der liebenswürdigen Anna Glenk. Marmorbleich, wie eine lebendig gewordene Statue, lehnte vor ihr die „geschiedene Frau“, die in der „Passionsgeschichte eines Idealisten“ eine so dämonische Rolle spielt: alle Schauer der Verdammniß zuckten in düstern Blitzstrahlen aus der dunkeln Tiefe ihrer wunderbaren Glühaugen empor, und unheimliche Schatten zitterten zwischen den stolzen Brauen hervor über die königliche Stirn hin, von der die Haare, gleich schwarzen Schlangen, sich hinab zu der halbenthüllten Pracht ihrer Schultern ringelten. Eine gnomenhafte Erscheinung wand und krümmte sich ihr zur Seite in qualvoll spaßhaften Krämpfen, welche an die Todeszuckungen eines Heupferdchens erinnerten, das in’s Erntefeuer geflogen. Hinter dem Lockenkopfe der steirischen Amazone blitzte das Auge des Philosophen Du Prel hervor, der sich mit dem Darwinismus so eingehend beschäftigt hat.

Jetzt hörte die echt tirolermäßig gemüthliche Tanzmusik auf, und der Vorhang ging langsam in die Höhe. Die Scene stellte eine Landschaft aus dem Hochgebirge dar; die Coulissen waren plump zwar und mit dilettantenhafter Aengstlichkeit, aber nicht ohne liebevolles Naturverständniß entworfen und gemalt. Das Lustspiel des poetischen Roßknechts behandelte in vier Acten einen dürftigen und in seinen Hauptwirkungen ziemlich hausbackenen Stoff: ein junger Müller, fromm und bieder, liebt die Tochter eines reichen Bauern, die ihn selbstverständlich wieder liebt; derselbe hat aber einen vom Vater des Mädchens ausschließlich begünstigten Nebenbuhler – an dem Bader, der „schon ein gesetzter Mann, aber noch in seinen besten Jahren ist“, obgleich er die Seifenschüssel bereits so lange durch’s Leben getragen hat, daß er sich schon etwas Namhaftes zurücklegen konnte; trotzalledem wird er gründlich angeführt, ein Loos, in das er sich

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Anton Laupheimer (1848–1927), Vorlage: Laubheimer
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 355. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_355.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)